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„Die dunkelste Stunde“ könnte Gary Oldman seinen ersten Oscar bringen. Doch Joe Wrights Drama über den britischen Premierminister bleibt zu sehr in der Heldenverehrung stecken.

Die dunkelste Stunde (2017)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Ein britischer Staatsmann

Winston Churchill ist gerade en vogue. Erst kam 2017 das Biopic Churchill in die Kinos, natürlich ist er – verkörpert von John Lithgow – in der Serie The Crown zu sehen und nun verkörpert Gary Oldman den britischen Staatsmann in Die dunkelste Stunde. Und fraglos überzeugt sein Porträt in der körperlichen Ähnlichkeit: Fünf Stunden saß Oldman dafür pro Drehtag in der Maske. Für das überzeugende prosthetics Make-up ist Kazuhiro Tsuji verantwortlich, dessen Arbeit u.a. bei Planet der Affen, Der seltsame Fall des Benjamin Button und Looper beeindruckte. Auch hier verschwindet Oldman nahezu völlig in diesem Make-up, komplettiert dies durch Gestik und Mimik – und wird daher folgerichtig als Oscar-Kandidat gehandelt. Schließlich neigen die Mitglieder der Academy ohnehin dazu, körperliches Ähnlichkeitsschauspiel auszuzeichnen.

In Die dunkelste Stunde konzentriert sich Joe Wright auf Churchills erste Wochen als britischer Premierminister im Mai 1940. Neville Chamberlain (Ronald Pickup) wurde durch die Androhung, ihm das Vertrauen zu entziehen, zum Rücktritt gezwungen. Als Nachfolger kommen nur Churchill oder Lord Halifax in Frage, welcher aber ebenfalls Appeasementpolitiker ist. Deshalb wird Churchill, der diesen politischen Weg seit Jahren kritisiert hat und den auch die Opposition anerkennen wird, der Vorzug gegeben. Aber auf ihn warten einige Kämpfe: Nazi-Deutschland droht Frankreich einzunehmen, King George VI. (Ben Mendelsohn) zeigt sich gegenüber Churchill skeptisch und Churchills eigene Partei intrigiert gegen ihn, weil Chamberlain immer noch über ausreichend Einfluss verfügt und weite Teile glauben, dass ein Friedensabkommen mit Hitler-Deutschland der einzige Weg sei. Churchill ist indes überzeugt, dass Großbritannien durch dieses Abkommen zur Marionette der Deutschen wird und will in den Krieg ziehen – notfalls von Übersee aus.

Diese komplexe politische Lage der damaligen Zeit wird von dem Drehbuch von Anthony McCarten (Die Erfindung der Wahrheit) sicherlich vereinfacht, aber es gelingt ihm damit nachvollziehen zu lassen, worum es 1940 wirklich ging – und wie groß die Angst vor einem weiteren Krieg in England war. Dabei ordnet sich der Film um Churchills drei Reden, mit denen er die britische Bevölkerung während des Jahres 1940 stärken wollte – Blood, Toil, Tears and Sweat; Their Finest Hour; We Shall Fight on the Beaches – und den damit verbundenen Entscheidungen im Vorfeld und Nachhinein.

Im Kern steht damit die Frage, ob England in den Krieg ziehen wird, um seine Unabhängigkeit und auch die Freiheit zu verteidigen. Daher ist es verwunderlich, dass Joe Wright, der bisher insbesondere in seinen Literaturadaptionen ein erstaunliches Maß an Aktualität in Werke wie Anna Karenina gebracht hat, nicht versucht, eine weitere Ebene in diesen Film einzuziehen, die sich auf die Gegenwart bezieht. Immerhin hält Churchill Reden über die Verantwortung, die England für Europa trägt, gerade in diesen dunklen Stunden, für die Stellung Englands als Hüterin der Demokratie und Freiheit, während sich England doch durch den Brexit genau dieser Verantwortung entzieht. Stattdessen aber wird mit diesen Reden und manchen Inszenierungen – bspw. den Luftaufnahmen und einer Sequenz in der U-Bahn – in Vergangenem geschwelt und ein Pathos beschworen, das längst mehr als brüchig ist, so dass man sich letztlich unweigerlich fragt, ob Churchill denn wirklich die dunkelste Stunde in der britischen Geschichte abgewandt hat.

Aber Die dunkelste Stunde will vor allem ein Porträt des britischen Politikers sein. Deshalb entscheiden sich Wright und McCarten wie schon Jonathan Teplitzky in Churchill dafür, den ersten Blick auf Churchill aus der Unwissenheit einer neuen Privatsekretärin zu ermöglichen. Elizabeth Layton (Lily James) tritt ihre Stelle an und wird von einem Mitarbeiter in dessen Eigenheiten eingewiesen, welches den ersten lauten und polternden Auftritt des Politikers einläutet. Ist es bei Churchill der Verlobte der Privatsekretärin, der ihn zu der richtigen Entscheidung bringt, ist es hier der Bruder, der ihn an das gemeine Volk erinnert – und natürlich sorgt seine Sekretärin dafür, dass er das Victory-Zeichen richtig herum verwendet. Durch sie werden Churchills Marotten und sein despotisches Verhalten erklärt, dagegen unterstreichen seine politischen Gegenspieler in erster Linie seinen Mut und seine Unbeirrbarkeit – mit dem Wissen um den Ausgang der Geschichte im Hintergrund. Abgerundet soll dieses Porträt dann noch mit einigen Einblicken in Churchills Privatleben werden, dieses Mal verkörpert Kristin Scott Thomas die undankbare Rolle seiner Ehefrau Clementine, die vor allem dazu dient, seine Unsicherheit anzusprechen. Aber auch eine Schauspielerin wie sie kann aus dieser Rolle nicht mehr herausholen. Denn natürlich dreht sich hier alles um Churchill, um diesen polternden Mann, der nie um eine Erwiderung verlegen ist.

Ist Die dunkelste Stunde aufgrund des schauspielerischen Talents, der besseren Inszenierung gerade in Bild- und Tongestaltung weitaus besser als Churchill, fehlen letztlich aber auch in diesem Film die Nuancen, die verhindern, dass das Porträt dann doch mit fortschreitender Laufzeit immer mehr zu einer Heldenverehrung wird, die angesichts der historischen Person kaum belastbar erscheint. Sicherlich gibt es gerade anfangs einige komische und skurrile Momente, je dramatischer aber die Umstände werden, desto größer wird die Verehrung. Und deshalb bleibt auch nach diesem Churchill-Film die Erkenntnis, dass es weiterhin ausreichend Platz für einen kritischen Film über den britischen Staatsmann gibt.
 

Die dunkelste Stunde (2017)

Winston Churchill ist erst wenige Tage im Amt, dennoch steht er vor einer Riesenaufgabe: Während die britische Armee in Dünkirchen strandet, muss der britische Premier als Nachfolger von Neville Chamberlain entscheiden, ob Großbritannien mit Nazi-Deutschland verhandelt — oder sich ihnen widersetzt. 

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Meinungen

Martin Zopick · 06.06.2020

Ein historisches Biopic vom Amtsantritt von Churchill und dem Beginn des 2. Weltkrieges. Der britische Premier (Gary Oldman) kämpft an drei Fronten: gegen Widerstände in der eigenen konservativen Partei, für die militärische Unterstützung durch die USA und für einen Befreiungsschlag gegen die vorrückende deutsche Armee, die bei Dünkirchen einen Großteil der Briten eingeschlossen hat. Das ist das zentrale Thema, ohne dass es breitgewalzt wird. Zu diesem Thema gibt es genug eigene Filme. Hier sind es die politischen und diplomatischen Probleme, auf die sich Regisseur Joe-Abbitte-Wright konzentriert. Und dabei spielt Gary Oldman eine Glanzrolle. Er zeigt überzeugend, dass der große Brite aufbrausend cholerisch war, aber auch einfühlsame Seiten besaß. Da kommt seine Ehefrau Clementine (Kristin Scott Thomas) ins Spiel. Sie wäscht ihm gelegentlich auch schon mal gründlich den Kopf, wenn es sein muss. Ganz anders seine junge Sekretärin Miss Layton (Lily James), die dicht am Wasser gebaut ist. Mit ihr liefert sich Oldman menschlich bewegende Szenen. Sie erklärt dem Premierminister die landläufige Bedeutung des Siegeszeichens mit Zeige- und Mittelfinger (V).
Von Churchills Redetalent bleibt nur die im Unterhaus im Gedächtnis, in der er den Insulanern ‘ Blut, Schweiß und Tränen‘ (Blood, Sweat and Tears) verspricht. Aber auch ihren Patriotismus anstachelt. (‘Soll die Hakenkreuzfahne etwa über dem Buckingham Palast wehen?‘) Eine rhetorische Frage, die aber ihren Zweck erfüllt. Ob Churchill wirklich in der U-Bahn gefahren ist und sich nach der Volksmeinung erkundigt hat, ist ein gelungener dramaturgischer Kniff des Drehbuches. Fakt ist, dass die Briten ihren größten Staatsmann bei Kriegsende trotz seines Erfolges abgewählt haben.
Ein historischer Stoff ist unterhaltsam verpackt und gewährt diplomatische und menschliche Einblicke.

Manuel Antunes · 19.01.2018

Brilliant, jetzt ist Gary Oldman endlich für den Oscar fällig, nachdem man Ihn jahrelang übergangen (z. B. in Ludwig van B. oder in Dracula...)