Das System Milch

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Was Sie schon immer über Milch wissen wollten

Man hält sich gemeinhin ja für einen mündigen Verbraucher. Doch allein beim Blick auf ein Alltagsprodukt wie die Milch fällt auf, wie wenig man eigentlich weiß. Wie hängen Preise und Herstellung zusammen? Wer bekommt eigentlich die EU-Subventionen? Und wie wirkt es sich auf den Markt aus, dass besonders China neuerdings auf den Geschmack gekommen ist und fleißig Milch importiert? All diesen Fragen geht der italienische Filmemacher Andreas Pichler in seinem Dokumentarfilm Das System Milch nach.
Er selbst, so stellt er gleich am Anfang seines Films heraus, ist im ländlichen Südtirol aufgewachsen, mit dem Klang der Kuhglocken und den Herden auf den grünen Bergweiden. Das verleitet ihn jedoch nicht dazu, hier polemisch die Großmolkereien anzuprangern oder für Biolandwirtschaft zu werben. Ganz nüchtern nähert er sich dem Thema der Milchproduktion. Wie wirkt sich der explodierende Milchmarkt der vergangenen Jahre auf die Tiere, die Umwelt und uns selbst aus? Diese Frage stellt er seinem Film voran und daran arbeitet er sich 90 Minuten lang ab.

Nicht nur in seinen Drohnenbildern von Kühen auf Bergwiesen oder der Vogelperspektive auf Landwirtschaftsbetriebe zieht er den Fokus weit auf. Auch thematisch geht er ähnlich vor: Er besucht sowohl große Milchkonzerne wie Arla in Dänemark als auch kleinere Familienbetriebe in Süddeutschland. Er schaut sich an, wie die Kühe auf mehr Milchproduktion hin gezüchtet werden, und lässt Professoren zu Wort kommen, die den Zusammenhang zwischen der Ernährung der Kühe und der Methangasbelastung durch die Milchbetriebe erläutern. Er fährt nach Brüssel und spricht mit Lobbyisten und Lobbygegnern, filmt Milchproduzenten in China und besucht Milchbauern im Senegal. Selbst das alte Vorurteil vom Kalziumlieferant für Knochenbau und Wachstum nimmt er mithilfe von Forschern auseinander – und überlässt es am Ende doch seinen Zuschauern, sich ihre eigene Meinung zu bilden. Pichler geht es nicht ums Anprangern, sondern vielmehr um Wissensvermittlung, um Aufklärung im journalistischen Sinne.

Und doch erschaudert man unweigerlich, wenn man die Bilder und Zitate genauer betrachtet. Da sind die fast schon schmerzhaften Aufnahmen von Kühen auf einer Zuchtschau in Norditalien, deren Euter so prall und geädert sind, dass sie kaum über den Platz laufen können. Dazu spricht ein Züchter und schwärmt davon, dass es zwar noch nicht ganz ausgeschlossen sei, auch männliche Kälber zu zeugen, dass man aber stark daran arbeite, diese Ausschussware für die Milchproduktion zu unterbinden. Da ist der dänische Landwirt, der mit seinem Futterhändler telefoniert und fragt, ob auch Mais nachgeliefert werden könne, der nicht genmanipuliert sei. „Können wir, aber der kostet zwölf Euro mehr als der normale“, ist die Antwort. Derselbe Landwirt wird später Tränen in den Augen haben, wenn er erfährt, dass der Milchpreis um zwei Cent je Liter gestiegen ist. Sieben Cent, so hatte es sein Buchhalter zuvor gesagt, sieben Cent mehr müssten die Verbraucher je Liter Milch zahlen, damit die Bauern von ihrer Arbeit leben könnten. „Dafür könnten dann auch die Subventionen aus Brüssel wegfallen“, sagte er.

Brüssel ist hier Dreh- und Angelpunkt des Marktes. Hier werden die Weichen für den globalen Handel gestellt und auch das zeigt Pichler. Mit 45 Milliarden Euro geht der größte Posten bei den EU-Subventionen an die Agrarwirtschaft. Der Markt funktioniert dabei jedoch streng nach liberalen Regeln, Produktion muss gesteigert werden, mehr Wachstum, mehr Produkte. Das zieht jedoch eine Überproduktion nach sich, die am Ende wiederum einen neuen Absatzmarkt für die billigen Milchüberschüsse braucht. Der liegt in Afrika. Pichler beleuchtet dies bei seinem Besuch im Senegal. Das billig aus der EU importierte Milchpulver verhindert dort, dass sich eine eigene profitable Landwirtschaft etabliert. Es ruiniert die lokalen Bauern. „Das zieht eine enorme Landflucht nach sich“, sagt ein Milchproduzent im Senegal, der sich auf die Produktion mit einheimischer Milch spezialisiert hat. „Es sind die Söhne dieser Bauern, die keine Lebensgrundlage mehr haben, die sich in ihrer Verzweiflung am Ende in Boote setzen und nach Europa fliehen, in der Hoffnung auf ein besseres Leben“, sagt er.

Diesen Bogen, von der europäischen Landwirtschaft über die Molkereien und den globalen Markt bis hin zur Flüchtlingskrise, den spannt Pichler kraftvoll und in klaren, verständlichen Erzählsträngen. Der Zuschauer ist nie von der Informationsflut überladen, vielmehr sind diese 90 Minuten über die Milch so spannend erzählt, dass man danach direkt weiter recherchieren möchte. Das System Milch ist ein Film, der den Verbraucher zwingt, sich in die Mündigkeit zu begeben und über seinen eigenen Konsum und dessen Auswirkungen nachzudenken.

Das System Milch

Man hält sich gemeinhin ja für einen mündigen Verbraucher. Doch allein beim Blick auf ein Alltagsprodukt wie die Milch fällt auf, wie wenig man eigentlich weiß. Wie hängen Preise und Herstellung zusammen? Wer bekommt eigentlich die EU-Subventionen? Und wie wirkt es sich auf den Markt aus, dass besonders China neuerdings auf den Geschmack gekommen ist und fleißig Milch importiert?
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