Das kleine Zimmer

Eine Filmkritik von Lena Kettner

In diesem Zimmer spielt man nicht

Ungläubig beobachtet Rose ihren Mann, als er die Glühbirne aus der Lampe im kleinen Zimmer ihrer Wohnung herausschraubt und in die Lampe im Flur einsetzt. Einsam und verlassen ist das kleine Zimmer mit den blauen Wänden, dem Wickeltisch und der Wiege. Ein halbes Jahr liegt ihre Todgeburt nun zurück, die das junge Familienglück jäh zerstört hat. Seit diesem Tag lässt die Krankenschwester keine Veränderungen mehr zu, weder im Kinderzimmer noch in ihrem eigenen Leben. In dem kleinen Zimmer konserviert sie die Erinnerung an das schreckliche Ereignis, ohne es jemals richtig aufgearbeitet zu haben.
„In diesem Zimmer spielt man nicht“, sagt Rose einmal. Weder ihr Mann noch ihre Eltern können ihr in dieser schwierigen Situation helfen, sie können nur erahnen, welchen Schmerz Rose nach dem halben Jahr Trauerzeit immer noch empfindet. Denn mit dem Tod des Sohnes hat Rose ihre Lebensfreude und ihren Sinn im Leben verloren. Doch dann lernt sie den kauzigen Rentner Edmond kennen.

Das kleine Zimmer / La petite chambre ist der erste Spielfilm des Schweizer Regie-Duos Stéphanie Chuat und Véronique Reymond, die beide ausgebildete Theaterschauspielerinnen sind. Nach diversen gemeinsamen Theaterinszenierungen sowie fünf Kurz- und zwei Dokumentarfilmen ist ihnen mit Das kleine Zimmer ein bewegendes Spielfilmdebut über die heilende Kraft der Freundschaft und über generationenübergreifende Solidarität gelungen. Und eine Geschichte über die Angst vor dem Moment, in dem man seine körperliche Unabhängigkeit verliert. So wie der Rentner Edmond, der sich seinem Schicksal nicht ergeben will und sich deshalb beharrlich weigert, das für ihn in Frage kommende Altersheim auch nur von außen anzusehen. Seine Frau ist seit langem tot und auf die Unterstützung seines Sohnes Jacques kann er nur bedingt hoffen. Denn nie war Edmond für ihn der liebende Vater, den sich der Sohn so sehr gewünscht hätte. Bald wird Jacques zu seiner Verlobten nach Amerika ziehen und möchte seinen Vater gut versorgt wissen. Doch Edmond möchte unbedingt in seiner Wohnung bleiben, auch wenn er dort schon einmal fast die Küche in Brand setzt, während er die Milch aufkocht oder beinahe von der Leiter fällt beim täglichen Versuch, seine zahlreichen Topfpflanzen zu gießen.

Auf den ersten Blick scheint Rose und Edmond nichts zu verbinden. Sie bewegen sich in unterschiedlichen Realitäten, haben unterschiedliche, ihrer jeweiligen Situation geschuldete Probleme. Doch beide werden auf schmerzliche Art und Weise mit dem Ende des Lebens konfrontiert, obwohl Rose im Gegensatz zu Edmond altersmäßig in der Blüte ihres Lebens steht. Beide fürchten sie den Tod — Rose, weil er ihr Leben zerstört hat, Edmond, weil er ihm kurz bevorsteht. Und beide sind nicht fähig, in der Zukunft zu leben, da sie es verweigern, endgültig mit ihrer Vergangenheit abzuschließen. Nach einem schweren Sturz sieht sich Edmond gezwungen, die Hilfe einer Pflegerin anzunehmen – eine schwierige Aufgabe für Rose, die gerade erst wieder in ihren Beruf als Krankenschwester zurückgekehrt ist. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten gewinnt sie mit der Zeit das Vertrauen von Edmond – und nicht nur für ihn hat die langsam aufkeimende Freundschaft eine therapeutische Wirkung. Rose und Edmond schonen einander in ihren Gesprächen nicht, sondern konfrontieren den jeweils anderen direkt mit der eigenen Vergangenheit. Ganz im Gegensatz zu der Umwelt der beiden Protagonisten, die im täglichen Umgang mit ihnen schwierige Themen meidet und Rose und Edmond in Watte zu packen versucht. Der Film Das kleine Zimmer erzählt in langen, ruhigen Einstellungen von Generationenkonflikten, von der Aussöhnung mit dem eigenen Schicksal und davon, dass jedes Ende einen neuen Anfang mit sich bringen kann. Rose nimmt Edmond schließlich zu sich auf, nachdem sich ihr Mann eine Auszeit genommen und die Wohnung verlassen hat. Rührend kümmert sie sich um ihn und läuft damit Gefahr, Edmond als Ersatz für ihr ungeborenes Kind anzusehen.

Mehrere Preise hat das Regieduo Stéphanie Chuat und Véronique Reymond für ihr beeindruckendes Spielfilmdebut Das kleine Zimmer bereits erhalten, zuletzt den Fünf-Seen-Filmpreis in der Sparte Spielfilm, dessen Jury neben der schauspielerischen Leistung vor allem die stilsichere, humorvolle und schnörkellose Inszenierung dieser ungewöhnlichen Freundschaft lobte. Mit den französischen Schauspielern Florence Loiret Caille und Michel Bouquet haben die Regisseurinnen eine Traumbesetzung für ihren Film gefunden, die ihren Figuren durch ihren spröden Charme trotz aller Tragik auch komische Seiten verleihen. Und so ist es kein Wunder, dass am Ende ihres Films die Freude wieder einkehrt in dem kleinen Zimmer in Roses Wohnung.

Das kleine Zimmer

Ungläubig beobachtet Rose ihren Mann, als er die Glühbirne aus der Lampe im kleinen Zimmer ihrer Wohnung herausschraubt und in die Lampe im Flur einsetzt. Einsam und verlassen ist das kleine Zimmer mit den blauen Wänden, dem Wickeltisch und der Wiege. Ein halbes Jahr liegt ihre Todgeburt nun zurück, die das junge Familienglück jäh zerstört hat.
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