Das Ding am Deich

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Nach Tschernobyl, vor Fukushima

Bauer Reimers hatte noch nicht mal die Zeit, den neuen Zuchtbullen für seinen Hof selbst auszusuchen. So erzählt kopfschüttelnd sein Nachbar, den er damals geschickt hat. Es will schon etwas heißen, wenn ein Bauer diese für seine Viehzucht so wichtige Entscheidung einfach anderen überlässt. Aber Bauer Reimers hatte gute Gründe damals: Es galt das AKW Brokdorf zu verhindern. Nach Stade und Brunsbüttel das dritte Atomkraftwerk, das an der Unterelbe entstehen sollte. Reimers und andere Anwohner haben seit Beginn der 1970er Jahre in einer Bürgerinitiative gegen Planung, Bau und Inbetriebnahme gekämpft. Heute zeigt ihnen jeder Blick aus dem Fenster, dass sie den Kampf verloren haben: dort, direkt am Deich, steht der Atommeiler, in Betrieb genommen ein halbes Jahr nach dem Super-GAU von Tschernobyl.
In ihrem Dokumentarfilm Das Ding am Deich zeichnet die Filmemacherin Antje Hubert die Geschichte der lokalen Anti-AKW-Bewegung in der Wilstermarsch von den Anfängen bis heute nach. Über ein Jahr lang hat sie die Aktivisten von damals immer wieder besucht, um sich ihre Geschichte erzählen zu lassen. Alteingesessene Milchbauern und zugezogene Städter, heute allesamt gesetzten Alters, die damals auf die Barrikaden gingen. Jetzt blättern sie in Fotoalben, Weihnachtsbilder mit Wasserwerfern bezeugen ihre bürger-bewegte Vergangenheit. Von abgeklärt bis emotional, von enttäuscht bis immer noch engagiert sprechen sie über ihr Engagement. Ob lakonischer Milchbauer oder kauziger Meteorologe, unter den Protagonisten des Protests sind liebenswerte Charaktere, die in ihren Berichten und Anekdoten ein lebendiges Bild der Anti-AKW-Bewegung zeichnen. Angereichert mit viel Archivmaterial, auf dem auch die Protagonisten in den 1970er und 1980er Jahren „in action“ zu entdecken sind, wird die Entwicklung ihres Protests aufgerollt und eingebettet in den bundespolitischen Kontext – mit seinen Entscheidungen, Katastrophen und Kehrtwenden in Sachen Atom-Energie.

„Wir dürfen nicht müde werden. Nach Harrisburg sind wir müde geworden. Nach Tschernobyl sind wir müde geworden. Wir müssen schneller sein als das Unglück.“ Das sagt der Meteorologe Karsten Hinrichsen aus Brokdorf unter dem Eindruck des Super-GAUs von Fukushima. Sein Ausspruch ist dem Film vorangestellt – und genau hier liegt der Knackpunkt von Das Ding am Deich. Die Dreharbeiten begannen im Januar 2010. Die Katastrophe von Tschernobyl war lange her und Fukushima noch nicht passiert. Also sagt der Leiter des Katastrophenabwehrstabes nur: „Je mehr man übt, desto mehr drängt sich einem der Gedanke auf, dass ein Unfall bei uns nicht passieren darf.“ Also hält der Bürgermeister einen dicken Aktenordner in die Kamera und konstatiert nur lakonisch „so viel“ müsse bei einem Störfall getan werden und erklärt unbekümmert, dass der Evakuierungs-Radius 10 km betragen würde und „nicht 20km wie in Tschernobyl“, um dann die Schachtel mit den Jodtabletten hervorzukramen, die er in seinem Büro lagert und die ja „vorher verteilt werden müssen“.

Mit dem Wissen um Fukushima wirkt das alles herzergreifend naiv und so steigt in den ersten zwanzig Filmminuten die Neugierde darauf, wie sich der Bürgermeister und die anderen Protagonisten später – unter dem Eindruck des japanischen Super-GAUs – äußern werden. Denn der explizite Hinweis auf Fukushima im Prolog des Films weckt die Erwartung, dass dies entsprechend thematisiert wird. Doch diese Erwartung wird leider enttäuscht.

Während die Aktivisten für ihren Kampf über die Jahrzehnte einen langen Atem brauchten, benötigt der Zuschauer einen ebensolchen für den Film: Es dauert ganze neunzig, mitunter etwas zähe Minuten, bis die detailliert durchgehaltene Chronologie Fukushima erreicht. Allerdings verfolgt dann lediglich eine Protagonistin regungslos die Berichterstattung im Fernsehen, während der ausdauerndste der Aktivisten bei einer Mahnwache vor dem AKW Brokdorf mit eben jenen Worten, die dem Film vorangestellt sind, an die Leute appelliert. Das wirkt am Ende angehängt und wie aus aktuellem Anlass schnell noch mal für einen Drehtag nach Brokdorf gefahren, um den aktuellen Ereignissen irgendwie Rechnung zu tragen, während der Film eigentlich schon fertig montiert war.
Das ist sehr schade: Denn dramaturgisch gestrafft, mit einigen Drehtagen mehr nach Fukushima und ein paar Details weniger in der historischen Aufarbeitung hätte Das Ding am Deich durchaus das Zeug gehabt ein Film zu sein, der über seinen lokalen Fokus hinaus viel entlarvendes über den Umgang mit Kernenergie in Deutschland erzählt, von den Anfängen bis heute – politisch genauso wie menschlich. Diese Chance hat der Film leider nicht konsequent umzusetzen gewusst und die durch den Prolog fehlgeleiteten Erwartungen verstellen den Blick darauf, was Antje Huberts eigentlich bietet: Ein lokal verankertes Zeitzeugendokument, das in einen Mikrokosmos mit sympathischen Protagonisten eintaucht, in eine Dorfgemeinschaft, die durch das AKW Brokdorf auf eine Zerreißprobe gestellt wurde, die noch immer nicht ausgestanden ist. Das Ding am Deich porträtiert Menschen, für die das Kernkraftwerk zum persönlichen Schicksal geworden ist; die sich jahrzehntelang für ihre Überzeugungen engagiert haben, die heute zum Teil resigniert haben oder noch immer aktiv sind. Ihr Kampf ist wieder genauso aktuell wie vor 40 Jahren. Wenn Bauer Reimers aus dem Fenster blickt, ist dort übrigens nicht nur das AKW zu sehen, sondern auch ein kleines Windrad. Heute reden alle von Energiewende, Reimers hat sein Windrad 1980 aufgestellt. „Wir dürfen nicht nur theoretisch diskutieren, sondern müssen zeigen, dass es auch anders geht!“, sagte er damals.

Das Ding am Deich

Bauer Reimers hatte noch nicht mal die Zeit, den neuen Zuchtbullen für seinen Hof selbst auszusuchen. So erzählt kopfschüttelnd sein Nachbar, den er damals geschickt hat. Es will schon etwas heißen, wenn ein Bauer diese für seine Viehzucht so wichtige Entscheidung einfach anderen überlässt. Aber Bauer Reimers hatte gute Gründe damals: Es galt das AKW Brokdorf zu verhindern. Nach Stade und Brunsbüttel das dritte Atomkraftwerk, das an der Unterelbe entstehen sollte.
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Meinungen

alex · 05.09.2012

wie man es im trailer schon ansatzweise sieht, die meisten von den demonstranten von damals sind theoretiker geblieben. nur kluge geschichten erzählen aber selber nichts auf die beine stellen. und nur mit dem finger auf andere zeigen die was tun, das evtl. nicht ganz ihrer idealen heilen welttheorie entspricht. und im film kommmt das noch besser raus.

Erika Schüder · 29.07.2012

Ein Trailer sagt noch nichts über den ganzen Film aus,aber diese Ausschnitte sind doch schon vielsagend. Vor allem für mich, die ich in einigen Jahren des Widerstandes in der Wilstermarsch gewohnt und mitgekämpft habe und jede Person im Trailer persönlich kenne.
Ich bin gespannt auf den Film und werde ihn mir sicher später auch zulegen.
Ein Dank geht an alle, die daran beteiligt waren.