Bonne Nuit Papa

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Zwischen Kambodscha und der DDR

Mit ihrem ersten abendfüllenden Dokumentarfilm begibt sich die in Hamburg lebende Marina Krem zum einen auf eine persönliche Reise durch ihre Familiengeschichte und zum anderen in große Fußstapfen. Immer flirtend mit dem Stil eines persönlichen Essayfilms erzählt sie die Geschichte ihres in Kambodscha geborenen Vaters. Dieser enigmatische Mann steht in einer der besten Einstellungen von Bonne Nuit Papa auf einem Balkon, rauchend, und wir können versuchen, ihn zusammen mit seiner Tochter zu verstehen. Es wird uns schwer fallen und genau darin findet Krem ihre Motivation und ihre Hoffnung im Film. Sie macht es uns nicht zu schwer, mit ihr zu gehen und mit ihr zu fühlen.
Ihr Vater kam als junger Mann aus Kambodscha in die DDR, um dort zu studieren. Er lernte eine Dresdnerin kennen. Eigentlich war es der Plan des Mannes, nach dem Studium wieder zurück zu seiner Familie zu kehren. Dies wurde ihm mehr oder weniger so befohlen von seinem ältesten Bruder, der nach dem Tod des Vaters das Familienoberhaupt war. Aber die Machtergreifung und das Terrorregime durch die Roten Khmer machten eine Rückreise unmöglich. Die Familie des Vaters beginnt zu sterben und getrennt von seiner Heimat muss der Mann auch in seinem Leben in der DDR schwere Rückschläge verdauen. Er zieht sich mehr und mehr in sich zurück, vereinsamt, trennt sich und möchte in seiner ursprünglichen Heimat bestattet werden. Genau hier beginnt das, was man immer wieder als Spurensuche bezeichnet.
Dabei merkt man Bonne Nuit Papa an, dass Krem sich Zeit gelassen hat. Denn vor unseren Augen entsteht das Bild einer Erkundung, die immer zugleich in sich selbst und in die Welt gerichtet ist. Die Offenheit der Erzählung begegnet der Verschlossenheit der Vaterfigur in den Bildern, die über mehr als ein Jahrzehnt entstanden sind. Es geht um Orte und die Zeit immer in Verbindung zu einem Gefühl der Neugier und letztlich der Liebe. Diese Liebe entsteht aus einem Verständnis für das, was wir nicht verstehen und das, was wir in anderen über uns selbst erfahren.

Doch die Filmemacherin nutzt die Geschichte ihres Vaters aus offensichtlichen Gründen auch für eine kulturelle und geschichtliche Auseinandersetzung mit Kambodscha und der DDR. Insbesondere die Grausamkeiten der Roten Khmer in Kambodscha waren in den letzten Jahren immer wieder Gegenstand herausragender Vertreter des Dokumentarfilms. Dabei steht vor allem der Name Rithy Panh wie ein Schatten über den Beobachtungen und Analysen, die Krem in ihre gefühlsbetonte Reise einstreut. Die Tatsache, dass sich Krem aus einer sehr speziellen Perspektive annähert, kann nicht immer darüber hinwegtäuschen, dass sich gerade im Vergleich zu Herrn Panh filmisch hier deutlich weniger auftut als erzählerisch. Nur manchmal drängen sich poetische Funken in die klare Erzählweise. Da ist zum Beispiel ein fließender Übergang in einer nächtlichen Stimmung zwischen den beiden Kontinenten, die für die Familie Krem Heimat bedeuten. Einige Male gelingt es Krem auch, die Ratlosigkeit und den Schmerz ob der Vergangenheit festzuhalten. Sei es bei ihrer Mutter oder in den Verwandten und Freunden in Kambodscha.

Es ist eine Spurensuche mit allen Mitteln, die einer Dokumentarfilmregisseurin zur Verfügung stehen: Voice-Over (persönlich und nachgesprochen), Interviews, Found Footage (Home Video & Archivmaterial), Stimmungsbilder, Briefe und animierte Sequenzen. Oft wirken die verwendeten Methoden lediglich wie Mittel zum Vorantreiben einer Story statt in sich selbst etwas über die Heimatlosigkeit, die Suche und Sehnsucht auszusagen. Es treibt eine etwas zu deutlich gezeichnete Heldenreise samt emotionalen Hochpunkten durch die eigentlich persönlichen Geschichten. So wird die wundervolle Direktheit der Begegnung von Marina mit ihren kambodschanischen Verwandten von den gesamtkulturellen Betrachtungen des Films eher entkräftet als verstärkt. Außerdem ist Bonne Nuit Papa etwas zu geladen mit wichtigen Themen von Kambodscha, der DDR, über Fremdenfeindlichkeit und dem allgemeinen Fremdsein bis zu nationalen und internationalen Geschichtszusammenhängen, der Rolle von Ehe, Familie und Frauen in unterschiedlichen Kulturen.

Nun mag man diese Fülle an Themen durchaus als Pluspunkt verzeichnen, aber sie geht in Bonne Nuit Papa immer nur dann auf, wenn sie nicht wie eine eingefügte Geschichtsstunde wirkt, sondern tatsächlich in Relation zur subjektiven Ebene des Films auftaucht. Immer dann, wenn das Persönliche und das Historische zur gleichen Zeit agieren, dann ist Bonne Nuit Papa ein ehrlicher Film. Es gelingt Krem allerdings nicht immer, diesen Zusammenhang aus sich selbst hervorgehen zu lassen. Der Horror der Geschichte kann in diesem Film nur so stark sein wie der Horror der Protagonisten. Im Zentrum der Story steht die Frage: Wer war mein Vater? Doch anders als zum Beispiel Orson Welles in Citizen Kane (dieser Vergleich ist nicht so weit hergeholt wie man glaubt) ist die Suchende hier nicht in der Position einer Unwissenden, sondern einer Wissenden, die uns sozusagen retrospektiv das Ergebnis ihrer Nachforschungen erzählt und dieses dennoch mit einem narrativen Bogen überspannt. Dadurch entsteht eine gefühlsgeladene Distanz, deren Ausbruch man herbeisehnt, deren Kraft man spürt, die aber doch in einem Rahmen hängt, der schön säuberlich so tut, als könnte er sein Bild beherrschen.

Bonne Nuit Papa

Mit ihrem ersten abendfüllenden Dokumentarfilm begibt sich die in Hamburg lebende Marina Krem zum einen auf eine persönliche Reise durch ihre Familiengeschichte und zum anderen in große Fußstapfen. Immer flirtend mit dem Stil eines persönlichen Essayfilms erzählt sie die Geschichte ihres in Kambodscha geborenen Vaters.
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Meinungen

Arzttochter · 02.01.2015

Eine Vergangenheit vor dem Verschwinden zu retten und somit das kollektive Gedächtnis der DDR-Kinder zu archivieren das ist doch die große Leistung dieses Filmes. Denn ein wenn auch multikulturelles Kind ist doch die Filmemacherin auch Zonenkind und vermag die Sprünge im Leben in der Schwebe zwischen Ost und West und Kambodscha zu veranschaulichen. Wie fühlt es sich an, wenn vertraute Dinge gleichsam über Nacht verschwinden - plötzlich war überall Westen, die Grenze offen, und die Geschichte auch, auch die ganz subjektive. Wie ihrer habhaft werden, wenn nicht mit Distanz. "Du bist dabei gewesen. Du hast es überlebt. Du kannst davon berichten." so schier ungläubige Ausländer. Es ist eine Kunst, sich zu erinnern. Und das Ringen um die Wahrhaftigkeit der eigenen Erinnerungen und der des Vaters können die anderen durchaus sehen. Marina Kern aber ist eine wissende, wenig versponnene Rebellin, aber nie Rebellin um der Rebellion willen, sondern Rebellin um der Menschlichkeit willen. Dazu muss sie ihre Geschichte nicht vorführen, in dem sie abwägt und hadert. Takt ist der auf das Benehmen angewandte gute Geschmack. Wozu also emotionale Dispositionen ausweiten und Betroffenheit und Leid als Verisse und Parodien in Fremdschämen münden zu lassen. Albert Camus in die Pest: "Wer hat sie das alles gelehrt, Doktor?" Die Antwort kam umgehend: "Das Leiden".