Begabt - Die Gleichung eines Lebens (2017)

Eine Filmkritik von Maria Engler

Huldigt dem Genie!

Genie ist verlockend. Hochgelobte und preisgekrönte Filme wie A Beautiful Mind, Amadeus oder Good Will Hunting huldigen dem genialen Geist, erheben ihre Helden über die breite Masse des Kinopublikums und führen ihm auf eigentümlich sympathische Weise die eigene Durchschnittlichkeit vor Augen. In Begabt — Die Gleichung eines Lebens werden die schwindelerregenden geistigen Höhenflüge eines siebenjährigen Mädchens vorgeführt und dabei die Verhältnisse zwischen natürlicher Begabung und harter Arbeit ausgelotet, die am Ende den Unterschied zwischen normal und genial ausmachen.

Der Schiffsschrauber und ehemalige Professor der Philosophie Frank Adler (Chris Evans) lebt im sonnigen Florida und ist seit nunmehr sieben Jahren Ziehvater der kleinen Mary (Mckenna Grace). Nach dem Selbstmord seiner Schwester, die am Leistungsdruck zerbrach, möchte er dem Mädchen nun ein möglichst normales Leben fernab der Elite ermöglichen. Doch in einer normalen Grundschule fällt Mary sofort wegen ihrer überdurchschnittlichen Leistungen in Mathematik auf. Als Frank sich weigert, Mary auf Empfehlung der Schulleiterin auf eine Privatschule zu schicken, wendet sich diese an die Großmutter des Mädchens (Lindsay Duncan). Es entbrennt ein Streit um das Sorgerecht, der alte Wunden aufreißt und Frank in Zweifeln versinken lässt.

Inwieweit Begabung oder Genialität abhängig von den Genen oder Umwelteinflüssen ist oder ob diese Dinge überhaupt existieren und nicht doch Produkt harter Arbeit seit der frühsten Kindheit sind, ist nicht nur absolut diskutabel, sondern auch eine ungeklärte Frage der Psychologie und Philosophie. Begabt geht den Weg des geringsten Widerstandes und käut die weit verbreitete Auffassung der genetisch vererbten Begabung wieder. Wie der Großmutter und Mutter ist auch Mary eine mathematische Begabung in die Wiege gelegt werden. Das ist ein ebenso unbewiesenes wie ärgerliches Beruhigungsmittel für den Zuschauer, der sich ohne derart ausgelegtes genetisches Material entspannt zurücklehnen und dem wahren Genie auf der Leinwand huldigen kann.

Im ewigen Schwanken zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Förderung der Begabung und dem zwanglosen Dasein als Kind spricht Begabt besonders in Zeiten des wachsenden Leistungsdrucks im Kindesalter ein aktuelles Thema an. Mit Frank, seiner Vermieterin Roberta (Octavia Spencer) und der Großmutter Evelyn bieten die Figuren alle denkbaren Extreme zu dieser Frage an. Während Roberta ausschließlich für Spaß und Spiel zuständig ist, drängt Evelyn das begabte Kind zur stundenlangen Arbeit – Frank oszilliert mit seinen Zweifeln irgendwo dazwischen.

Die immer wieder anklingenden feministischen Fragen und Konflikte werden leider selten interessant aufgelöst oder konsequent zu Ende gedacht. Evelyn, die selbst gern Mathematikerin mit einer glanzvollen Karriere gewesen wäre, diese aber aufgrund ihrer mütterlichen Pflichten aufgeben musste, wird nahezu ausschließlich als tyrannische Sklaventreiberin dargestellt, die mithilfe ihrer Enkelin endlich späten Ruhm erlangen will. Sie bedient auf plumpe Weise das Klischee der gefühlskalten Frau, die auf den Schultern anderer, schwächerer Frauen ihre eigene Karriere aufbauen will. Im Grunde ist sie jedoch die treibende Kraft, die Mary aus dem unterdrückenden Einfluss von Frank befreit und ihr Mut macht, sich in der männlich dominierten akademischen Welt zu beweisen. Im Vergleich zu anderen Filmen zum Thema ist es traurigerweise schon beachtlich, dass sich Begabt um ein weibliches Genie dreht, das entgegen dem ebenso handelsüblichen wie überflüssigen Klischee auf dem Gebiet der Mathematik überragend ist. Aufgrund ihres Alters ist Mary allerdings leider nur ein Spielball äußerer Interessen und wird ausnahmslos fremdbestimmt. Ein Film über ihre Mutter, deren Geschichte am Rande erzählt wird, wäre wohl spannender gewesen.

Doch vermutlich sind es gerade die kindliche Ehrlichkeit und Unschuld, die dem Film zu Witz und Empathie verhelfen sollen. Was dem 1990er-Jahre-Kultfilm Matilda in seiner Überdrehtheit und Liebenswürdigkeit scheinbar nebenbei gelang, funktioniert in Begabt nur bedingt. Das Setting, das einerseits so tut, als wäre es mitten aus dem Leben gegriffen, aber in weiten Teilen doch wie ein Werbeclip für den American Way of Life wirkt, und die oftmals gestelzt wirkenden Dialoge entblößen die Künstlichkeit der Situationen und zerstören nahezu jeden Witz. Hinzu kommt vor allem zu Beginn die arrogante und herablassende Haltung Marys gegenüber ihren normal begabten Mitschülern, die sie unsympathisch macht und im weiteren Verlauf des Films schwer zu verzeihen ist.

Ein allgemeines Problem von vielen sogenannten Feel-Good-Movies und auch von Begabt ist die leicht zu durchschauende Manipulation und die wenig kunstvolle Bedienung der filmischen Mittel, um Emotionen zu erzeugen. Das allzu bekannte Drücken der richtigen Knöpfe, um wie gewünscht Trauer und Freude beim Zuschauer auszulösen, paart sich hier mit einer wenig einfallsreichen Handlung und einer absolut austauschbaren Inszenierung. Der Regisseur dieses wenig innovativen Werkes ist der für seine Musikvideos bekannte Marc Webb. Seinem Spielfilmdebüt 500 Days of Summer, das ebenfalls in der Feel-Good-Sparte zu verorten ist, war aber noch ein deutlich höherer Kreativitätsanteil anzumerken.

Alles in allem ist Begabt ein Film, der wohl nicht lange im Gedächtnis bleiben wird, obwohl es das Drehbuch von Tom Flynn auf die Black List und damit auf die Liste mit den vielversprechendsten Drehbüchern Hollywoods schaffte. Eine spannende und aktuelle Thematik und eine fähige Besetzung reißen den Film aus dem Schlamassel heraus, in den er sich mit penetrantem Drücken auf die Tränendrüse und unspannender Machart hineinmanövriert hat — besonders sehenswert ist er aber trotzdem nicht.
 

Begabt - Die Gleichung eines Lebens (2017)

Genie ist verlockend. Hochgelobte und preisgekrönte Filme wie „A Beautiful Mind“, „Amadeus“ oder „Good Will Hunting“ huldigen dem genialen Geist, erheben ihre Helden über die breite Masse des Kinopublikums und führen ihm auf eigentümlich sympathische Weise die eigene Durchschnittlichkeit vor Augen.

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Meinungen

Irmgard Sollinger · 27.07.2017

Der Kritik ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Ein ärgerlicher Film, der sämtliche Klischees bedient.