Bach in Brazil

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Barock statt Samba

Der Regisseur und Drehbuchautor Ansger Ahlers schlägt in seinem Spielfilm Bach in Brazil nun eine transatlantische Brücke zwischen den beiden Themen, die freilich viel gefälliger und glatter (oder auch leichter konsumierbar) geraten ist, als es der Titel vermuten lässt.
In gewisser Weise ist auch Marten Brückling (Edgar Selge) ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit: Dies jedenfalls bescheinigt ihm der hochnäsige Leiter eines Bach-Festivals (Peter Lohmeyer), bei dem sich der etwas verknöchert wirkende Musiklehrer als Interpret bewirbt. Weil die musikalischen Meriten des Euphonium-Spielers weit zurückliegen, passt er nicht in das Konzept des künstlerischen Leiters und fällt einmal mehr durchs Raster. Grund genug für Brückling, frustriert zu sein, doch dann erreicht ihn ein Wink des Schicksals: Ein Brief verkündet das Ableben eines alten Freundes und Musikerkollegen, der nach Brasilien ausgewandert war – und seinem Kameraden aus der Jugend eine Originalabschrift eines Notenblattes von Johann Sebastian Bach, angefertigt von dessen Sohn Johann Christian Bach, hinterlassen hat. Der Haken bei der Sache, die in Kennerkreisen wohl ein Sensationsfund sein dürfte: Brückling muss höchstselbst nach Brasilien, genauer nach Ouro Preto reisen, um das kostbare Erbe anzutreten – und das ist für den etwas weltfremden Musikus keine leichte Aufgabe. Bestärkt von einer Kollegin (Franziska Walser) macht er sich schließlich doch auf den Weg – und findet dort nicht nur das Notenblatt, sondern auch eine Aufgabe fürs Leben, die ihn schließlich sogar bei dem Bach-Festival reüssieren lässt, das ihn einst ablehnte …

Bach in Brazil ist zweifelsohne das, was man mittlerweile mangels eines besseren Ausdrucks ein „Feelgood-Movie“ nennt: Die Franzosen haben dieses Subgenre nicht erst seit Die Kinder des Monsieur Mathieu zu einer Kunstform erhoben und trotzen damit dem gegenläufigen Trend des erlahmenden Zuschauerinteresses. Und beinahe gleichzeitig bescherte Schweden mit Wie im Himmel einen weiteren Programmkino-Hit. Beides ist mittlerweile mehr als zehn Jahre vergangen und doch scheinen die Erfolgsrezepte beider Filme nach wie vor eine große Anziehungskraft zu besitzen. Bach in Brazil macht aber gleichzeitig deutlich, dass die erprobten Formeln im bundesdeutschen Kontext dann gerne mal jeglicher Ecken und Kanten verlustig gehen: Musik (und zwar eine, auf die man sich einigen kann) als verbindendes Element, dazu ein Schuss Exotik, malerische Kulissen und Konflikte wie vom Reißbrett, die in Wirklichkeit gar keine sind – Ansger Ahlers macht aus dem Selbstfindungstrip eines Frustrierten eine Erbauungskomödie der komplett harmlosen und vorhersehbaren Art.

Ärgerlich ist dabei vor allem, wie sehr sich der Film darum bemüht, jegliche soziale Realitäten schönzufärben und zum Klischee gerinnen zu lassen: Zwar sind die Kinder und Jugendlichen, denen Brückling im Lauf seiner Reise begegnet, allesamt arm und kommen aus schwierigen sozialen Verhältnissen. Doch anscheinend haben sie nur auf einen wie den Musiker aus dem fernen Deutschland gewartet, der ihnen die Flötentöne beibringt und mittels fleißigen Übens und gütiger Strenge zum schlussendlichen Erfolg verhilft. Dahinter verbirgt sich eine Haltung, der man fast schon kolonialistische Denkmuster bescheinigen müsste. Immerhin bekommt der Film diesbezüglich am Ende gerade noch die Kurve, wenn aus dem musikalischen Unterricht eine brasilianisch-deutsche Jam-Session-Version von Johann Sebastian Bach wird, die wenigstens dazu taugt, deutsche Bildungsspießer bei einem Bach-Festival zuerst zu erschrecken und dann (natürlich) zu begeistern.

Wenig begeisternd sind hingegen durch die Bank die schauspielerischen Leistungen der Darsteller: Selge grimassiert sich ebenso wie die brasilianischen Laiendarsteller durch den gesamten Film, die feinen Zwischentöne, die der Charakterkopf sonst häufig zum Besten gibt, sucht man hier eher vergebens. Noch mehr zu bedauern sind indes die jugendlichen Schauspieler, die fast schon so übertrieben wie Stummfilm-Mimen agieren und Erstaunen gerne mal mit übergroß aufgerissenen Mündern auf die Leinwand bringen. Bei Freiluft-Vorführungen in sommerlichen Open-Air-Kinos bleibt so auch der letzten Reihe keinerlei Gefühlsregung verborgen – zumal sich der Film auch emotional vor allem auf Eindeutigkeiten verlässt und Nuancen gerne vermeidet. Das schlimmste Negativbeispiel in Sachen (fehlender) Darstellungskunst bietet freilich Hans-Peter Korff, dessen finaler Auftritt als vertrottelter Schlossherr direkt aus dem Fundus ausrangierter Erzherzog-Johann-Witze stammt.

Vom sicherlich hehren Anliegen, Musik als völkerverbindende Kraft zu betonen, bleibt bei so viel Slapstick und Unernsthaftigkeit, bei malerischen Bimmelbahnen und aufs I-Tüpfelchen restaurierten VW-Bussen, mit denen die „Söhne Bachs“ am Ende auf Tour gehen, kaum etwas übrig als Postkarten-Idyllen und ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Es muss nun wirklich nicht immer ein hartes Sozialdrama sein, aber ein wenig mehr Feinfühligkeit ob der sozialen Verwerfungen in Brasilien hätte es gut und gerne sein dürfen.

Bach in Brazil

So weit entfernt, wie man zunächst glauben möchte, ist die brasilianische Stadt Ouro Preto gar nicht von der Musik Johann Sebastian Bachs. Den malerischen Ort und die Musik verbindet die Zeit bzw. Gleichzeitigkeit und damit auch der kunstgeschichtliche Stil: Sowohl Bach als auch Ouro Preto sind Ikonen des Barock – ersterer im Bereich der vorwiegend geistlichen Musik, zweite auf dem Gebiet der Baukunst, die Ouro preto als Perle des brasilianischen Barock in den Rang eines Weltkulturerbes befördert hat.
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Meinungen

Jürgen · 02.06.2016

Ich habe mir den Film inzwischen zweimal angesehen. Erstmalig auf dem Filmfest Emden-Norderney und nochmal als zahlender Gast im Kino. Aus meiner Sicht hat Ahlers eine gute Ebene gefunden, soziale und kulturelle Unterschiede aufzuzählen. Sicherlich manchmal ein wenig verspielt war das Werk manchmal schon. Er hat jedoch erreicht, dass sich die Zuschauer mit den Inhalten wie beispielsweise Förderung von Benachteiligten auseinandersetzen. Das muss nicht immer das knallharte Sozialdrama nach dem Muster "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" sein. Das multikulturelle Experiment mit Wohlfühl-Touch ist geeignet, die gesellschaftlichen Entwicklungen diesseits und jenseits von Europa zu reflektieren. Denn ich erinnere mich noch gut an wirtschaftlich schwierige Zeiten mit hoher Jugendarbeitslosigkeit. Bildung und insbesondere berufliche Bildung sind die Schlüssel für Partizipation und Teilhabe. Das gilt für Brasilien genauso wie für Deutschland.

Petra · 27.03.2016

Ich fand den Film und seine Musik schön und sehenswert, auch wenn der Schreiber oben anderer Meinung ist. Er sollte besser eine Rezension über Ballerkino alias Schweiger und James Bond schreiben und uns unsere schönen Bilder lassen. Ich brauch nicht immer!!! Sozialkino.

Rüdiger Beckmann · 15.03.2016

Der Vergleich der Kritik mit den Kindern des Monsieur Mathieu ist zutreffend. Wieso man das feelgood-Film nennen muss, wenn ein Film einfach nur ein schönes Märchen -im besten Sinne dieses Wortes- erzählen will, weiß niemand. Offenbar geht es nicht ohne einen abklassifizierenden Anglizismus. Und am Film wie an dem realen Leben selbst vollständig vorbei geschrieben ist das Fazit: kein hartes Sozialdrama, aber ein bisschen mehr Feinfühligkeit ob der sozialen Verwerfungen in Brasilien soll das Paul-Bocuse-Rezept für den richtigen deutsch-brasilianischen Film sein. Also ein halbes Pfund Bierernst.- Ich indes hatte ganz ohne malzigen Beigeschmack einen schönen Kinoabend mit tollen Bildern aus meinem geliebten Ouro Preto - und ein bisschen Kitsch halte ich dabei gut aus.

Solange Fernandes de Mello Springer · 11.03.2016

Ich war im letzten Jahr auf dem Film Festival in Hamburg und habe mir diesen Film angesehen. Meine Freundinnen und ich, fanden den Film sehr gut. Wir haben über die Landschaft, die Kirchen und die Natur im Film geschwärmt. Sowie über die Grimmigkeit des deutschen Hauptdarstellers gelacht (wir allen kennen jemanden der so schlecht gelaunt ist wie er!) Wie sie schreiben: „ein Feel good movie“. Ganz ohne Gewalt aber dafür mit Charakteren die sehr herzlich waren.
Die Geschichte ist sehr nachvollziehbar, denn es sind heute in Brasilien mehrere deutsche die sich irgendwie sozial engagieren, in Favelas wohnen und den Einwohnern helfen.
Nach eine Woche Arbeit, möchte ich am Wochenende ins Kino gehen und nachher denken: „ah, wie schön es doch war!“ Und bei diesem Film traf dies einfach zu. Eine Auszeit aus dem trüben Norddeutschen Wetter und einmal eintauchen, in ein Märchen mit Happy End. Der Film kommt jetzt nach Lüneburg und ich werde bei meinen Kollegen und den Kinder der Schule, in der ich arbeite, ganz viel Werbung dafür machen.

Heiko · 11.01.2016

sehr schöner Film.