Auge in Auge

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Liebeserklärungen an das deutsche Kino

Trotzig und ziemlich ironisch klang das damals, als Joe Hembus 1961 ein Buch mit dem Titel „Der deutsche Film kann gar nicht besser sein“ verfasste. Wer sich allein vom Buchtitel leiten ließ, kam schnell zu falschen Schlüssen. Auch wenn das Buch heute als ein wichtiger Impuls für den Neuen Deutschen Film und das Oberhausener Manifest gilt, so hat sich doch bis zum heutigen Tag in großen Teilen des einheimischen Kinopublikums ein (sehr deutsches) Hadern mit und Zweifeln am deutschen Film erhalten.
Dass das deutsche Kino aber tatsächlich gar nicht besser sein kann, als es bereits ist, das zeigt der filmische Streifzug des Filmjournalisten Michael Althen (früher SZ, heute FAZ) und des Filmhistorikers Hans Helmut Prinzler (1990-2006 Vorstand der Stiftung Deutsche Kinemathek) durch 110 Jahre deutsches Kino. Was Auge in Auge  — Eine deutsche Filmgeschichte angenehm von anderen historischen Betrachtungen dieser Art unterscheidet, ist der radikal subjektive Ansatz, den Althen und Prinzler pflegen: Mit Hilfe illustrer Regisseure, Drehbuchautoren, Kameramänner und Schauspieler wie Wim Wenders, Tom Tykwer, Caroline Link, Dominik Graf, Doris Dörrie, Andreas Dresen, Christian Petzold, Michael Ballhaus, Hanns Zischler und Wolfgang Kohlhaase versteht sich Auge in Auge ausdrücklich als EINE Filmgeschichte, die keinerlei Anspruch auf Objektivität oder gar (sowieso nur behauptete) Vollständigkeit erhebt – im Gegenteil.

Vielleicht liegt es ja an der Herangehensweise, vielleicht auch an der Auswahl der Befragten, an der manchmal doch sehr gefälligen Filmmusik oder an Michael Althens Off-Kommentar, dass der Film an manchen Stellen ziemlich betulich wirkt und wenig wirklich Überraschendes zu Tage fördert. Lediglich Dominik Grafs Auswahl (Rocker von Klaus Lemke, dem „enfant terrible“ des deutschen Kinos der Siebziger) durchbricht die Erwartungen. Ansonsten ginge die Filmauswahl gut und gerne als erweiterte Variante des vor Jahren beschlossenen und dann wieder in Vergessenheit geratenen Filmkanons durch und verrät zwar manches über die Vorlieben der befragten Filmschaffenden, weiß aber nur wenig Neues zu bieten.

Doch vielleicht ist das auch gar nicht gefragt. Vielleicht muss man diesen Film als Sisyphosarbeit im Bergwerk der Erinnerungen, Fetzen und Fragmente verstehen. Als Anregung, als Appetithäppchen und Einladung zu einer Wiederbegegnung, zum Stöbern und Ausgraben von Filmen, die man vor Ewigkeiten einmal gesehen hat und die dieser Film wieder ans Licht des Bewusstseins befördert hat. Und so sind die schönsten Passagen dieses Films dann auch thematische Montagen, in denen Leitmotive oder Beiläufiges wie Blicke, Telefonate oder das Rauchen aus 110 Jahren deutscher Kinogeschichte zusammengeschnitten sind und ein fließendes Photoalbum ergeben. Im Gegensatz zu manchem Filmschaffenden, der angesichts seines Lieblingsfilms nichts als Plattitüden von sich gibt, zählen Sequenzen wie die genannten zu den Highlights in einem Film, der Licht und Schatten, Glanz und Elend des deutschen Kinos kongenial widerspiegelt – auch wenn das nicht unbedingt in der Absicht der Macher lag.

Auge in Auge

Trotzig und ziemlich ironisch klang das damals, als Joe Hembus 1961 ein Buch mit dem Titel „Der deutsche Film kann gar nicht besser sein“ verfasste. Wer sich allein vom Buchtitel leiten ließ, kam schnell zu falschen Schlüssen.
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