Auf Einmal (2016)

Eine Filmkritik von Björn Helbig

Und plötzlich ist alles anders …

Manchmal dauert es nur Minuten – und alles ist anders. Das gilt nicht nur für das Leben des Protagonisten, sondern auch für den gesamten Film der Berliner Regisseurin Aslı Özge. Özges dritter Spielfilm ist von Anfang an irritierend. Nicht nur, weil man sich fragt, was denn nun eigentlich in Karstens Wohnung geschehen ist, sondern weil Auf einmal immer wieder, mal subtil, mal mit einem Paukenschlag, die Richtung ändert und sich der Zuschauer nie sicher sein kann, wohin sich der Film entwickelt.

Karsten (Sebastian Hülk) feiert eine Party. Seine Freundin Laura (Julia Jentsch) ist verreist. Nach der Feier bleibt Karsten mit einer unbekannten Frau (Natalia Belitski) zurück. Doch dann passiert etwas. Karsten reagiert. Falsch. Und plötzlich ist sein wohlgeordnetes Leben durcheinander.

Beziehungsdrama, Krimi oder Gerichtsfilm? Ein Sozialdrama, Gesellschaftskritik oder ein Film über die Macht der Familie? Oder vielleicht sogar Horror? Vielleicht ist Özges Film auch von allem ein bisschen. Überspitzt gesagt wirkt ihr Film manchmal ein wenig so, als würde sie darin mit Schrot in alle Richtungen schießen, frei nach dem Motto Irgendwas wird man schon treffen“. Aber diese Beschreibung wird dem Reiz des Films nicht gerecht. Denn er ist zunächst seiner ruhigen Erzählweise zum Trotz ziemlich spannend. Kein Wunder, schließlich ist jemand tot und natürlich geht es darum, die Wahrheit und einen Schuldigen zu finden. Was ist in Karstens Wohnung passiert, wer ist dafür verantwortlich? Wer muss zahlen? Das Faszinierende: Je näher man den Antworten kommt, desto weiter entfernt man sich von den Ereignissen in Karstens Wohnung, desto mehr entfremdet man sich von der Tat und wird bekannt mit anderen Dingen, die auf einmal eine Rolle spielen. Wer steht zu einem und wer nicht, wie reagiert die Gesellschaft, wie kann ich mir alles so zurechtlegen, dass es für mich passt? In diesem Spannungsfeld agiert der Protagonist, der verschiedene Phasen durchlebt – zuerst zaudernd, dann empfindlich aggressiv, dann weinerlich und selbstzerstörerisch, bis er schließlich aus der Defensive kommt.

Wie das Schicksal über die Hauptfigur hereinbricht, lässt an Über uns das All denken, was die Entfremdung zu seiner Umwelt angeht, erinnert er eher an Formentera oder Alle Anderen; und wenn es zum Krieg der Geschlechter kommt, könnte man Höhere Gewalt als Referenz heranziehen. Und doch ist Özges ein selbstbewusstes Stück deutsches Kino gelungen, das den Vergleich zur Elite des heimischen Films nicht scheut, ihn aber nicht braucht. Auch wenn leider gerade die zwei zentralen Szenen – Karstens Gespräch mit dem Ehemann der Verstorbenen sowie eine fiese Abrechnung mit der Freundin von Laura – nicht zu den größten Stärken des Films zählen und Auf einmal in solchen Momenten kurz droht, Özge zu entgleiten, ist das Finale in seiner Konsequenz dann doch so gut, dass es alles andere vergessen lässt. Auf einmal macht es WUMMS und ein Mensch ist ein anderer.“Leckt mich doch alle, ihr Wichser“, schleudert Karsten später im Film wütend der Welt entgegen. Denn Angriff ist die beste Verteidigung.

Auf einmal ist jemand tot. Ein anderer wird befördert. Die Schwachen gehen unter, die Starken überleben. Und die herrschende Klasse sitzt ein wenig fester im Sattel. Auf einmal ist alles wie immer. „Macht ist ein produktives Prinzip in der Gesellschaft“, schreibt Michel Foucault in Überwachen und Strafen, „sie bringt Wissen hervor, erschafft durch ihre Kontrolle das Individuum und ganze Institutionen und Techniken.“ Mag Özge mit der Schrotflinte auch noch so wild in alle Richtungen feuern – am Ende trifft sie präzise genau ins Schwarze. Ein intensiver, hervorragend gespielter, starker Film!
 

Auf Einmal (2016)

Nach einer Party in Karstens Wohnung gehen alle nach Hause, nur Anna bleibt. Karsten fühlt sich von der mysteriösen jungen Frau angezogen. Ein unvorhergesehenes Ereignis und ein Moment der Schwäche verändern alles, Karsten verliert die Kontrolle über sein wohlgeordnetes Leben in einer deutschen Kleinstadt. Spannungen in der Familie und im Freundeskreis folgen; der Versuch, so weiterzuleben, als wäre nichts passiert, scheitert. Aus Enttäuschung erwachsen Wut und Unrecht, das Unheil nimmt seinen Lauf, und als er meint, sein Leben wieder im Griff zu haben, ist er ein anderer geworden.

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