Auf der sicheren Seite

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

My home is my castle

Auch wenn man unter einem Ghetto normalerweise etwas Anderes versteht – „gated communities“, wie sie überall auf der Welt, vor allem aber in den USA, in Südafrika, Brasilien und Argentinien zu finden sind, sind letzten Endes genauso die städtebauliche Ausdrucksform einer Abgrenzung wie die Judenghettos des Mittelalters. Freilich mit dem Unterschied, dass in den „gated communities“ nicht die Geächteten und von der Gesellschaft Diskriminierten Zuflucht finden, sondern vielmehr deren privilegierte Mitglieder. In ihrer Dokumentation Auf der sicheren Seite untersuchen die beiden Filmemacher Corinna Wichmann und Lukas Schmid das Leben in solchen von ihrer Umwelt abgeschotteten Wohngebieten und stellen drei „gated communities“ und ihre Bewohner vor. Der Blick hinter den Zaun verrät zwar manches über die Idee und Haltung, lässt aber viele Fragen offen.
Der Film beginnt in Dainfern, einer mit einem doppelten Zaun gesicherten Wohnanlage in Johannesburg, der Stadt mit der höchsten Mordrate der Welt. Hier treffen wir die Immobilienmaklerin Brenda, die für den Verkauf der Wohneinheiten zuständig ist. Anschließend geht die Reise weiter nach Indien, ins IT-Mekka Bangalore, wo Mr. Misra von seinem „Baby“ Palm Meadows schwärmt und in den gated communities sogar einen der Gründe sieht, warum es so viele gut ausgebildete Computerspezialisten vom Subkontinent zurück in die Heimat zieht – weil sie hier trotz chaotischer Lebensumstände vor den Toren ihres Domizils die Möglichkeit haben, ihren amerikanisch oder europäisch geprägten Lifestyle fortzuführen. Und schließlich wenden sich die beiden Regisseure der Wohnanlage Spanish Trail in Las Vegas zu, wo wir den Bewohner Stacey bei seinen alltäglichen Gängen durch das Viertel begleiten. Und hier lernt man auch die Schattenseiten kennen: Es sei schwierig, mit den Mitbewohnern in Kontakt zu kommen, klagt der agile Pensionär. Wenn man freilich später sieht, wie die Eigentümergemeinschaft rigoros ästhetisch misslungene Vorgartengestaltungen abkanzelt und sich zum Geschmacksrichter aufspielt, möchte man am liebsten Stacey davon abraten, mit seinen Mitbewohnern allzu viel zu tun zu haben. Im lockeren Wechsel pendelt der Film im Folgenden zwischen den drei „communities“ und zeigt manchmal auch – wie etwa in Südafrika – das Leben derer, die als dienstbare Geister nur zeitweisen Zutritt zu der hermetischen Welt der Reichen und Prvilegierten haben – sie sind in Dainfern ausnahmslos farbige Südafrikaner, auch wenn Brenda zuvor erklärt hatte, die community sei bunt gemischt. Möglicherweise ist dies jedoch lediglich ein Lippenbekenntnis zu den Strömungen des Zeitgeistes der „political correctness“.

Keine Frage: gated communities werden immer mehr zu einem Phänomen, das allem Anschein nach typisch ist für unseren zunehmend paranoiden und soziale Unterschiede betonenden Zeitgeist. In Spanien, Frankreich und England gibt es ebenso Interessenten wie in den früheren Ostblock-Staaten, wo die Nachfrage nach Wohnmöglichkeiten auf der sicheren Seite das Angebot längst übersteigt. Kaum sind die Grenzen zwischen den Staaten und politischen Blöcken überwunden, werden neue und ebenfalls undurchdringliche Mauern und Demarkationslinien errichtet – wie bizarr. Die Spaltung der Gesellschaft in isolierte Eliten und den ganzen Rest – sie findet in den abgeschirmten Wohnvierteln ihren deutlichsten Ausdruck.

Mittlerweile gibt es auch die erste Beispiele auf deutschem Boden, so etwa in Potsdam, wo in einem Areal namens Arcadia 45 Wohnungen und sieben Villen auf einem 2,8 Hektar großen Gelände in bester Lage entstanden sind. Schade, dass die Filmemacher hier nicht gedreht haben (oder womöglich dies nicht genehmigt bekamen). Eine weitere gated community ist mittlerweile ein Leipzig entstanden, wie die zahlreichen neuen Projekte am Ende des Films zeigen, ist dies erst der Anfang eines Trends, der sich – so ist zu vermuten – in den nächsten Jahren noch fortsetzen wird.

Der Zutritt zum hermetischen Reich der Privilegierten hat aber seinen Preis. Und das merkt man auch diesem Film an. Insistierende Nachfragen über die Motive und Haltungen der Bewohner sucht man zumeist vergebens – von einigen eher beiläufigen kritischen Äußerungen einmal abgesehen. Der Verzicht auf einen Kommentar macht aus dem Film vor allem eine Beschreibung, weniger eine fundierte Analyse, was dem Film einiges von seiner Brisanz und vor allem Relevanz nimmt. Gut möglich, dass sich bei allzu kritischem Bohren die Türen der Trutzburgen für die beiden Filmemacher geschlossen hätten. Dennoch: Ein wenig mehr Konfrontation hätte man sich schon gewünscht. So bietet Auf der sicheren Seite zwar durchaus interessante und manchmal auch beredte Einblicke, die Analyse dessen, was man zu sehen bekam, muss der Zuschauer schon alleine leisten. Trotz der unbestreitbaren Faszination, die von diesem brisanten Thema ausgeht, vermisst man doch historische und soziologische Hintergründe, die dem Film mehr Tiefe verliehen hätten. So aber kratzt Auf der sicheren Seite allenfalls an der schmucken und vielfach entsetzlich sterilen Oberfläche der Trutzburgen gegen die Niederungen des Lebens.

Auf der sicheren Seite

Auch wenn man unter einem Ghetto normalerweise etwas Anderes versteht – „gated communities“, wie sie überall auf der Welt, vor allem aber in den USA, in Südafrika, Brasilien und Argentinien zu finden sind, sind letzten Endes genauso die städtebauliche Ausdrucksform einer Abgrenzung wie die Judenghettos des Mittelalters.
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