Archipelago

Eine Filmkritik von Lida Bach

(K)Ein Mensch ist eine Insel

Archipel: eine Gruppe von Inseln, die in dichter Anordnung über das Meer verstreut liegen. Jede ein Landbrocken für sich, ohne Verbindung zum Festland, zu anderen Inselgruppen oder zu einander und doch weißt der Name sie als Teil eines zusammengehörigen Ganzen aus. Tresco ist eine der sizilianischen Inseln und die sizilianischen Inseln sind ein Archipel. Einst waren sie eine einzige Insel, die eine unbekannte Katastrophe untergehen ließ. Das in den wachsenden Schatten des Spätherbstes ruhende Idyll – ein Rudiment unheilbarer Zerstörung, so endgültig, dass mit dem Untergang auch die Erinnerung daran versank. Manche Szenarien sind so trostlos, so angsterregend und unbarmherzig, dass sie ihre wahre Natur nur verschlüsselt zeigen können. Ein solches Vexierbild ist Archipelago.
Das in sich gekehrte Drama, das Joanna Hogg um die stille Desintegration einer Familie der privilegierten englischen Oberschicht hegt, besitzt die hypnotische Anziehungskraft eines jener magischen Bilder, die einem flüchtigen Blick nach nur als Farbtupfer scheinen. Bei intensiverem Schauen kristallisieren sich aus dem Meer einzelner Punkte die Konturen des eigentlichen Bildes. Immer detaillierter, immer mehr fesselt es, bis es abrupt wieder in dem Halbdunkel versinkt, aus dem es auftauchte. In ihrem zweiten Spielfilm nach Unrelated legt die Regisseurin ein Mosaik intensiver Ensembleszenen vor dem Zuschauer aus, der selbst die richtige Distanz finden muss, um das komplexe Gruppenporträt zu erkennen. Zwei Versionen dieses Porträts stellt Archipelago einander gegenüber, die in ihrer Positionierung am Anfang und Ende des Films und ihrer Machart die Verkörperung von Gegensätzlichkeit zu sein scheinen und dennoch spiegelgleich sind.

Das erste ist das Gemälde der Eröffnungseinstellung, dessen warme Töne im Kontrast zu den entsättigten Grün- und Braunabstufungen der Küstenlandschaft stehen. Ihr schroffes Relief zeichnet der philosophierende Künstler Christopher, der einer der beiden zurückhaltenden Beobachter des bitteren Abschiedsfests ist, dass seine alternde Nachbarin Patricia (Kate Fahy) für ihren Sohn gibt. „Ich denke, hart sein heißt sich treu zu bleiben“, sagt der von dem realen Maler Christopher Baker verkörperten Künstler zu Edward (Tom Hiddleston), der ein Jahr in Afrika arbeiten wird. „Sein Aussteigerjahr“ nennt seine jüngere Schwester Cynthia (Lydia Leonard) den nie konkretisierten Auslandsaufenthalt spöttisch. „Er hat zu viel Mitgefühl“, so drückt es Patricia mit vornehmer Resignation aus. Für die von Leonard und Fahy mit rauer Eindringlichkeit geformten Frauenfiguren sind der bissige Sarkasmus und die gedrückte Eleganz der einzige Weg für sie, ihre verkümmerten Gefühle mitzuteilen.

Gleich dem Künstler Christopher und der Hausköchin Rose (Amy Lloyd) haben sie in ihrer Eigenheit einen Rest individueller Autarkie bewahrt, die Edward abhanden gekommen ist. Seine Sinnkrise ist eine Mischung aus halbherzigem Idealismus und vager Unzufriedenheit, die er ebenso wenig ergründen kann wie Mutter und Schwester. Der nur als Telefonstimme präsente Vater wird zum Symbol für das Abwesende, von dem sich die Protagonisten das Stillen ihrer inneren Leere erhoffen, ohne vollkommen zu wissen, was ihnen fehlt. Die düstere Humoreske erklärt sich nicht durch Soundtrack, Kamerafahrten oder Dialoge. Die Aufnahmen verharren in der gleichen Starre, die gleich einem Albdruck über den trüben Nachmittagen der Protagonisten kauert. Statt instrumentaler Musik kreieren die Naturlaute der Landschaft eine ureigene Klangfarbe. Anstelle der ausweichenden und verkappten Worte der Charaktere verleihen die verschachtelten Bildmetaphern deren emotionaler Zurückgezogenheit Ausdruck.

Fast alle deuten sie auf den Zerfall einer äußeren Struktur, die den Moment der Auflösung in der Maske besonderer Schönheit begeht. Das Herbstlaub ist tatsächlich nur eine Ansammlung toter Blätter, die der Wind in alle Richtungen zerstiebt. Das zweite der beiden metaphorischen Gruppenporträts wird abgehängt in einem symbolischen Akt, der die endgültige Zerfaserung des familiären Geflechts ausdrückt. Familie seien die, die man am meisten liebe und brauche, heißt es einmal in Archipelago. Doch wie Cynthia erwidert: „Das ist Familie einfach nicht.“

Archipelago

Archipel: eine Gruppe von Inseln, die in dichter Anordnung über das Meer verstreut liegen. Jede ein Landbrocken für sich, ohne Verbindung zum Festland, zu anderen Inselgruppen oder zu einander und doch weißt der Name sie als Teil eines zusammengehörigen Ganzen aus. Tresco ist eine der sizilianischen Inseln und die sizilianischen Inseln sind ein Archipel.
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