Anonymus

Eine Filmkritik von Florian Koch

Ein Betrüger namens Shakespeare

Er hat ganze Städte in die Luft gejagt, den Untergang der Welt beschworen und Godzilla wieder auferstehen lassen. Und die Zuschauer haben sich dabei – zumeist — amüsiert. Dass Roland Emmerich aber mehr kann als aufwendige Popcornspektakel zu inszenieren, das zeigt sein neuer Film Ein Betrüger namens Shakespeare, den das „Spielbergle von Sindelfingen“ für ein fast schon bescheidenes Budget von ca. 30 Millionen Euro in Babelsberg inszenierte. Mit seinem faszinierenden Historienthriller beweist Emmerich auch, dass nicht nur explosive Geschosse sondern auch brisante Inhalte eine enorme Sprengkraft haben können.
Bereits der Prolog von Anonymus ist geschickt gewählt. Die Kamera schlängelt sich durch die stark bevölkerten Straßen von New York, bis endlich ein Theater angesteuert wird. Hier zeigt Emmerich erst den Bühnenapparat, den Blick hinter die Kulissen, bevor der legendäre Shakespeare-Darsteller Sir Derek Jacobi endlich die Bühne betreten darf. Als das Scheinwerferlicht ganz auf ihn gerichtet ist, beginnt er genüsslich, aber auch ernsthaft seinen Vortrag, der die alles entscheidende Frage nach dem Verfasser solch zeitloser Werke wie Romeo und Julia und Hamlet zum Thema hat. Und wie sollte es anders sein, Jacobi negiert, dass Shakespeare jemals ein Wort geschrieben hat, das heute auf den Bühnen dieser Welt noch rezitiert wird.

Elegant blendet Emmerich nach dieser provokativen Einführung ins 16. Jahrhundert, in das elisabethanische England, das eine düstere Welt voller Dreck, Gewalt und Armut offenbart. Der Fokus liegt zuerst auf Ben Jonson (Sebastian Armesto), einem mäßig begabten Autor, der im Theater noch hektisch verschiedenste Schriftrollen versteckt, bevor er verhaftet und im Anschluss von Robert Cecil (Edward Hogg) verhört wird. Ist dieser Mann also derjenige, der hinter den großen Dramen Shakespeares steht? Emmerich legt wie ein Thriller-Meisterregisseur gleich zu Beginn von Anonymus viele Story-Lunten aus – nur um sie erst einmal nicht zu entzünden. Denn nach der Verhaftung springt er wieder ein paar Jahre zurück, um die Figur von Edward de Vere (Jamie Campbell Bower), dem 17. Earl von Oxford, einzuführen. Dieser junge Mann hat gerade seinen Vater verloren, und muss sich am Hof von Queen Elizabeth I. (Joely Richardson) dem Einfluss des kulturfeindlichen Königin-Beraters Sir William Cecil (David Thewlis) erwehren. Sir William, der misanthrope Vater von Robert, will de Vere zu einem potentiellen Nachfolger der Queen aufbauen, was aber daran scheitert, dass der sich mehr fürs Stücke schreiben als für die Politik interessiert. Um nicht gänzlich seinen Einfluss auf ihn zu verlieren, arrangiert Sir William schließlich eine Zwangsheirat von de Vere mit seiner Tochter.

Wer sich im elisabethanischen Ränkespiel bisher wenig ausgekannt hat, dem könnte die erste Stunde von Anonymus zu schaffen machen. Emmerich hält sich im Namedropping nicht zurück und bombardiert den Zuschauer förmlich mit Fakten, Spekulationen und politischen Einzelheiten, die ein ständiges Mitdenken erfordern. Dadurch geht trotz hohem Tempo und einer edlen Ausstattung, die sich auch vor einem oscarprämierten Film wie Shakespeare in Love nicht zu verstecken braucht, ein wenig die Spannung flöten. Aber spätestens nach den nächsten Zeitsprüngen, wenn Rhys Ifans den älteren, snobistischen Edward de Vere verkörpern darf, kann man sich dem Sog des ungemein atmosphärischen Films nicht mehr entziehen. Beflügelt wird diese Sogwirkung mit der Einführung des „echten“ William Shakespeare (Rafe Spell), der bei Emmerich nicht mehr sein darf als ein eitler, talentfreier Selbstdarsteller, der noch nicht einmal schreiben kann. Dieser Shakespeare ist für de Vere natürlich eine willige Marionette, auch wenn er lieber Ben Jonson als vermeintlichen Autor seiner Werke engagiert hätte. Auf die Frage, warum de Vere die Stücke im Globe nicht unter seinem Namen aufführen lässt, hat Emmerich eine einfache, politische Antwort. Er will die verhassten Cecils, und besonders den buckligen Robert, auf der Bühne vorführen, das Volk gegen sie und die intrigante, queen-feindliche Politikerkaste aufhetzen. Würde er diese Spitzen unter seinem Namen veröffentlichen, de Vere, dem auch ein Verhältnis mit der Queen nachgesagt wird, wäre seines Lebens nicht mehr froh.

Ob diese Deutung auch den historischen Tatsachen entspricht, ist mehr als fragwürdig. Aber um eine eindeutige Identifizierung des Autors solcher Meisterwerke wie Hamlet oder Othello geht es Emmerich hier gar nicht. Sonst wären historische Ungenauigkeiten, wie eine Verwechslung von Richard II. mit Richard III. und falsche Aufführungszeiten, nicht zu verzeihen. Emmerich nimmt sich in Anonymus bewusst viele Freiheiten, und bezieht sich dabei deutlich auf Kurt Kreilers Buch Der Mann, der Shakespeare erfand: Edward de Vere. Sicher kommen dabei keine neuen Erkenntnisse zur großen Urheberschaftsfrage heraus. Aber viel wichtiger ist es doch, dass es Emmerich gelingt, nicht nur ein spannendes politisches Intrigen-Netz zu entspinnen, sondern die Faszination von Shakespeares Dramen sichtbar und fühlbar zu machen. Immer wieder zeigt der Film klug ausgewählte, längere Passagen aus seinen Stücken. Dabei dürfen natürlich Auftritte von Puck aus Ein Sommernachtstraum, der berühmte Anfangs-Monolog aus Richard III oder der Macbeth-Hexeneinstieg nicht fehlen. Emmerich mixt hier ein Best-of-Shakespeare-Konglomerat zusammen, das glücklicherweise selten aufgesetzt wirkt.

Erstaunlich an der Inszenierung von Emmerich ist die große Stilsicherheit. Als hätte er zuvor ausschließlich Historienfilme inszeniert, sitzen hier nicht nur die Kostüme und die sprachlichen Spitzen, die man unbedingt im englischen Original genießen sollte. Auch die opulenten Bildkompositionen wirken nie aufgesetzt, künstlich oder selbstzweckhaft. Da kann sich Paul W.S. Andersons Die drei Musketiere, eine weitere aktuelle internationale Großproduktion, die in Deutschland gedreht wurde, eine Scheibe abschneiden. Ein Sinnbild für den runden Eindruck, den Anonymus hinterlässt, ist die Filmmusik. Im Gegensatz zum Trailer, bei dem noch Radiohead für die „richtige“ Stimmung herhalten musste, verzichtet man im Film auf jede gewollte Modernisierung. Harald Kloser und Thomas Wanker vermeiden bei ihrem grundsoliden Soundtrack eine pathetische „Zimmerisierung“ und dienen damit vortrefflich dem verwickelten, komplexen Plot.

Zum Gelingen von Anonymus trägt natürlich auch die erstklassige britische Darstellerriege bei, bei der nur Sebastian Armesto mit seiner unangenehm prollig-kehligen Stimme und seinem überzogenen Gesten- und Mimikspiel aus der Reihe fällt. Rhys Ifans, den man immer noch als Hugh Grants Taucherbrillen-Kumpel aus Notting Hill in Erinnerung hat, brilliert als Edward de Vere. Besonders beeindruckend gelingen ihm die Szenen im Theater, wenn man förmlich seinen Schmerz zu spüren glaubt, dass sich da ein Nichtskönner für seine Stücke feiern lässt. Schauspielerisch steht ihm Edward Hogg in nichts nach, der als innerlich vor Neid, Selbsthass und Machtgier zerfressener William Cecil einen wunderbaren Antagonisten abgibt. Herauszuheben aus dem starken Ensemble ist noch die wie immer famose Oscarpreisträgerin Vanessa Redgrave, die der älteren Queen Elizabeth I. eine Zerbrechlichkeit, Verzweiflung und dann doch wieder Kraft verleiht, die einen umhaut.

Wer Roland Emmerich, der tatsächlich überlegt haben soll, auf seinen Namen im Zusammenhang mit Anonymus zu verzichten, bereits als ewigen Blockbuster-Regisseur abgestempelt hat, der sollte seine Meinung noch einmal überdenken. Denn mit Anonymus hat Emmerich einen Film gedreht, der nicht nur der mit Abstand Beste in seinem Oeuvre ist, sondern der es auch mit der internationalen Konkurrenz aufnehmen kann. Es bleibt zu hoffen, dass auch die Zuschauer seinem packenden Historienthriller eine Chance geben, und danach herzhaft über den „wahren“ Shakespeare diskutieren. Der Rest ist Schweigen.

Anonymus

Er hat ganze Städte in die Luft gejagt, den Untergang der Welt beschworen und Godzilla wieder auferstehen lassen. Und die Zuschauer haben sich dabei – zumeist — amüsiert. Dass Roland Emmerich aber mehr kann als aufwendige Popcornspektakel zu inszenieren, das zeigt sein neuer Film „Anonymus“, den das „Spielbergle von Sindelfingen“ für ein fast schon bescheidenes Budget von ca. 30 Millionen Euro in Babelsberg inszenierte. Mit seinem faszinierenden Historienthriller beweist Emmerich auch, dass nicht nur explosive Geschosse sondern auch brisante Inhalte eine enorme Sprengkraft haben können.
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Meinungen

@Rita · 17.11.2011

10.11. war der Bundesstart - heißt nicht, dass der Film jetzt in jedem kino läuft. Grüsse, Mike

Rita · 16.11.2011

Wann kommt er denn nun? Da steht 10.11.2011 ist aber bis heute nicht draußen :(

Norbert Kopec · 10.11.2011

Hervorragend gemachter Film. Es erweißt sich immer wieder was Roland Emmerich kann wie auch in der Rezension stimmt alles.Nach dem Trailer kann mann nur gespannt seien auf den
Gesamten Film. Wiklich Hervorragend mehr dazu zu sagen wäre als wenn mann Eulen nach Athen
Tragen würde. Deutsche Filmindustrie aufgepasst. Gebt ihm Geld und Lasst Ihn arbeiten es
kommt immer was gutes dabei heraus!!!

Nole · 23.10.2011

Bin ziemlich begeistert von dem Trailer. Die Geschichte um de Vere ist bestimmt sehr interessant.

Marian · 11.10.2011

Ich freu mich schon total auf den Film, sieht echt toll aus!