Amerikanisches Idyll

Ein Leben explodiert

Der schottische Schauspieler Ewan McGregor — einst bekannt geworden durch die Verkörperung eines Drogensüchtigen in Danny Boyles Trainspotting (1996) und seither im Blockbuster-Kino ebenso präsent wie in internationalen Arthouse-Produktionen — wagt sich für sein Debüt als Langfilmregisseur an ein mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnetes Werk von Philip Roth heran. Amerikanisches Idyll (im Original lautet der Titel American Pastoral) ist die Umsetzung des gleichnamigen Romans aus dem Jahre 1997, zu der John Romano bereits 2006 das Drehbuch verfasste. Es geht um einen Mann und dessen Familie, deren Leben zunächst wie das Musterbild des American Dream erscheint — bis dieses Bild im Zuge der politischen und sozialen Veränderungen in den 1960er Jahren immer mehr Risse bekommt und eines Tages völlig zerstört wird.

Erzählt wird die Geschichte aus der Rückschau. Als Nathan Zuckerman (David Strathairn) Mitte der 1990er Jahre ein Highschool-Klassentreffen in Newark besucht, begegnet er seinem Jugendfreund Jerry Levov (Rupert Evans) und erfährt, dass dessen älterer Bruder Seymour (McGregor), genannt „Swede“, kürzlich verstorben ist. Seymour war der äußerst beliebte Captain des Football-Teams und fand später in der ehemaligen „Miss New Jersey“ Dawn (Jennifer Connelly) seine Verlobte. Es gelang der irisch-katholischen jungen Frau, Seymours Vater Lou (Peter Riegert) — einen jüdischen Geschäftsmann — trotz divergierender religiöser Ansichten dazu zu bringen, der Hochzeit zuzustimmen; alsbald übernahm Seymour die Leitung in Lous Handschuhfabrik. Das Ehepaar zog in die republikanisch geprägte Gegend Old Rimrock in ein großes Farmhaus, wo sich Dawn der Zucht von Kühen widmete. Mit der gemeinsamen Tochter Merry (als 8-Jährige: Ocean James, als 12-Jährige: Hannah Nordberg) schien das Glück der Levovs besiegelt. Doch als Merry zum rebellischen Teenager (nun von Dakota Fanning verkörpert) heranwuchs, driftete sie in ihrem Protest gegen den Vietnamkrieg in die Radikalität ab. Kurz nachdem eine Bombe im örtlichen Postamt explodierte und einen Mann tötete, verschwand die 16-Jährige.

Der Einstieg in McGregors Verfilmung ist ein bisschen holprig geraten. Die Beziehung, die der Schriftsteller Nathan Zuckerman (in der literarischen Vorlage recht deutlich als Roths Alter Ego gezeichnet) zu Seymour hat, wird bei Roth präziser gestaltet; zudem wird die Schilderung von Seymours Bruder Jerry dort durch Recherchen von Nathan ergänzt und vertieft, sodass die Doppelung einer Erzählerfigur einen gewissen Mehrwert hat. Wenn Jerry in der Leinwandversion zu berichten beginnt und nach wenigen Worten von Nathan via Voice-over sowie dem einsetzenden Score übertönt wird, wirkt dies hingegen umständlich und unnötig — zumal weder Nathan noch Jerry im weiteren Verlauf des Films wichtige Rollen zukommen. Seine Stärken entfaltet Amerikanisches Idyll jedoch, sobald das Publikum Teil von Seymours vergangener Welt wird. Die Kostüme sowie das an Edward Hopper gemahnende Produktionsdesign und die Kameraarbeit von Martin Ruhe sind hervorragend — nicht zuletzt deshalb, weil sich der Wandel in Seymours Leben auch in der Ausstattung, dem Licht und den verwendeten Farben zeigt. Die Milieus, in denen sich die Levovs bewegen, werden treffend eingefangen; in einzelnen Passagen wird das Amerikabild, das Roths Roman vermittelt, kongenial ins Audiovisuelle übersetzt — etwa in der Szene, die mit der Detonation des Postamts endet. Das einmontierte Archivmaterial (unter anderem vom Vietnamkrieg, den Straßenaufständen und der Mondlandung) mutet im Vergleich zu diesen prägnanten Momenten eher beliebig an; ebenso ist der Einsatz zeitgenössischer Songs wie For What It’s Worth von Buffalo Springfield entschieden weniger inspiriert als die wuchtigen Klänge des Komponisten Alexandre Desplat.

Als Hauptdarsteller vermag McGregor mit seiner Interpretation eines Mannes, der in eine existenzielle Krise abrutscht, vollauf zu überzeugen. Und auch die Führung seiner Ensemble-Mitglieder sowie die Interaktion mit ihnen sind bemerkenswert. Jennifer Connelly wird als entschlossen auftretende Frau eingeführt, die sich ein herrliches Dialog-Duell mit Seymours Vater liefert, um für ihre Zukunft zu kämpfen; Jahre später taumelt Dawn dann am Rande des Nervenzusammenbruchs. Sowohl in den Szenen um Dawns emotionalen Zustand als auch in den Vater-Tochter-Situationen treibt McGregor das eigene Spiel sowie das seiner Leinwandpartnerinnen in theatralische Gefilde — was indes im Rahmen der Inszenierung durchaus funktioniert. Dakota Fanning lässt in ihrer Darbietung erkennen, dass die seit ihrer Kindheit stotternde Merry eine intelligente, jedoch in ihrem jugendlichen Zorn extrem irrational handelnde Person ist. Die Leistung des seit jeher starken Ex-Kinderstars ist wirklich beeindruckend; obendrein lassen sich erschreckende aktuelle Bezüge zu Merrys Irrweg von der Aktivistin zur Terroristin herstellen. In den Nebenrollen finden sich weitere komplexe weibliche Figuren — etwa die von Valorie Curry furios verkörperte Rita, die sich gegenüber Seymour nach Merrys Verschwinden als deren Freundin ausgibt. Amerikanisches Idyll mag keine makellose Adaption des Roth-Romans sein; ohne Zweifel ist McGregor aber ein sehr interessanter historischer Film mit großartigem Team gelungen.

(Festivalkritik San Sebastián von Andreas Köhnemann)

Amerikanisches Idyll

Der schottische Schauspieler Ewan McGregor — einst bekannt geworden durch die Verkörperung eines Drogensüchtigen in Danny Boyles „Trainspotting“ (1996) und seither im Blockbuster-Kino ebenso präsent wie in internationalen Arthouse-Produktionen — wagt sich für sein Debüt als Langfilmregisseur an ein mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnetes Werk von Philip Roth heran.

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