Aaltra (2004)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Ein Roadmovie auf vier ganz besonderen Rädern

Wenn zwei befreundete französische Comedian-Stars gemeinsam ein Drehbuch verfassen, es in eigener Regie realisieren und zudem noch die beiden Hauptdarsteller verkörpern, ist das schon ungewöhnlich. Wenn sie zusätzlich noch den finnischen Regisseur Aki Kaurismäki als Darsteller ihres Gegenspielers für ihren Film gewinnen können, der an der Seite von professionellen Schauspielern und Laien in diesem Projekt agiert, das Raum für Improvisationen und die Integration des Zufalls bei den Dreharbeiten lässt, darf der Film mit ganz besonderer Spannung nun auch in den deutschen Kinos erwartet werden.

Nachbarschaftsstreitereien sind ein unerquickliches Thema, doch wenn sie wie bei Ben (Benoît Delépine) und Gus (Gustave Kevern) neben der Arbeit ihren gesamten Lebensinhalt ausmachen, stellen sie eine persönliche Hölle dar. Die beiden allein stehenden Männer, die nebeneinander an einer Landstraße irgendwo im Norden Frankreichs leben, verbindet ein abgrundtiefer Hass miteinander, den sie ebenso intensiv pflegen wie andere Menschen ihre Freundschaften. Als die angespannte Stimmung schließlich in einer Prügelei eskaliert, werden sie vom Anhänger eines Traktors beinahe erschlagen – und dieser ist von der Marke Aaltra. Fortan verweben sich ihre Schicksale immer näher ineinander: Beide sind anschließend von der Hüfte an abwärts gelähmt, beide denken unabhängig voneinander zunächst daran, aus dem Leben zu scheiden, und letztlich entscheiden sich beide dazu, im Rollstuhl eine Reise anzutreten. Während Gus sich auf den Weg nach Finnland begibt, um den Hersteller des Aaltra-Traktors (Aki Kaurismäki) zur Zahlung einer Entschädigung zu bewegen, plant Ben, sich ein Motocross-Rennen anzuschauen.

Doch bereits auf dem Bahnhof begegnen sich die Männer erneut, deren Pfade offensichtlich unverbrüchlich miteinander verbunden sind, und das erste Mal entschließen sie sich dazu, zu paktieren und in eine gemeinsame Richtung aufzubrechen: nach Finnland zum Aaltra-Werk.
Nun beginnt ein Unterwegssein der ganz besonderen Art, denn die widerborstigen Rollstuhlfahrer, die nun wenig zu verlieren, aber einiges zu gewinnen haben, trampen durch Europa Richtung Norden und erobern sich ihren Platz in einer Welt, deren spontanes Mitgefühl sie skrupellos ausnutzen. Und dabei steht ihnen das Wasser mitunter nicht nur sprichwörtlich bis zum Hals …

Aaltra gereicht dem Genre des Roadmovies absolut zur Ehre, wobei das Regieteam Delépine / Kevern sein Spielfilmdebüt durch die flexible Umsetzung des Drehbuchs, orientiert an den konkreten Gegebenheiten während der Realisierung, mit einer belebenden Authenzität inszeniert. Die Wendungen der Geschichte erscheinen so unwegsam wie das Leben selbst, fügen sich aber gelungen in die verborgenen Zusammenhänge der Dramaturgie ein, so dass eine grandiose Komödie entsteht. Dass dabei die gängigen Klischees über Menschen mit Behinderungen und ihr Verhalten der Umwelt gegenüber drastisch über den Haufen geschmissen werden, verleiht dem Film seinen absurd anmutenden Humor und damit einen ganz besonderen, bei Zeiten derben Charme. Die Bildsprache von Aaltra verzichtet zu Gunsten einer schlichten Intensität auf Farbe und bedient sich zudem einer innovativen filmischen Erzählform, die den Zuschauer in eine schwarz-weiß gehaltene Welt entführt, die ihn der Trägheit einer befriedigten Erwartungshaltung entreißt.

Noch in einer weiteren Hinsicht stellt Aaltra ein Debüt dar: Es ist der erste Film, der von dem neu gegründeten Verleih Weltecho betreut wird, der aus der Dresdner Filmproduktionsfirma Kombinat hervorgegangen ist, die durch Filme wie Schultze gets the Blues ein Begriff ist. Das neue Unternehmen hat es sich zum Ziel gesetzt, sein Programm mit kleinen internationalen Produktionen zu gestalten, die auf Festivals gezeigt werden, so dass Aaltra sicherlich einen passenden Auftakt darstellt. Der Film wurde auf über einem Dutzend Festivals weltweit gezeigt und erhielt dabei Auszeichnungen als bestes Spielfilmdebüt (Fipresci International Critics Award), zwei Mal den Publikumspreis (Transilvania International Film Festival und Indie Lisboa International Filmfestival) sowie den Preis für die besten Hauptdarsteller (Puchon International Fantastic Film Festival).

In den deutschen Kinos wird der Film im französischen Original mit deutschen Untertiteln zu sehen sein, was den sprachlichen Witz, der von den eindrucksvollen, aussagekräftigen Bildern getragen wird, jedoch nicht behindert.
 

Aaltra (2004)

Wenn zwei befreundete französische Comedian-Stars gemeinsam ein Drehbuch verfassen, es in eigener Regie realisieren und zudem noch die beiden Hauptdarsteller verkörpern, ist das schon ungewöhnlich.

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Meinungen

· 05.12.2007

Hab den Film nachts im TV geschaut und sehr gelacht. Herrlich schräg und derbe! Die Gags kommen so unerwartet und haben oft was echt Fieses.

Andrula · 14.10.2006

Also ich hab zwar gewiss Sinn für Humor, aber dieser Film hat mir einfach nicht gefallen...
Einzelne Gags sind ganz witzig... mir wars zu wenig!

Nachtrag · 21.08.2006

Das ist echte Filmkunst, die wunderbar unterhält! Und Kaurismäki ist noch immer zum Verlieben cool!

Ichsagnur:Sony · 21.08.2006

Als humorarme Person habe ich bei diesem schrägen Film mit den düsteren Witzen nicht gelacht, sondern gegröhlt und gebrüllt! Durch die genialen, langsamen Bilder wird man erst einmal seinem Zeitempfinden entrissen und folgt den scheinbar banalen Szenen, die durch unvermittelte minimale Wendungen eine explosive Komik versprühen - vor allem das Ende ist einfach brilliant gestaltet! Muss ich noch einmal sehen!

Akira Kaurismäkina · 06.08.2006

@Linnemann: Auf keinen Fall diesen wundervollen Film ansehen!!! Du müsstest deine grundlos vorgefertigte Meinung revidieren, und für engstirnige Leute ist das immer eine Niederlage!

· 15.07.2006

geniales roadmovie mit wunderbarem schwarzen Humor

· 18.05.2006

Sehr gelungener und amüsanter Film.kann man nur emphelen zu schauen.sehr sehr lustig!

Linnemann · 26.04.2006

Toller Beitrag, warum soll ich gucken, wenn zwei Rollstuhlfahrer sich gegenseitig fertig machen wollen? Interessiert mich überhaupt nicht.

· 26.04.2006

toll
muss man gucken gehen..