A Good American

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der dünne Faden der Wahrheit

Es gibt Dokumentarfilme, die sind geradezu prädestiniert, noch einmal als Spielfilm zu reüssieren. Man denke beispielsweise an Man on Wire von James Marsh aus dem Jahre 2008, der es als Spielfilm im letzten Jahr noch einmal unter dem Titel The Walk (Regie: Robert Zemeckis) in die Kinos schaffte. Dass solches geschieht, liegt nicht allein an der unwiderstehlichen Anziehungskraft, die die magischen Worte „Based on true events“ auf Regisseure und vor allem Produzenten haben, sondern auch an einer ganz besonderen britischen und amerikanischen Tradition, die auch im Buchmarkt ihren Niederschlag findet: Auch non-fiktionale Stoffe und Themen sollen, nein müssen dort so geschrieben sein, dass bei allem Informationsgehalt das Vergnügen und der Spannungsbogen nicht zu kurz kommen. „Erzählendes Sachbuch“ nennt sich das Ganze seit vielen Jahren, lange bevor die neumodische und mittlerweile auf alles aufgepropfte Formel vom „Storytelling“ ihr Unwesen trieb. Analog zu den Sachbuchautoren sind auch Dokumentarfilmer mit dieser Art des Arbeitens vertraut – besonders dann, wenn sie aus dem englischsprachigen Raum kommen.
Der österreichische Filmemacher Friedrich Moser (The Brussels Business) beweist mit seinem Film A Good American nicht nur, dass er das erzählerische Handwerk beherrscht, er erweist sich zudem als ein Regisseur und Autor mit dem richtigen Riecher für relevante Stoffe. Denn die Geschichte seines Films ist derart aktuell und wird uns voraussichtlich noch für die nächsten Jahre beschäftigen, so dass er sich mühelos neben Laura Poitras’ Citizenfour einreiht und diesen gar in einigen Punkten überholt. Was nicht nur daran liegt, dass sich Edward Snowden gegen den langjährigen NSA-Mitarbeiter und früheren Technischen Direktor des Geheimdienstes Bill Binney vergleichsweise unerfahren ausnimmt. Sondern auch an dem Umstand, dass Binneys Einblicke in die Welt der NSA noch viel Weitreichenderes und Abgründigeres offenbaren: Die 9/11-Anschläge und all die Folgen, die sie mit sich brachten, all die unzähligen Menschenleben, die sie kosteten, wären vermeidbar gewesen. Hinzu kommt, dass Binney zwei Jahre vor Snowden zum Whistleblower wurde – während nun alle Welt Snowden entweder hasst oder als Verfechter der Freiheit feiert, drohen Binneys Verdienste in Vergessenheit zu geraten. Nicht allein deshalb ist es gut und wichtig, dass es A Good American gibt.

William Binney, denn alle nur Bill nennen, ist ein Experte für Metadaten, in denen er liest wie in einem offenen Buch. Gemeinsam mit Computerexperten entwickelte der begnadete Datenanalyst ein Programm namens ThinThread, das es ermöglicht, alle Kommunikationsverbindungen der gesamten Welt zu erfassen und deren Metadaten – also nicht die Inhalte der Gespräche, E-Mails etc. – so zu verarbeiten und zu systematisieren, dass sich aus ihnen wie durch Zauberhand Hinweise auf Terrorplanungen und andere geheimdienstlich relevante Tatbestände herauslesen lassen – und das unter größtmöglicher Berücksichtigung der Gesetze zum Schutz der Privatsphäre. Das Wunderprogramm hatte allerdings einen ganz entschiedenen Nachteil: Es war schlicht zu billig. Denn, so Binneys Aussage, nach den Anschlägen vom 11. September 2001 herrschte bei der NSA keinesfalls gedrückte Stimmung oder Niedergeschlagenheit, sondern vielmehr fast schon so etwas wie Euphorie. Nun, so hieß es hinter vorgehaltener Hand, können wir alles von der Regierung bekommen, was wir beantragen. Die Sorge um die nationale Sicherheit und die Hysterie des sich abzeichnenden „War on Terror“ war für einige der führenden Köpfe bei der NSA vor allem eines: Ein Selbstbedienungsladen und eine Geldmaschine, die Millionen und Milliarden in die Taschen obskurer Privatunternehmen lenkte, die häufig von früheren Mitarbeitern der Agency gegründet worden waren. Und die unterhielten natürlich beste Beziehungen zu ihren alten Netzwerken.

Die Skrupellosigkeit dieser anschwellenden Goldgräberstimmung bezog sich aber nicht nur auf die Bereitschaft, sich selbst und alten Freunden und Bekannten auf Kosten des Steuerzahlers die Taschen vollzustopfen. Im Rausch der kommenden fetten Jahre torpedierte man die Bürgerrechte noch gleich mit. ThinThread wurde von den willfährigen Gehilfen des militärisch-industriellen Komplexes im Umfeld der Geheimdienste sämtlicher Sicherheitseinstellungen und Programme zum Schutz der Privatsphäre und der Bürgerrechte beraubt und seine Kernelemente verschiedenen anderen Spionagetools einverleibt. Die Initiatoren und alle Mitarbeiter, die Bedenken äußerten, wurden kalt gestellt und auf andere Posten abgeschoben, sofern sie nicht selbst wie Bill Binney aus Enttäuschung und Verbitterung die NSA verließen. Doch das war noch nicht das Ende der Geschichte …

Man merkt dem Film an, dass Friedrich Moser, wie er selbst bekennt, ein Faible für Spionagegeschichten hat. Seine Kameraarbeit und die Musik versehen die Story mit einem Sog und einer Spannung, der man sich nicht entziehen kann. Allein an einem Punkt bleibt A Good American recht unkonkret und schwammig: Wie genau ThinThread funktioniert, erschließt sich dem Zuschauer mit normalem Kenntnisstand nicht unbedingt nach dem Film. Gut möglich, dass mancher Kinobesucher mit den technischen Details möglicherweise hoffnungslos überfordert wäre. Ebenfalls plausibel erscheint eine gewisse Vorsicht mit allzu detaillierten Darlegungen, weil diese Binney juristisch angreifbar machen würden – wobei: Wer diesen Mann einmal bei einer der zahlreichen Vorführungen erlebt und sein Engagement, seine Aufrichtigkeit, seine Empörung gesehen, gehört und gespürt hat, der glaubt kaum, dass Binney jemand ist, der sich leicht einschüchtern ließe. Womöglich ist der Grund für die Leerstelle und das Fragezeichen, das A Good American an einer Stelle hinterlässt, auch in dem Gesamtkonstrukt zu suchen, in das er eingebettet ist. Um den Enthüllungen eine maximale Aufmerksamkeit zu verschaffen, haben sich Friedrich Moser und seine Mitstreiter eine vielschichtige Strategie einfallen lassen, die eher an eine politische Kampagne als an die normalen Marketingmaßnahmen im Vorfeld eines Filmstarts denken lassen. Unermüdlich bereisen der Regisseur und Bill Binney die Festivals, stehen dort Rede und Antwort, treffen sich mit Politikern, Aktivisten und anderen Multiplikatoren. Ergänzend zum Kinostart (auch in den USA) soll es zudem eine Online-Kampagne geben – und da ist es logisch, dass das Gesamtkonzept Material auch auf anderen Kanälen ausspielt. Es geht hier weniger um den Erfolg eines Filmes (so sehr dieser den Machern auch zu wünschen wäre), sondern um eine größtmögliche Hebelwirkung, um dem Thema Überwachung und Missstände bei den Geheimdiensten die verdiente Aufmerksamkeit zu verschaffen. Angesichts der Brisanz des Themas überwiegt das Verständnis für diese Entscheidung über den (einzigen und sehr geringen) Wermutstropfen, den A Good American bereithält. Die Pillen, die der Film dem Zuschauer verabreicht, schmecken mit Sicherheit viel bitterer.

Wie relevant der Film gerade in diesen Tagen ist, zeigte sich am 22. März 2016, als die Bomben der Attentäter auf dem Brüsseler Flughafen Zaventem explodierten. Just an jenem Tag befanden sich Friedrich Moser und Bill Binney in der Stadt, um den Film dort Angehörigen des Europaparlaments vorzuführen. Das für die Mittagszeit angesetzte Screening geriet angesichts der Ereignisse in Brüssel zu einer Nebensache, aufgrund der Sicherheitsmechanismen kamen von 100 Parlamentariern gerade mal 15 zu der Vorstellung. Und das just an dem Tag, an dem das Versagen der Sicherheitsbehörden weltweit mehr als offensichtlich wurde. Umso mehr ist es dem Film zu wünschen, dass seine Botschaft nicht ungehört verhallt.

A Good American

Es gibt Dokumentarfilme, die sind geradezu prädestiniert, noch einmal als Spielfilm zu reüssieren. Man denke beispielsweise an „Man on Wire“ von James Marsh aus dem Jahre 2008, der es als Spielfilm im letzten Jahr noch einmal unter dem Titel „The Walk“ (Regie: Robert Zemeckis) in die Kinos schaffte.
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