The Witch (2015)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Neue Welt, alte Geister

Der größte Horror kommt aus einem Selbst heraus. Auch im Horrorfilm ist nicht immer auszumachen, ob das Böse und die Dämonen eigenständige Entitäten oder Manifestationen sind. Doch letztendlich ist es egal, denn ihre Taten und ihr Horror sind in beiden Welten gleichsam zu finden. Bei The Witch ist dies aber zum Kommunikationsproblem geworden. Als großartiger Indie-Horrorfilm wird er vermarktet. Das ist er auch. Nur ist die Idee von Horrorfilm bei den meisten auf das Außen gerichtet; das Schreckliche an und in The Witch kommt jedoch aus dem Inneren und ist damit viel subtiler und subkutaner, als mancher Fan vermuten mag. Es beginnt mit einem leisen Einschleichen von Unwohlsein und endet mit einem lodernden Brennen im Brustkorb, einem pulsierenden Hirn und einem schnell schlagenden Herzen.

Neuengland im 17. Jahrhundert. William (Ralph Ineson), Katherine (Kate Dickie) und ihre fünf Kinder werden aus der Siedlergemeinschaft ausgestoßen, weil William sich nicht den Regeln der Ältesten beugen will. Für ihn gelten nur Gottes Regeln und diese sind in seinem puritanischen Weltbild jederzeit und strikt einzuhalten. Also zieht die Familie allein in die Wildnis, am Rande eines Waldes bauen sie sich ein neues Heim. Die Welt ist harsch, grau-blau und bis auf das Rauschen der Bäume still und einsam. Thomasin (Anya Taylor-Joy) ist die älteste Tochter der Familie und in der Pubertät. Sie hinterfragt das Handeln des allherrschenden Vaters, sie bezweifelt die Begebenheiten. Ihre Eltern reagieren harsch darauf. Sie wittern den Teufel, sie wittern das Erwachen der Erbsünde in Thomasin. Aus dem Kind wird eine Frau, das kann nichts Gutes bedeuten. Es muss unterdrückt werden. Es muss gebetet, noch mehr gearbeitet und gelitten werden, um die Reinheit der Seele aufrechtzuerhalten. Doch dann passiert etwas. Das jüngste Kind, ein Baby, verschwindet unter Thomasins Aufsicht von einer Sekunde zur nächsten. In den Wald wird es gezerrt und nie wiedergesehen. Die Mutter wird verrückt. Der Vater ist in Rage. Der Wald rauscht. Thomasin wird weiter bestraft und ausgegrenzt. Die Ziege gibt Blut statt Milch. Die jüngeren Geschwister zeigen mit dem Finger auf Thomasin und nennen sie eine Hexe. Der Wald rauscht dunkler.

The Witch vereint Märchen und Folklore mit Horror- und Thrillerelementen zu einem leise köchelnden Sud, der nach und nach immer mehr Grauen produziert. Dabei geht Regisseur Robert Eggers äußerst clever vor. Nie verliert er seine Figuren und deren innere Konflikte sowie Entwicklungen aus den Augen oder opfert sie dem Terror. Im Gegenteil. Eggers schreitet bei der Erarbeitung der Figuren und deren Geschichte langsam und sorgfältig voran. Der Horror liegt vor allem in ihrer genauen Inspektion. Diese Erkundung des Inneren dieser puritanischen Seelen fördert höchst Explizites zutage. Dabei vermag The Witch nicht nur ein guter Horrorfilm zu sein, sondern auch noch ein paar gesellschaftliche Themen zu bearbeiten. Vor allem im Zusammenspiel des Über-Vaters, der schon eindeutig als klassisch psychoanalytisches Über-Ich gekennzeichnet ist, und der jungen Frau, die zu ersinnen versucht, wer und was sie eigentlich ist, findet ein Austausch statt, der überaus relevant für die jetzige Gesellschaft ist. Was passiert mit Menschen, die unter religiös-fanatischer Tyrannei ihre Bedürfnisse unterdrücken müssen? Wie funktioniert ein System, das auf (religiösem) Fanatismus basiert?

Interessant ist zudem, den Film im Licht der weiblichen Emanzipation zu betrachten. Dem personifizierten „heiligen Vater“ William wird hier die uralte, folkloristische Figur der Hexe entgegengesetzt, eine Frau, die stets auf sich allein gestellt und mit vielen Fähigkeiten versehen ihr Leben meistert und außerhalb des Einflussbereiches von Religion oder Patriarchat steht. Und die Hexe betört stets mit ihrer Weiblichkeit. Ihre Nähe zur Natur spielt hierbei eine große Rolle, aber auch ihr Wissen, wie man den weiblichen Körper, die Sinnlichkeit und Sexualität einsetzt. Ein Zauber der ganz eigenen Art. Hier kommt man wieder zurück auf die vom Vater gefürchtete Erbsünde: die fähige, sexuelle und wissende Frau, die ihren eigenen Kopf durchsetzt, die Wissen sucht und das Abenteuer nicht scheut.

Ja, The Witch ist ein Horrorfilm. Aber nicht im Sinne des Genreklischees. Hier bekommt man nicht nur ein sich stets aufbauendes Grauen geboten, sondern auch eine Geschichte, deren Implikationen weit über den ominösen Wald in Neuengland hinausgehen und auch nach dem Kinobesuch noch für Gesprächsstoff sorgen. Mehr kann man vom Kino (fast) nicht verlangen.
 

The Witch (2015)

Der größte Horror kommt aus einem Selbst heraus. Auch im Horrorfilm ist nicht immer auszumachen, ob das Böse und die Dämonen eigenständige Entitäten oder Manifestationen sind. Doch letztendlich ist es egal, denn ihre Taten und ihr Horror sind in beiden Welten gleichsam zu finden. Bei „The Witch“ ist dies aber zum Kommunikationsproblem geworden. Als großartiger Indie-Horrorfilm wird er vermarktet.

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