The Strange Colour of Your Body's Tears

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Die Farbe, die ist rot

Wer einmal nach Brüssel oder ins französische Nancy fährt, kann sich dort ganz und gar in die Tiefen jener Kunstepoche fallen lassen, die man hierzulande „Jugendstil“ nennt. Im französischen Sprachraum verwendet man den Begriff „Art nouveau“, „neue Kunst“; in der Gestaltung, speziell Architektur, stößt man dort auf weiche Formen, immer wieder Pflanzen und Blumen, die es nur geben konnte, weil man zugleich bei Holz- und Metallverarbeitung Fortschritte gemacht hatte. Wer will, kann darin also den Widerspruch lesen im Siegeszug der Technik, die sich die Natur zum Sujet wählt – und das passt dann wiederum in die Zeit des Art nouveau, die Jahrhundertwende, das Fin de siècle: Dekadenz, in der sich immer schon eine Ahnung von Untergang, jedenfalls von Vergänglichkeit eingeschrieben hat.
Es mag auch das gewesen sein – neben der reinen, unfassbaren Schönheit und Farbenpracht der Gebäude, Fenster und Gegenstände –, was Hélène Cattet und Bruno Forzani dazu bewog, ihren neuen Film L’Étrange Couleur des larmes de ton corps (so der Originaltitel) in Art-nouveau-Gebäuden und -Räumen eben in Brüssel und Nancy zu drehen – ihre filmische Reverenz erweisen sie allerdings, wie schon in ihrem grandiosen Erstlingsfilm Amer, einer ganz anderen Zeit und Stilrichtung, nämlich dem italienischen Giallo der 1960er, 1970er Jahre.

Die Geschichte, die Handlung ist von ihren ersten Momenten an rätselhaft: Da kehrt Dan Kristensen von einer Geschäftsreise zurück, findet die Wohnung von innen verschlossen vor, doch seine Frau Edwige (schon der Name wohl eine tiefe Verbeugung vor der großen, schönen Edwige Fenech, Hauptdarstellerin vieler Gialli) ist verschwunden. Die Polizei kann nicht helfen, natürlich wird er selbst verdächtigt, und auch die Nachbarn, zu denen er ein allenfalls distanziertes Verhältnis pflegte, wissen von nichts. Die Suche kreist um das Haus, seltsame Wahrnehmungen und Erfahrungen in seiner Wohnung, in anderen Wohnungen; und ob sie am Ende wirklich eine Auflösung erfährt, darf zumindest bezweifelt werden.

Realität und Wahrheit wird zu einer vagen Idee, wenn sich Bilder und Töne verselbständigen, Wahnvorstellungen und Erzählungen anderer Hausbewohner sich in die Träume (oder Erlebnisse?) Kristensens einschleichen – und so weiter und so fort. Die Morde, von denen sie erzählen, im klassischen Sinne aufzuklären war noch nie das Ziel der Gialli – sie sind erotisch-neurotische Farbphantasien aus Splittern und glitzernden Blutstropfen.

Cattet und Forzani haben selbst angegeben, ihren Film als „Puzzle“ angelegt zu haben – so sieht er sich dann auch, als Kaleidoskop unterschiedlicher Momente, die einander ähneln und dann doch wieder neue Bilder aufwerfen, auch als Spiel mit Licht, Schatten, Ahnungen und natürlich Geräuschen – das Sounddesign ist großartig, wenngleich nicht so dicht wie bei Amer.

In Amer hatte sich das Paar dicht an den Stilformen und Themen des Giallos orientiert, und daraus eine Betrachtung über das Wesen dieses seltsamen Genres gefügt, das so unfassbar kunstvoll und farbenreich und elegant agiert, während es gelegentlich recht krude Geschichten erzählt. Das funktionierte auch deshalb so gut, weil die Geschichte in drei Segmente aufgeteilt war, die jeweils eigene Bilder- und Geräuschwelten etablierten. In L’Étrange Couleur des larmes de ton corps wird nur ein Handlungsstrang verfolgt, und so werden die Bilder irgendwann eintönig. Es werden zwar Motive hinzugefügt und variiert, aber spätestens nach einer Stunde wiederholen sie sich, wird aus den aufregenden Tableaus und atemberaubenden Farben eine leuchtende, strahlende Leinwand, die nichts Neues mehr zu sagen hat.

The Strange Colour of Your Body's Tears

Wer einmal nach Brüssel oder ins französische Nancy fährt, kann sich dort ganz und gar in die Tiefen jener Kunstepoche fallen lassen, die man hierzulande „Jugendstil“ nennt. Im französischen Sprachraum verwendet man den Begriff „Art nouveau“, „neue Kunst“; in der Gestaltung, speziell Architektur, stößt man dort auf weiche Formen, immer wieder Pflanzen und Blumen, die es nur geben konnte, weil man zugleich bei Holz- und Metallverarbeitung Fortschritte gemacht hatte.
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