The Square (2017)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Für den Selbstcheck

Irgendwann in der Mitte von The Square steht Ruben Östlunds Hauptfigur Christian (Claes Bang), Kurator eines Museums für kontemporäre Kunst, vor einem Ausstellungseingang, bei dem man sich entscheiden muss. Geht man nach links, zeigt man an, dass man Menschen nicht vertraut. Geht man nach rechts, vertraut man ihnen. Eine einfache Wahl, der Counter zeigt eine überwältigende Mehrheit für Vertrauen. So will es die Überzeugung, das Ideal des sozialen Vertrags, den wir alle als Gemeinschaft miteinander geschlossen haben. Doch dann, nachdem man sein Vertrauen ausgedrückt hat, kommt die Probe. Ein Raum, ein Viereck auf dem Boden, die Aufforderung, für den restlichen Rundgang sein Telefon und seine Geldbörse dort abzulegen. Man vertraut doch den anderen, richtig?

Dabei ist dieses Viereck noch nicht einmal das Square aus dem Filmtitel. Dieses hat noch viel mehr in sich, ist es doch Teil der neuen Ausstellung, die Christian kuratiert. Auf dem Vorplatz des Museums soll es installiert werden. 4x4 Meter und eine Inschrift, die besagt, dass im Quadrat alle gleich sind und die gleichen Rechte und Pflichten haben. Das Marketingteam hat damit aber ein Problem. Solche Egalität ist doch klar, unsere Gesellschaft lebt sie ständig, wieso dafür ein Viereck bauen? Doch Östlund antwortet auf die PR-Probleme sogleich mit Bildern von Bettlern auf der Straße. Direkt vor dem Platz. Ist das also so? Passen wir alle aufeinander auf? Sind wir alle gleich? Das ist die große Frage, die sich The Square stellt und in seinen über zwei Stunden Laufzeit nicht nur erörtert, sondern förmlich zermalmt. Und dabei nimmt er Hauptfigur und Publikum gleich mit in den Mörser.

Christian. Braune Haare, perfekt gestylt, Anzug, Handy, Tesla, Kurator für Kunst. Christian glaubt an das, was er tut, er glaubt an die Wichtigkeit seiner Ausstellung, die Relevanz des Quadrats. Er versucht, ein guter Bürger und Mensch zu sein. Doch dies gelingt ihm nur, wenn er sich sicher fühlt. Und seitdem er auf offener Straße in einer Mischung aus Raub und Performancekunst überfallen wurde, fühlt er sich nicht mehr sicher. Jetzt will er Gerechtigkeit. Private natürlich, denn die soziale Schere, die zwischen ihm und den Räubern liegt, bemerkt er nicht. Sein Handy ortet er in einem Haus in einer finsteren Gegend. Sein Plan: Er schreibt einen Brief, der besagt, er wisse, dass die Person, die ihn erhält, der/die Räuberin sei und er/sie solle seine Sachen beim lokalen Supermarkt abgeben, dann passiere nichts. Macht und Gewalt, zumindest in der Androhung, sind seine Mittel. Die Macht ist sein Wissen durch die Handy-Ortung. Der Brief soll in alle Briefschlitze in den Türen verteilt werden. Doch Christian, der sich schon Verstärkung bei einem seiner Mitarbeiter holt, traut sich nicht. Sie sitzen im Auto, keiner will gehen. Was, wenn was passiert? Wenn die Sicherheit gefährdet ist? Doch oje, dort im Auto sitzt mit ihnen auch ein Maskulinitätskonstrukt, das die Situation verschärft. Wer nicht geht, ist – natürlich – eine Pussy. Und so muss Christian dann Stärke beweisen und verteilt die Briefe mit schlagendem Herzen. Die Folgen allerdings werden ihn noch mehrmals überrollen und ihn immer wieder an den Rand seiner eigentlichen, theoretischen, in seinen Reden als Kurator wohl formulierten Ideen individueller Ethik bringen. Und darüber hinaus.

Ganz ähnlich wie in Höhere Gewalt arbeitet sich Östlund wieder an zwei bestimmten Fragen ab: die nach dem sozialen Kontrakt, der Mensch und Gesellschaft bindet, und dessen zarte und leicht zerstörbare Bande, die ihn umtreibt. Und gleichsam ist es die Frage nach Männlichkeit, ebenfalls ein höchst fragiles Konstrukt, der sich Östlund hier wieder verschreibt. Doch es geht ihm nicht um Erörterung oder vorsichtiges Aufzeigen, Östlund ist eher ein Regisseur der ultimativen Brutalität. Und so baut er hier ein spannendes Konstrukt, welches für das Publikum bestimmt ist. Der erste Akt des Filmes ist leichtfüßig und halbwegs entspannt, auch wenn man recht bald ein kleines nagendes Unwohlsein spürt, das ausgelöst wird von Christians tollpatschiger Art, sein Problem zu lösen, das ihn sofort als Menschen definiert, der in guten Verhältnissen lebt und der sein Privileg auf täglicher Basis gar nicht mehr bemerkt. Unerwartet schnell entdeckt man eigene Lebenszüge wieder. Das Ignorieren von Bettlern, das Schimpfen über Andere, die Angst vor Wohngegenden, die man nicht kennt … Doch parallel dazu setzt Östlund auf die Kunst. Das Museum mit seiner Ausstellung, ein Raum mit Kieshaufen, ein Stuhlstapel, der sich bewegt und Geräusche macht, als stürze er ein, sind immer wieder zu sehen und setzen hier einen ironischen Akzent. Ist das Kunst oder kann das weg? Oder wie er einer Journalistin (Elisabeth Moss) am Anfang erklärt: Ist ihre Tasche nur eine Tasche, wenn sie in einer Galerie steht? Oder ist sie dann Kunst? Entlang dieses Gedanken wird der Film immer wieder von performativen Akten und Eigenartigkeiten unterbrochen. Der Raubüberfall selbst ist eine Aufführung. Als er mit der Journalistin schläft, kommt ein Affe durch die Tür, geht ins Nebenzimmer und setzt sich auf die Couch … All diese Momente schaffen eine Parallele zwischen den Menschen im Museum, Christian und seiner Welt und der der Zuschauer im Saal. Wir sind im selben künstlichen Raum, wir sind die, die im Museum Alltagsdinge betrachten und als Kunst begreifen. Und die anderen, das sind die draußen auf dem Platz, die auf ein paar Euro und ein Sandwich hoffen. Und die, so hofft Christian, wenn sie im Quadrat stehen, Gerechtigkeit bekommen. Performativ gesehen. Nicht wirklich.

Und nach dieser Parallelführung von Publikum und Christian macht Östlund, was er am besten kann: Zerstörung. Immer mehr gleitet dem Kurator/dem Publikum aus den Händen, immer mehr Augenblicke stapeln sich, die uns zusammen in Abgründe führen und unsere theoretischen, ethischen Grenzen in der Praxis auf Herz und Nieren prüfen. Und Christian, stellvertretend für alle, versagt. Jedes einzelne Mal. Ihm dabei zuzuschauen, ist eine hochgradig ernüchternde, peinliche, schmerzhafte Erfahrung zwischen dem Wunsch, ein guter Mensch zu sein, und der Realität, dass die eigene Ethik oft nur bis zum eigenen Vorteil reicht.

Dabei geht Östlund sehr redundant und recht predigend vor. Nicht jedem wird das gefallen. Doch vor allem die Wiederholungen haben System. In einer Welt, in der die Aufmerksamkeitsspanne so gering geworden ist und in der wir alle die unangenehmen Momente schnell mit Katzen-Gifs begleichen, ist es die Wiederholung, das Nicht-Loslassen und Schleifen ziehen, das im Verlauf des Films dazu führt, dass man hinschauen muss. In Christians Gesicht und ins eigene. Man kommt nicht so einfach davon.

Sicherlich hat The Square seine Probleme. Die Ansprechhaltung wird viele verärgern, zu oberlehrerhaft wird Östlund hier und da, zu brachial werden manche ihn finden. Zu langweilig andere, die nicht immer wieder das Gleiche hören wollen. Und in der Tat, der Film hätte sich als Kunstwerk an sich sparen können, so lang zu sein, und könnte seinem Publikum auch mehr zutrauen. Es scheint, als wollte Östlund unbedingt und mit aller Macht seinen Punkt machen und auch dem Letzten nicht die Chance lassen, sich herauszuwinden. Doch genau damit wird der Film einen Teil der ZuschauerInnen verlieren. Trotzdem sollte man sich in diesen Film wagen. Für die Kunstform, für das Sozialexperiment, für den Selbstcheck. Es schadet nicht. Oder nur ein bisschen.
 

The Square (2017)

Irgendwann in der Mitte von „The Square“ steht Ruben Östlunds Hauptfigur Christian (Claes Bang), Kurator eines Museums für kontemporäre Kunst, vor einem Ausstellungseingang, bei dem man sich entscheiden muss. Geht man nach links, zeigt man an, dass man Menschen nicht vertraut. Geht man nach rechts, vertraut man ihnen.

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Meinungen

Hogreve Iris · 18.12.2020

Habe mich gelangweilt! Habe mir. jetzt die diiveeersen Kkritiken. zu dem Film durchgelesen und stimme mit allem überein. Nur eins verstehe ich nicht: Was soll der Gorilla-Mann zaum Ende des Films? Wo kommt der her und wofür steht er? Bringt alle in Schrecken und Panik und. dann? Was ist die konkrete Aussage dahinter?

Square-Dance · 25.10.2017

Komisch, schräg, spannend: Hab mich bestens amüsiert! Es sind die kleinen Kommunikationen, die sich zu transformativen Beziehungen auswachsen und den Reiz der geschichte ausmachen. Starke Akzente und Überraschungen der Dramaturgie schaffen Kurzweil und den Sog des Eintauchens in das filmische Universum. Großartiger Hauptdarsteller! Hat mitunter einen Zug von Monsieur Hulot, statt Stummheit eine unbeholfene Sprache. Richtig cool!

Öger · 19.10.2017

Danke für die Inhaltsangabe. Muss ich den Film nicht mehr sehen.

Kim · 16.10.2017

Dänisch-schwedischer Film mit der unglaublichen Elisabeth Moss in einer kleinen, schrägen Nebenrolle.
Claes Bang ist ein ausgesprochen lecker Teilchen!
Im Original wird Dänisch (Claes Bang), Schwedisch (ale außer Bang und Moss) und Amerikanisch gesprochen (Moss).
Der Film verhandelt die Frage, was wirklich moralisches Verhalten sein soll und sein kann. In wie weit sind wir auch für unvorhersehbare Folgen unserer Handlungen verantwortlich?
Und am Rande wird die Überkonformität der Schweden verhandelt. (Knausgård grüßt aus der Ferne.)