The Overnighters

Eine Filmkritik von Lutz Granert

Wirtschaftspolitik auf lokaler Ebene

Nachdem auch in der Bundesregierung über den Einsatz diskutiert wird, ist die umstrittene Fracking-Technologie zur Ausbeutung der letzten Erdöl-Reserven auch hierzulande bekannt. Wasser mit chemischen Zusätzen wird dabei in tief liegende Gesteinsschichten gepresst, wodurch die Gefahr besteht, dass das Grundwasser verunreinigt wird. Wenn schon kein Spielfilm zu diesem energie- und umweltpolitisch brisanten Thema ohne moralischen Zeigefinger auskommt, dann eine Dokumentation erst recht nicht. Während ein hin- und hergerissener Matt Damon in Gus Van Sants Drama Promised Land (2012) noch Landeigentümer im Auftrag eines Energiekonzerns Schürfrechte abkaufte, so führt Pfarrer Jay Reinke in The Overnighters einen aussichtslosen Kampf gegen die öffentliche Meinung. Chroniken eines Scheiterns sind beide Produktionen.
Das ländliche Williston im US-Bundesstaat North Dakota ist eigentlich ein beschauliches Städtchen. 15 000 Einwohner, eine eingeschworene Gemeinde, konservative Einstellungen. Doch seitdem im Rahmen von Bodenerkundungen in der Nähe der Stadt riesige Ölvorkommen in großer Tiefe entdeckt worden, fühlen sich viele Glücksritter angezogen, an den Fracking-Anlagen zu arbeiten. Die in Williston ankommenden, oftmals mittellosen Arbeiter locken vor allem die Verdienstmöglichkeiten: 100.000 US-Dollar Jahreseinkommen auch für Vorbestrafte sind sehr verlockend. Doch diese Arbeitsplätze sind rar – und da heißt es: Warten.

Hotels oder Pensionen sind längst überfüllt und den heranströmenden Massen an Arbeitern nicht gewachsen, so dass sie in ihren Autos auf öffentlichen Parkplätzen unter widrigen Umständen kampieren. Während ihnen die Einwohner von Williston mit Ablehnung begegnen, hilft ihnen nur der örtliche Pastor Jay Reinke mit Notunterkünften und Essen weiter. Er führt mit seinen christlichen Überzeugungen von Nächstenliebe einen Kampf gegen das Elend der Arbeiter und Behörden, der jedoch nicht zu gewinnen ist.

Der Dokumentarfilm The Overnighters erzählt anhand seiner sehr dominanten Hauptfigur von einer neuartigen Form von nationalen „Wirtschaftsflüchtlingen“; von Menschen, die ihre Heimat und ihr altes Leben aufgeben und weit entfernt ihr Glück zu versuchen. Doch dieser Versuch, den amerikanischen Traum zu leben, zerplatzt an der Realität wie eine Seifenblase. Der kanadische Regisseur und Drehbuchautor Jesse Moss traf viele unterschiedliche Charaktere, hier den arbeitslosen Elektrikergesellen, der seine Ehe aufs Spiel setzt, dort die Führungskraft beim Fracking, der sich zwar über Hautirritationen, nicht jedoch über sein erquickliches Jahresgehalt klagt. Der Einzige, der diese in ihren Motiven lose verbundenen Männer zusammenhält, ist Pfarrer Reinke, der spätestens dann im Fadenkreuz der Lokalpresse gerät, als er einen vorbestraften Sexualstraftäter in seinem Privathaus Obdach gewährt.

The Overnighters gelingt ein grimmiges Zerrbild der nach außen liberalen, nach innen jedoch hermetisch abgeschlossenen Gemeinde, an der Pfarrer Reinke letztlich auch durch seine eigenen Verfehlungen zerbricht. Die Grenze zwischen authentischem Portrait und stilisierter Inszenierung sind dabei fließend: Insbesondere in der letzten halben Stunde, in der die Notunterkünfte in der Gemeinde und Übernachtungsmöglichkeiten auf den Parkplätzen per Beschluss aufgelöst werden, baut Moss auch durch den Einsatz pathetischer Musik und rasanten Montagen eine Dynamik auf, die mehr mitreißt als es weitgehend unbearbeitetes, unkommentiertes Material jemals könnte. Gerade deswegen oder dennoch ist sein Film ein großes Dokument des ganz persönlichen Zerbrechens, des kollektiven Scheiterns, das weit über das nachdenklich stimmende Ende und den treffend betitelten Credit-Song „Lonely Are The Free“ von Steve Earle hinausreicht.

The Overnighters

Nachdem auch in der Bundesregierung über den Einsatz diskutiert wird, ist die umstrittene Fracking-Technologie zur Ausbeutung der letzten Erdöl-Reserven auch hierzulande bekannt. Wasser mit chemischen Zusätzen wird dabei in tief liegende Gesteinsschichten gepresst, wodurch die Gefahr besteht, dass das Grundwasser verunreinigt wird. Wenn schon kein Spielfilm zu diesem energie- und umweltpolitisch brisanten Thema ohne moralischen Zeigefinger auskommt, dann eine Dokumentation erst recht nicht.
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