The Look of Silence (2014)

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Wenn alle von nichts wissen (wollen)

Es war leichter, einen Film über die Täter zu machen. Denn diese prahlen nur allzu gerne öffentlich mit der Grausamkeit ihrer Taten und haben dann auch bereitwillig vor der Kamera nachgestellt, wie sie damals gemordet haben. 1965, als in Indonesien die an die Macht geputschten Militärs und ihre Handlanger gegen angebliche Kommunisten in der Nachbarschaft wüteten und über eine Million Menschen umgebracht wurden.

Die Familien der Opfer schweigen lieber, aus Angst. Die Täter von damals haben heute immer noch die Machtpositionen im Lande inne. Daher ist es schlüssig, dass das zuerst fertiggestellte filmische Zeugnis von Joshua Oppenheimers dokumentarischer Aufarbeitung des indonesischen Völkermordes The Act of Killing war. Diese verstörende Auseinandersetzung mit der Täterperspektive war in gewisser Weise ein notwendiger Umweg, um zu The Look of Silence zu gelangen. Dem Film, der nun die Perspektive der Opfer in den Mittelpunkt stellt – und in seiner Ruhe und Konzentration noch kraftvoller und eindrücklicher ist, als es sein Vorgänger in seiner Bildgewalt war.

Oppenheimers Interesse galt von Anfang an dem Schicksal der Opfer. Mit den Tätern zu drehen begann er 2003 nur, weil ihn Überlebende darum baten (wie er im Interview erzählte). Sie hofften auf diese Weise zu erfahren, wie ihre Angehörigen getötet wurden. Mehr als 40 Täter hat Oppenheimer interviewt, bevor er auf Anwar, den Hauptprotagonisten von The Act of Killing, traf. Durch diese Interviews hat die Familie von Adi, dem Protagonisten in The Look of Silence, herausgefunden, wer seinen Bruder ermordet hat.

Und so beginnt The Look of Silence mit einer aus The Act of Killing vertrauten Situation: Adi sitzt vor dem Fernseher und schaut sich das mit den Tätern gedrehte Material an. Sein Gesicht ist ruhig, wie erstarrt. Es ist still, nur der Gesang von Grillen ist zu hören – und die Stimmen der Täter auf dem Videoband. Diese Stille wird sich als Stilmittel durch den Film ziehen: gedimmte Originalgeräusche, während sich über dem Soundteppich der Grillen die Stimmen der Menschen abheben. Der Unterschied zwischen Schweigen und Sprechen wird sinnlich fast greifbar. Und Adi entscheidet sich für das Sprechen: mit den Tätern.

„Wenn ich alte Leute treffe, höre ich gerne von ihrer Vergangenheit“ sagt er, als er bewaffnet mit seinem Optiker-Koffer den ersten Täter besucht. Und während er an der Optiker-Brille die Linsen vor den Augen des Täters wechselt, tastet er sich im Dialog an das Thema heran. Eine bessere filmische Metapher hätte der Regisseur gar nicht erfinden können, als diese Optiker-Brille auf der Nase eines Täters. Klare Sicht auf die Vergangenheit statt eine verschwommene, verzerrte Darstellung der Ereignisse.

Adi sucht mehrere Täter auf, alte Männer, die der Film dem Zuschauer gegenüber mit ihren prahlerischen Auftritten und grausamen Schilderungen auf Video einführt. Und auch jetzt geben sich die Männer selbstgefällig – bis Adi sich als Angehöriger eines Opfers zu erkennen gibt. Dann droht die Situation jeweils zu kippen. Die insgesamt sechs Zusammentreffen sind dramaturgisch in dem, was sie enthüllen, im Film perfekt gesetzt. Durch den Einsatz von zwei Kameras transportieren sich innerhalb der Begegnungen die Nuancen und Reaktionen in Schnitt und Gegenschnitt in einer Intensität, die den Atem stocken lässt. Täter, deren Auftreten von herablassend, über unangenehm berührt, zurück zu offen drohender Überheblichkeit wechselt. Bei drei dieser Begegnungen, die laut Oppenheimer „gefährlicher waren“, war deshalb nur eine Kamera dabei. Die gegenwärtige Bedrohung ist spürbar und Adis Mut und die Ruhe, mit der er im Gespräch insistiert, ist bewundernswert.

Adi bricht ein stillschweigendes Tabu in der indonesischen Gesellschaft: die kritische Auseinandersetzung mit den Tätern zu suchen, das traut sich keiner in der Nachbarschaft. Auch Adis Mutter will nicht, dass er die Täter aufsucht, dass er sich zu erkennen gibt, dass die Täter wissen, wo er wohnt. Alle leben in Angst. Adis Kinder bekommen in der Schule Horrorgeschichten von der angeblichen Brutalität der Kommunisten eingetrichtert, die ihr Schicksal also verdient hätten.

The Look of Silence erzählt nicht nur von dem Mut eines Mannes, das Schweigen zu brechen und sich von Vergebung statt Vergeltung leiten zu lassen. In seiner Konzentration auf Adis Familie, das Schicksal seines toten Bruders und wie seine Familie heute damit lebt, erzählt sich der ganze gesellschaftliche Kontext. Der ganze schizophrene Wahnsinn der indonesischen Gesellschaft, der dem Zuschauer in The Act of Killing überbordend und schrill aus TV-Shows, paramilitärischen Versammlungen und Wahlkampfaktionen ins Gesicht sprang, er ist auch hier essentiell spürbar. In den Dialogen, in den Blicken, im Schweigen.

Bildgestaltung, Tongestaltung und Montage in The Look of Silence sind herausragend. Jedes Bild, jeder Ton, jeder Schnitt ist perfekt gesetzt. Wenn beispielsweise die Täter schildern, wie sie ihre Opfer mit Messern traktierten und in der nächsten Szene Adis Mutter Gemüse schneidet, transportiert sich ganz subtil – fernab von jeder plakativen Effekthascherei, nach der es vielleicht klingen mag, wenn man es so direkt in Worte fasst – der Schrecken von damals in den heutigen Alltag. In den Alltag einer kleinen Familie, die einander liebevoll zugewandt ist. Auch das zeigt der Film in berührenden Szenen mit dem uralten pflegebedürftigen Vater, der damals so traumatisiert war, dass ihm alle Zähne ausfielen.

Zu sehen, wie herzlich die drei miteinander umgehen, ist tröstlich in all der Abwehr und Verleugnung, die Adi entgegenschlägt; diese impertinente Prahlerei der Täter, dieses aggressive Von-Nichts-gewusst-haben-wollen der Familienangehörigen von Tätern. Doch dann spielt plötzlich mit einem entschuldigenden Von-Nichts-gewusst-haben-wollen des Onkels, der damals Gefangene bewachen musste, eine kleine Dissonanz in die Familie hinein. Und als schließlich Adis Mutter auffällig oft betont, dass sie das von ihrem Bruder wirklich nicht gewusst habe, spätestens dann wird deutlich, wie wichtig es für alle Beteiligten ist, das Schweigen endlich zu brechen: nicht nur dem gesellschaftlichen Zusammenleben von Tätern und Opfern zuliebe, sondern auch dem seelischen Frieden innerhalb der Familien, egal ob auf Täter- oder auf Opferseite.
 

The Look of Silence (2014)

Es war leichter, einen Film über die Täter zu machen. Denn diese prahlen nur allzu gerne öffentlich mit der Grausamkeit ihrer Taten und haben dann auch bereitwillig vor der Kamera nachgestellt, wie sie damals gemordet haben. 1965, als in Indonesien die an die Macht geputschten Militärs und ihre Handlanger gegen angebliche Kommunisten in der Nachbarschaft wüteten und über eine Million Menschen umgebracht wurden.

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