The Gallows

Eine Filmkritik von Andreas Günther

Kultur kann tödlich sein

Gesellschaftliche Probleme lösen? Kollektive Ängste abbauen? Wozu – wenn man doch daraus prima Horrorfilme machen kann! Jedenfalls scheint so die US-amerikanische Unterhaltungsindustrie zu funktionieren. Rosemarys Baby machte für die Unterdrückung der Frau den Teufel verantwortlich, Night of the Living Dead war der Rassismus unheimlich, Poltergeist erinnerte an verdrängte tote Indianer. Die Liste ließe sich beliebig verlängern. The Gallows fürchtet sich nun vor einer altehrwürdigen Kunstform – dem Theater. Vergleichbar den Warnungen auf Zigarettenschachteln sollte auf dem gruseligen Found-Footage-Fake der Newcomer Travis Cluffs und Chris Lofing stehen: „Achtung — Kultur kann tödlich sein“.
Im Städtchen Beatrice in Nebraska hält Ryan (Ryan Shoos) die Proben seiner Mitschüler für ein Drama namens The Gallows mit der Digitalkamera fest. Er hat für seine Kameraden nur Spott und Verachtung übrig. „Oh Gott, Reese, wie mies“, höhnt er, wenn Reese Houser (Reese Mishler), gewandet in ein Kostüm des 18. Jahrhunderts, seinen Text vergessen hat. Und das auch noch in Gegenwart seiner Lieblingsbühnenpartnerin, der von ihm verehrten, etwas eingebildeten Pfeifer (Pfeifer Ross). Nur bei einer Sache bleibt Ryan einigermaßen ernst – wenn es um Charlie geht, den jungen Mann, der bei einer Aufführung des Stücks 20 Jahre zuvor am Galgen nicht theatralisch, sondern wirklich starb.

Dass alle so liebevoll an der Aufführung feilen, ohne sich weiter um ihn zu kümmern, geht Ryan gegen den Strich. Zusammen mit seiner Freundin Cassidy (Cassidy Gifford) will er am Abend vor der Aufführung die Dekoration so weit zerstören, dass der Event abgeblasen werden müsste. Er gewinnt dafür sogar die Unterstützung von Reese. Der kriegt Gewissensbisse als Pfeifer plötzlich auftaucht. Aber wie von Geisterhand ist alles wieder aufgebaut, was demoliert wurde – einschließlich des Galgens, an dem Charlie starb. Freilich sind alle Türen verschlossen und keine Telefonleitung mehr intakt. Im abgelegenen, dunklen Theater, in dem nur Ryans Digitalkamera Licht gewährt, beginnt der Kampf gegen einen zunächst unsichtbaren Gegner.

Die Vorgeschichte, in die außer dem verunglückten Charlie noch Reeses Vater verwickelt scheint, bleibt obskur. Überdies lässt sich die erste Hälfte von The Gallows gewollt und langatmig an. Umso mehr Zugkraft entwickelt die zweite Hälfte. Doch vor allem imponiert die Konsequenz, mit der ein Krieg zwischen Bühne und elektronischen Medien inszeniert wird. Die Abwertung ist dabei eindeutig. Aus Sicht moderner Teenager erscheint das Theater erst rührend altmodisch bis lächerlich, dann mörderisch und sogar irrsinnig. Aber eben auch mit heimtückischer Unsterblichkeit gesegnet. Ryans Digitalkamera geht der Saft aus, sie knistert und knirscht, wechselt sprunghaft die Farbe und wird verschwommen – ähnlich wie die alten Videosysteme, die knarrend von Charlies schockierendem Ende Zeugnis ablegen. Die Maschinen erweisen sich als so schwach und sterblich wie die Menschen.

The Gallows

Gesellschaftliche Probleme lösen? Kollektive Ängste abbauen? Wozu – wenn man doch daraus prima Horrorfilme machen kann! Jedenfalls scheint so die US-amerikanische Unterhaltungsindustrie zu funktionieren. „Rosemarys Baby“ machte für die Unterdrückung der Frau den Teufel verantwortlich, „Night of the Living Dead“ war der Rassismus unheimlich, „Poltergeist“ erinnerte an verdrängte tote Indianer.
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