The Book of Gabrielle

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Ein Selbstporträt in Sachen Sex

Dass die britische Schauspielerin, Filmemacherin und Zeichnerin Lisa Gornick mit ihrem neuesten Werk The Book of Gabrielle eine Art mehrdimensionales Selbstbildnis inszeniert hat, ist offensichtlich. Die Künstlerin tritt hier sowohl als Drehbuchautorin, Regisseurin und Produzentin wie auch als Illustratorin in Erscheinung. Außerdem spielt sie die Hauptfigur in ihrer eigenen filmischen Erzählung über eine Frau, die angesichts eines professionellen Projekts ihre ganz privaten sexuellen Präferenzen und Orientierungen sowie deren Entwicklungen im Laufe ihres Lebens reflektiert, wortgewaltig ebenso wie mit dem Zeichenstift.
Es ist ein ganz konkretes Sex-Handbuch mit dem Arbeitstitel How To Do It, mit dem sich die Londoner Illustratorin Gabrielle (Lisa Gornick) in ihren Mittvierzigern gerade beschäftigt. Privat ist sie mit der um einiges jüngeren Olivia (Anna Koval) zusammen, wobei die Darstellung dieser Beziehung innerhalb der Dramaturgie zunächst recht banal wie facettenarm gerät und kaum soziale Umgebung erfährt. Als Gabrielle den erfolgreichen Autor Saul (Allan Corduner) nach einer seiner Lesungen um eine Widmung in sein neues Buch bittet, vorgeblich für ihre Eltern, kommen die beiden nicht nur miteinander ins Gespräch, sondern entwickeln rasch eine dauerhafte Verbindung zueinander. Dieses anfangs offene, undefinierte Verhältnis mit intensiven Gesprächen überwiegend erotischen Inhalts kristallisiert sich bald zu einem reflektierenden Diskurs über Gabrielles sexuelle Entwicklungen heraus. Derweil flirtet Gabrielle zusätzlich ein wenig mit ihrer Verlegerin Fiona (Joni Kamen), die sie offensichtlich begehrt, was auch günstige berufliche Perspektiven für das Sex-Handbuch mit sich bringt.

Während Saul zu einer Art therapeutischem Coach für Gabrielle avanciert und Olivia eifersüchtig darauf reagiert, wachsen Gabrielles Zeichnungen und Ideen für ihr Projekt stetig an und markieren die Richtung ihrer Erinnerungen sowie thematischen Sex-Schwerpunkte wie „Boys“, „Girls“ und „SM“. Zwischen den zahlreichen zeichnerisch-narrativen Szenen diskutiert Gabrielle stetig weiter mit Saul, dessen instruktive Begleitungen immer mehr Gewicht erhalten, und weist ihre Liebste Olivia zögerlich in Dominanzspielchen ein – mit mäßiger Begeisterung: zu jung sei diese dafür, so sehr sie sich auch Mühe gibt. Im urbanen Raum Londons sinniert Gabrielle illustrierend über intime Beziehungen und ihre Bedingungen nach, über Befriedigung und Orgasmen, und bemüht sich um eine Positionierung als jüdische Lesbe, wofür ihr ausgerechnet dieser Schriftsteller entscheidende Impulse liefert, dem sie gerade ihre gesammelten Intimitäten anvertraut.

Ob und in welcher Form „Sex sells“, ist eine wiederkehrende Frage im Dialog von Gabrielle und ihrer Verlegerin, und dieser Aspekt legt sich im Verlauf der Dramaturgie auch nicht selten über den gesamten Film. Bei all seinen freizügigen Diskursen über das Thema Sex vermag The Book of Gabrielle nur wenige erotische Momente zu transportieren, die sich zudem noch durch zaghaft-banale Wortfetzen von Liebesgesäusel, die beigesellt werden, verläppern. Dass ein Film über Sex, noch dazu angefüllt mit semi-intellektuellen Interpretationen im Hintergrund, nicht erotisch sein will oder muss, spielt hier keine Rolle. Vielmehr verstrickt sich dieser wenig heitere, ebenso wenig tragische und kaum einmal kritische Film in einer multiplen Selbstbetrachtung und -darstellung einer künstlerisch versunkenen Frauenfigur, deren coole Illustrationen lediglich kleine gedankenverlorene, selbstbezogene Narrationen produzieren. Eine wirkungsvolle Verbindung zur visuellen Dimension des Filmischen scheitert und verbleibt in drögen Bildern und Bewegungen ohne atmosphärische Prägnanz. Dieser auf Gespräche gestützte, um sich selbst kreisende Naturalismus von (Sex-)Themen findet weder zu einer tieferen analytischen Ebene, noch zu reduktionistischer Klarheit, sondern verbleibt in faden, ausführlichen Reflexionen der Darstellerin und Regisseurin, die sicherlich eine Identifikation anbieten, aber über altbackene Allgemeinplätze nicht hinauskommen.

Konsequenter als Comic oder Graphic Novel angelegt, ein wenig stimmungsvoller, frischer und frecher gestaltet oder einfach stärker an den Motivationen und spezifischen Ausprägungen der Charaktere orientiert könnte das allzu im Persönlichen gefangene Projekt The Book of Gabrielle durchaus attraktive Ansätze als individuelles Element des modernen Queer Cinemas bieten. Aussagen wie „Sex and work works“, wie sie Allan Corduner als abgeklärter Schriftsteller Saul provokant formuliert, gehören zu den raren spannenden Standpunkten in diesem Film, die allerdings in artige Abkehr münden, wenn die Verlegerin Fiona schließlich entschuldigend von ihren erotischen Avancen Gabrielle gegenüber Abstand nimmt – und sie natürlich dennoch weiterhin fördert, was wie so einige Entwicklungen wie eine wahr gewordene Wunschvorstellung der Autorin anmutet, um ihre Kunst als wirkungsmächtig zu verteidigen. Diese hat mit ihrem Film, für den sie auch mit einigen „drawing performances“ in London ansprechend als transmediales Projekt wirbt, allerdings ein ganz eigenwilliges Selbstporträt geschaffen, dessen Esprit und Potenzial bedauerlicherweise inhärent verharrt. Den Rat Sauls an Gabrielle, der „Story“-Dimension mehr Gewicht zu geben, hat die Filmemacherin Lisa Gornick in ihrer Selbstzeichnung leider kaum umsetzen können.

The Book of Gabrielle

Dass die britische Schauspielerin, Filmemacherin und Zeichnerin Lisa Gornick mit ihrem neuesten Werk „The Book of Gabrielle“ eine Art mehrdimensionales Selbstbildnis inszeniert hat, ist offensichtlich. Die Künstlerin tritt hier sowohl als Drehbuchautorin, Regisseurin und Produzentin wie auch als Illustratorin in Erscheinung.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen