Staatsdiener

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Freunde und Helfer

Zwei störrische Alte. Der eine will nicht die Wohnung des anderen verlassen, sie stänkern sich gegenseitig an, die Polizei muss einschreiten. Beruhigend, aber bestimmt. Alkohol ist auch im Spiel. Und plötzlich hat einer ein Messer in der Hand.
Es ist nicht leicht, Polizist zu sein, weil der Mensch nicht immer vernünftig handelt, weil er nicht durchweg edel ist, hilfreich und gut. Manchmal muss man den Frieden durchsetzen, mit Gewalt, mit der Staatsgewalt; und den Umgang mit Gewalt muss man lernen. Mit der Gewalt, die einem entgegenschlagen kann, und mit der Gewalt, die man verkörpert.

Staatsdiener bietet als erster Dokumentarfilm überhaupt einen Blick in die Ausbildung junger Polizistinnen und Polizisten. Langweiliges wie Staatsbürgerkunde. Aufregendes wie Schießübungen. Anstrengendes wie das Exerzieren auf dem Hof. Zwischendurch ein Stuhlkreis zur entspannenden Meditation inklusive Säuselmusik: „Sie sind unter Ihrem Baum eingeschlafen und träumen von einem unbeschwerten Urlaubstag …“. Regisseurin Marie Wilke darf zusehen, wie Polizisten gemacht werden, mit der Kamera überall dabei, ohne Zensur. Und sie zeigt ohne Kommentar die reinen Bilder eines Jahrgangs an der Polizeifachhochschule Sachsen-Anhalt.

Zwischendurch Diskussionen unter den Polizeianwärtern. Welches Verhalten ist wann angemessen? Was ist gerechtfertigt? Wie viele Pöbeleien muss ein Polizist aushalten können, wie darf er reagieren? Wie kann die moralische Überzeugung, die die jungen, noch unbeleckten Polizistinnen und Polizisten in sich tragen, bewahrt werden, wann werden sie selbst abgeschliffen, abgestumpft? Im Praktikum bei der Bereitschaftspolizei nehmen sie an der Sicherung einer Menschenmenge teil, Fußballfans, vielleicht Hooligans nach einem Spiel: Wie nah darf man die Leute an sich selbst herankommen lassen? Wo sind die Grenzen im Umgang mit denen, die die Polizisten volllabern, sich ihnen in den Weg stellen, vielleicht auch beleidigen, im Extremfall sogar anzugreifen drohen? Und wenn NPD und andere Nazis zwischen den Plattenbauten umherziehen und eine politische Kundgebung abhalten: Da muss man die begleiten, die beschützen, die einen als Vertreter der Staatsmacht verachten und ablehnen.

Man muss die Rechte des Gegenübers achten. Und man wird zugleich mitgerissen in der Gruppendynamik, man muss das mittun, was die Kollegen tun, auch, um deren Akzeptanz nicht zu verlieren … Eine junge Frau, die – neben anderen – immer wieder im Mittelpunkt des Films steht, kann mit dieser Art von Polizei nichts anfangen: Bereitschaftspolizei ist nichts für sie, zumal das ein ziemlicher Männerverein ist.

Polizei: Das ist vielfältige Arbeit, auch das stellt der Film klar – und das, ohne je in den Anfangsverdacht von Naivität oder Propaganda zu geraten. Nach der Vereidigung gehen die jungen Polizistinnen und Polizisten in den Dienst. Plattenbauten, Alkohol, Frustration: Hier ist weniger die Staatsgewalt gefragt, sondern tatsächlich der Staatsdiener in Uniform. Wie bringt man jemanden dazu, die Musik leiser zu stellen, so dass die Nachbarn nicht gestört werden? Wie geht man mit einem Stockbesoffenen um, der mitten im Winter halbnackt durch die Straßen torkelt – und latent gewaltbereit ist? Ruhe bewahren. Frieden in die Situation bringen. Und am besten kennt man seine Pappenheimer: Das lautstark streitende Ehepaar ist wieder heftig zugange, doch der erfahrene Polizist weiß, dass da auch noch ein paar Hunde sein müssen, die schon mehrmals misshandelt wurden … ohne Wasser sind die Welpen im Wäschekorb eingesperrt, und dass man sie ihm wegnimmt, ist die größte Sorge des – natürlich besoffenen – Besitzers …

Gegenüber dem Normalmenschen tritt die Polizei in ihrer Uniformiertheit als unpersönliche Verkörperung des Staates auf, der Polizist ist weniger Mensch als Teil einer Idee – einer Idee, die so mancher eher schlecht als gut findet. Mittelbar, aber deutlich spricht der Film Vorbehalte an – Vorbehalte gegen die Polizei wie Vorbehalte der Polizisten gegenüber den Bürgern, von denen sie oft genug nur das Schlechteste sehen in ihrem Dienst. Vorbehalte, derer sich die jungen Berufsanfänger bewusst sind – und denen sie hoffentlich in einer langen Dienstzeit nicht verfallen werden.

Dass hinter der Uniform ein Individuum steckt, ist eine Banalität, die Staatsdiener hinter sich lässt. Denn durch seinen genauen Blick, durch seine fast unsichtbare Position in den Situationen von Ausbildung und Einsatz lässt der Film erkennen, dass auch für die Polizisten dieser Zwiespalt besteht: Sie müssen als Staat auftreten; sie müssen dabei oft genug ganz persönliche Hilfe leisten; und sie müssen bei ihrem Dienst ihre eigene Persönlichkeit – trotz Uniform, trotz Abstraktion vom Individuum – mit einfließen lassen. Denn dann können sie tatsächlich Freund und Helfer sein. Und das wollen sie alle, eigentlich.

Staatsdiener

Zwei störrische Alte. Der eine will nicht die Wohnung des anderen verlassen, sie stänkern sich gegenseitig an, die Polizei muss einschreiten. Beruhigend, aber bestimmt. Alkohol ist auch im Spiel. Und plötzlich hat einer ein Messer in der Hand. Es ist nicht leicht, Polizist zu sein, weil der Mensch nicht immer vernünftig handelt, weil er nicht durchweg edel ist, hilfreich und gut.
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Meinungen

Tati · 14.10.2015

Die Umsetzung der eigentlichen Idee, ist enttäuschend.. Kameraführung, auch Schnitt sind katastrophal.. Schade eigentlich

Jan · 28.08.2015

Sehr guter Film. Ein packender Einblick in eine (mir) fremde Welt.