Song to Song

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Schmetterlings-Effekte

In Terrence Malicks Song to Song gibt es erstaunlich viel Zeit für die Liebe im Leben der Protagonisten. Alles, was die Figuren tun, alles, worüber sie nachdenken, ist von Reflektionen der Liebe erfüllt. In diesem Zustand mag man sich beim Betrachten des Films entweder verlieben oder abwenden von jedweder Zärtlichkeit, die nie ohne Schmerz kommen will. Man könnte fast von einer utopischen Haltung sprechen, die sich in einem Filmemacher etabliert, der sich noch traut, von der Liebe zu erzählen, Schmetterlinge zu filmen und beständig die letzten Sonnenstrahlen vor ihrem Verschwinden in der Nacht als Gegenlicht zwischen den Berührungen seiner Figuren zu platzieren.
Ja, es ist ein Malick-Film, der wie all seine Werke seit The Tree of Life und besonders To the Wonder auf heftige Ablehnungsreaktionen stoßen kann und es bereits tut. Das liegt nicht nur an dieser schwebenden, sich nie ganz verankernden Art und Weise, in der Kamera, Musik, Schauspiel und Voice-Over-Narrationen in Mosaiken zusammenspielen, sondern auch am Plot, der immer wieder den Kitsch berührt und dabei Tiefe behauptet. Dabei merkt man dem Film durchaus an, dass Malick wieder zurück zu einem größeren Publikum will und sich nicht ganz seinen experimentellen Tendenzen hingibt. Es dreht sich in Song to Song um einen Selbstfindungstrip der jungen Faye (Rooney Mara) im Milieu großer Gigs und Konzerte, der Musik im weitesten Sinne, obwohl wir davon außer Ryan Goslings Kindermelodietalent an Klavier und Gitarre sowie diversen Gastauftritten auf den Bühnen und hinter den Kulissen nicht viel mitbekommen. Die bemühtere Verortung in einer konkreten Umgebung geht nie über die schmückende Beilage hinaus, selbst wenn Patti Smith gar mit einer Art Mutterrolle bedacht wird und der jungen Faye einige Ratschläge mit auf den Weg gibt und Iggy Pop die Anzahl nackter männlicher Oberkörper verdoppelt, was im Angesicht der vielen nackten Frauenkörper nicht zu vernachlässigen ist. Hier und da gewinnt Malick etwas aus der größeren dokumentarischen Offenheit, aber eigentlich kann er weder etwas über die Menschen erzählen, die die fiktionale Reise von Faye kreuzen, noch bringt er der Wahrnehmung der fiktionalen Welt etwas bei. Die Musikszene ist ein Gimmick, ein Verkaufsargument.

Faye möchte, wie so viele Malick-Figuren, etwas spüren, aber es fällt ihr schwer. Sie stürzt sich in rauschartige Beziehungszustände zwischen ihrer Liebe zu BV (Ryan Gosling, in einem Remake seiner Rolle aus La La Land), einer gefährlichen Affäre mit dessen Manager, der im materiellen Rausch befindlichen Teufelsfigur Cook (Michael Fassbender, in einem Remake seiner Rolle aus Shame), und einer fremden Frau aus Paris (Bérénice Marlohe). Immer wieder driftet die Handlung davon, findet neue Figuren und Beziehungen. Das alles füllt sich an zu einem großen leeren Ballon, der mit tiefen Begehrenssätzen angereichert wird, um am Ende zu einer erstaunlich konservativen Lösung aller Probleme zu kommen. Nur kann man sich Song to Song wirklich so einfach nähern?

Man kann einen Film von Malick heute nicht ohne die größeren Fragen betrachten, die er ganz offen stellt. Seine Handlung scheint wie Emmanuel Lubezkis in Beweglichkeit und Fischaugen ertrinkende Bildsprache nur zu existieren, um von anderen Dingen zu sprechen. So handelt Song to Song von einem fast verzweifelten Drang des Filmemachers, diese Welt – und das darf man bei ihm ruhig allgemeiner verstehen – zu begreifen. Er sieht eine Bewegung, die hin geht zu Erfahrungen, hin geht zu einer Ekstase der Berührungen, die sich in materiellen Gütern versammeln, sich verzweifelt feiern, vergessen, bis sie genug Kick aus diesem Rausch gewonnen haben. Die bedingungslose Hingabe an die eigene Unerfahrenheit. Es gibt einen Endpunkt dieser inneren Schreie nach Freiheit, man denke an die Bilder der Abreise in Harmony Korines Spring Breakers, aber Malick geht noch einen Schritt weiter, weil er den nächsten Adrenalinstoß sucht und ihn in der Figur der Schlange findet. Die Schlange, die sich enthäutet, die wie Phoenix neu geboren wird. Es geht um das Begehren nach Veränderung. Es geht derart auch um das Verlieben, das Entfremden vor einer Liebe und den Wunsch, zurück in die Unschuld zu fallen. Ja, das sind biblische Themen, große Themen, aber der Film stellt sie, wie auch schon Knight of Cups, nicht als Lösungen in den Raum, sondern als aufrichtige Fragen, die immer wieder gestellt und variiert werden. Song to Song handelt weniger von den Liedern als von den Augenblicken dazwischen.

Dabei findet Malick erstaunliche Bilder und Motive. Ein Beispiel sind die bereits genannten Schmetterlinge, die häufiger im Film vorkommen. Zunächst als lebende Wesen, dann aus Papier oder Plastik und schließlich als bizarre digitale Abbildungen im Schlafzimmer von Cook. In ihrer Leichtigkeit und Illusion flattert die Unentschiedenheit zwischen Lust und Tränen, die den ganzen Film durchwandert. Natürlich hebt Malick diese Konflikte auch in Bereiche zwischen Sünde und Reinheit oder Materialismus und Spiritualität. Er bietet aber weitaus mehr an, als diese etwas aus der Mode gekommenen Kategorien. Eigentlich bietet er sehr vieles an: Die Sinnlichkeit von Staub im Sonnenlicht, die abgeklärte Distanz reicher Villen, den Schmutz und die Poesie einer Berührung und das tänzelnde Annähern von Darstellern, die immer mal wieder so wirken, als wären sie in einer Schauspielübung. Aber kann man das Malick, der sich nicht um Naturalismus schert, sondern um Spontaneität, vorwerfen?

Eine andere Frage, die vielleicht dringender scheint: Kann uns dieselbe Kamera durchaus mit kritischer Doppelbödigkeit den Überdruss von Reichtum zeigen und sich dann mit derselben die Augen überfallenden Art der Schönheit der Natur hingeben? Wird auf diese Art nicht alles, was wir sehen, belanglos in einem Sturm von Bildern, die jener Welt angehören, die Malick inhaltlich durchaus hinterfragt? Einmal schwenkt die Kamera weg von den Reichen und Schönen auf ein kleines Kind, das über die Wiese rennt, einmal kommen plötzlich Rehe ins Spiel und ein andermal wird beinahe fetischisierend auf die harten Bauarbeiter geblickt. Diese Bilder sind Teil der gleichen Bewegung, sie werden aus der gleichen Perspektive geworfen und statt auf Unterschiede zwischen den Welten hinzuweisen, wird behauptet, dass alles Teil der gleichen Kreation ist. Das Problem ist, dass sich die Kamera für Gott hält und Malick für einen Apostel. Hinzu kommt, dass Malick gar nicht schnell genug schneiden kann, um seine Überfülle an Bildern unterzubringen. Würde man diesen Rausch der Willkür in den Passagen mit Cook oder auch in Knight of Cups noch als formale Notwendigkeit verstehen, erscheint sie hier oft ungelenk und bricht den Rhythmus aller Lieder, die von Liebe handeln.

Song to Song ist ein humpelnder Schmetterlingsfilm. Malick filmt alles, als wäre es ein Schmetterling, zerbrechlich, wunderschön, erhaben, sich verwandelnd, symbolisch. Dabei schaut er den Schmetterling nie wirklich an und es ist ihm egal, ob der Schmetterling echt ist, aus Papier oder digital. Das ist ein Problem auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite vermag er so von den suchenden Küssen der Figuren erzählen. Sie treiben durch ihre Lust, ihre Einsamkeit, hinein in den nächsten Schmerz, der wie ein Damoklesschwert über jeder Harmonie des Films hängt. Wem das alles zu viel scheint, auch das sei noch bemerkt, der kann den Film durchaus als Musikfilm sehen. Nicht für die Musik, die auf den Bühnen oder von den Protagonisten gespielt wird, sondern jene, die Malick ineinander montiert wie ein großer DJ. Von Camille Saint-Saëns über Die Antwoord bis zu The Black Lips: Alles, was man braucht, um zu erkennen, dass Liebe ein Lied ist. Ihr Scheitern und ihre Illusion aber auch.

Song to Song

In Terrence Malicks „Song to Song“ gibt es erstaunlich viel Zeit für die Liebe im Leben der Protagonisten. Alles, was die Figuren tun, alles, worüber sie nachdenken, ist von Reflektionen der Liebe erfüllt. In diesem Zustand mag man sich beim Betrachten des Films entweder verlieben oder abwenden von jedweder Zärtlichkeit, die nie ohne Schmerz kommen will.
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Meinungen

Paul Wallenhorst · 26.05.2017

"das tänzelnde Annähern von Darstellern, die immer mal wieder so wirken, als wären sie in einer Schauspielübung"
Grade das ist es, was mir die ganze Zeit so springend ins Auge gefallen ist. Alle Figuren wirken für mich so, als ob sie grade Dinge tun, weil sie wissen, dass das ein schönes Bild abgibt. Diese bemühte Natürlichkeit löst sich in der Bemühung auf und viele Bilder kratzen an am Genre "feel-good-werbespot". Und auch die Gefühle wirken für mich so arg überpräsentiert, dass sie in einem großen kalten nichts verschwinden. Aber, und das ist die super neunmal kluge Frage: Vielleicht sind das die Kennzeichen der Liebe? Über sein eigenes Verhalten reflektieren, sich in bestimmte Positionen bringen (für den anderen), eine gewisse Dumpfheit in allem erkennen, das Bild des Schönen und des Traurigen erzwingen usw. Dass einem das eigene Ich und die Welt fremd vorkommen. Aber ob das nun wirklich Malicks Intention ist und ob man wirklich so viel im Kopf drehen und wenden sollte... naja. Alles in allem wohl ein Film, der ein "zu viel" hat und gleichzeitig auch zu wenig (richtige Menschen kommen selten vor)