Siebzehn (2017)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Dieser Hunger nach Leben und Liebe

Lanzenkirchen in Niederösterreich ist nicht gerade der Nabel der Welt – erst recht nicht, wenn man siebzehn Jahre alt ist, kurz vor der Matura steht und das Leben einem eigentlich weit offen und voller Möglichkeiten erscheint. Lanzenkirchen, rund eine Stunde von Wien entfernt, ist der Handlungsort von Monja Arts Spielfilmdebüt Siebzehn – und es ist auch die Gegend, in dem die Filmemacherin selbst aufgewachsen ist. Kein Wunder also, dass vieles, was der Film zeigt, der eigenen jugendlichen Erfahrungswelt der Regisseurin entstammt. Und dennoch ist es keine Selbstverständlichkeit, dass hier gelingt, was sonst gerade in Debüts oftmals danebengeht: Siebzehn versteht es, aus dem Umstand, nah an den Emotionen und Atmosphären dran zu sein, auch eine Nähe und Vertrautheit des Zuschauers zu den Figuren zu erschaffen. Und gerade dies hilft dem sehenswerten und beim Filmfestival Max Ophüls Preis 2017 mit dem Hauptpreis bedachten Film dabei, kleinere Längen und dramaturgische Dellen locker auszugleichen.

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Paula (Elisabeth Wabitsch, die in Saarbrücken völlig zurecht mit dem Preis als beste Darstellerin ausgezeichnet wurde) ist eine der Schülerinnen am örtlichen Gymnasium, die zum Unterricht in einer Uniform (weiße Bluse, dunkler Rock) erscheinen. So züchtig das Auftreten auch ist, so gegenwärtig sind die Nöte, die das Mädchen und seine Mitschüler_innen umtreiben: Es geht um Liebe und den damit verbundenen Kummer, um Sex, ums Saufen und um den Frust über die langweilige Schule, um unerfüllte Sehnsüchte, familiäre Probleme, Klatsch und Tratsch, um die Allgegenwärtigkeit der (sozialen) Medien und darum, sich über sich selbst und die eigene Identität klar zu werden. Das ist insbesondere für Paula ein Problem, denn sie interessiert sich nicht für die Jungs in ihrem Alter, sondern viel mehr für Charlotte (Anaelle Dészy), doch die ist mit Michael (Leo Plankensteiner) zusammen. Also lässt sich Paula auf Tim (Alexander Wychodil) ein, doch der will schnell mehr als Paula bereit ist zu geben. Und dann ist da noch Lilli (Alexandra Schmidt), die es auf Paula abgesehen hat und sie schließlich verführt – doch es ist nur ein Spiel mit den Gefühlen.

Siebzehn ist in seinen Bezügen zur Lebenswelt seiner Protagonist_innen, seinen Zitaten von Popsongs von Bilderbuch bis Clara Luzia ein sehr gegenwärtiger Film – und zugleich auch genau dies nicht: Die Probleme seiner Figuren sind zeitlos, sie handeln vom Leben in der Provinz, vom Anderssein, der Suche nach der eigenen Identität – auch der sexuellen – und versammeln Typen und Charaktere, die man so oder ähnlich überall finden kann, sei es nun in Lanzenkirchen in Niederösterreich oder in Berlin: die Träumerin, den Verschüchterten, die Intrigante, den Hengst usw. Dass dieses Personal, das man in ähnlicher Weise auch aus US-amerikanischen Filmen kennt, dennoch fast nie zum Klischee gerät, liegt vor allem an Monja Arts Herangehensweise beim Inszenieren, an ihr Vertrauen, dass sie ihren Darsteller_innen schenkt und durch das umgekehrt sie, der Film und damit auch die Zuschauer reich belohnt werden. Entstanden ist der Film in einer Mischung aus festem Drehbuch mit geschriebenen Dialogen und freier Improvisation, die vor allem immer dann zum Tragen kam, wenn die Szenen mit zwei Darsteller_innen recht intim waren. Das Wunderbare ist, dass man diese Wechsel überhaupt nicht bemerkt, sondern vielmehr beinahe durchgängig das Gefühl hat, dass man hier ganz nah dran ist an der Seelenwelt der Heranwachsenden. Das ist mitunter verwirrend, manchmal so banal und öde wie das Leben selbst und dann wieder mit herrlich lässiger Beiläufigkeit von großen Gefühlen erzählend, wie man dies viel zu selten in Coming-of-Age-Filmen umgesetzt sieht. Ebenso bemerkenswert ist auch die ruhige Abgeklärtheit des Films, die dieser gegenüber der sexuellen Orientierungssuche seiner Hauptfigur an den Tag legt: Ob Paula nun homo- oder hetero- oder vielleicht bisexuell ist, macht hier keinen Unterschied; Schmerzen und Pein verursacht die Liebe so oder so, ganz gleich in welcher Konstellation. Man wünscht sich inständig, dass diese Haltung von Siebzehn ein gängiges Denkmuster innerhalb der Generation ist, von der der Film mit so viel Liebe und Empathie erzählt.
 

Siebzehn (2017)

Lanzenkirchen in Niederösterreich ist nicht gerade der Nabel der Welt – erst recht nicht, wenn man siebzehn Jahre alt ist, kurz vor der Matura steht und das Leben einem eigentlich weit offen und voller Möglichkeiten erscheint. Lanzenkirchen, rund eine Stunde von Wien entfernt, ist der Handlungsort von Monja Arts Spielfilmdebüt „Siebzehn“ – und es ist auch die Gegend, in dem die Filmemacherin selbst aufgewachsen ist.

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