Shot in the Dark

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Licht ins Dunkel bringen

„Sehnsucht nach Licht ist des Lebens Gebot“, wusste schon Henrik Ibsen, der als Künstlerfigur des langen 19. Jahrhunderts besonders gerne in die dunkel-verborgenen Seelen seiner Mitmenschen blickte. Der Mensch und das Licht: Das war schon seit Menschengedenken – und erst recht in der Kunst – stets eine ganz besondere Beziehung. Immer verbunden mit dem Gedanken, dass der eine Mensch – zugleich Künstler – dem anderen Menschen – dem Betrachter – sozusagen als Seher etwas vorsetzt und im Grunde nur will, dass jener eben genau dorthin seine Augen richten soll: Eben auf etwas, das der eine stellvertretend für den anderen gesehen hat.
So genial wie einfach war das seit jeher in der Kunstgeschichte. Die Geschichte der Malerei seit der Renaissance strotzt nur so von diesem Topos – und er reicht inzwischen tief hinein in die Welt der Gegenwartsfotografie. Viele Arbeiten von August Sander, Helmut Newton, Robert Mapplethorpe oder Robert Frank erzählen beispielsweise ganze Romane mit nur einer einzigen Aufnahme. Im selben Moment spiegelt sich in ihnen – und damit ebenso vor dem Auge des Betrachters – immer auch der entsprechende Fotokünstler hinter der Kamera.

Speziell für diese Ausgangsstellung wie Wechselbeziehung interessiert sich Frank Amann in seinem facettenreichen Dokumentarfilm Shot in the Dark. Ist das Ganze trotzdem nur ein weiterer Fotografenfilm über die „Macht des Lichts“? Mitnichten. Denn eine wesentliche Komponente ist hier komplett anders: Amanns künstlerische Protagonisten sind allesamt blind. Entweder sind sie bereits erblindet – oder sie können nur noch aus allernächster Nähe schärfere Bildpunkte erkennen. Neben ihrer Liebe zur eigenen fotografischen Arbeit eint sie genauso ihre Angst vor dem völligen Sehverlust: Der absoluten Dunkelheit, die vielfach auch sozialer Natur ist. Offen wird dabei über die „Grausamkeit des Erblindens“ gesprochen.

Trotzdem können viele sehschwache Menschen selbst noch in finsterer Umgebung einzelne Lichtpunkte erkennen und ihre Umgebung teilweise fast ebenso gut erkennen wie Sehende. Auch das lehrt, angenehm unaufdringlich und teilweise sogar mit reichlich Wortwitz („Willst du ein leuchtendes Schwert wie bei Star Wars?“ – „Nein, nein: Ein ganz normales.“) Amanns leise beobachtender Dokumentarfilm, den er auch als Autor und Kameramann aus dem Hintergrund verantwortet: Er ist nicht sichtbar. Und das ist umso besser in einem Film, der intuitiv permanent folgende Fragen stellt:

Was sehen denn dann konkret blinde Künstler? In sich selbst wie in den Bildern, die sie für andere machen? Und wie gelingt diesen sehr unterschiedlichen Fotografen (Bruce Hall, Sonia Soberats und Pete Eckert) – auch in technischer Hinsicht – überhaupt der innere Gedankentransfer des Bilder-Machen-Wollens in reale Abzüge und spätere Ausstellungskataloge? Was ist bei dieser sehr besonderen Art des Fotografierens von vornherein gewollt, was Experiment und was ist am Ende vielleicht sogar so etwas wie „Reporterglück“ mit einem plötzlich unerwarteten Detail, einem nahezu perfekten Hintergrund oder einer unvorhergesehenen Bewegung während des Shootings?

Unterlegt von wunderbar abstrakten Klangcollagen aus der musikalischen Feder von FM Einheit, die sich irgendwo zwischen U-Boot-Lauten und schrill-dumpfen Tonreflexen bewegen, gelingt Shot in the Dark dieses filmisch keinesfalls leichte Unterfangen gleich in mehreren Passagen: Wir sehen Unterwasseraufnahmen, Kirchenräume, Naturfotografien und jede Menge experimentelle Bilder. Angenehmerweise wird dazu selten etwas erklärt, allein manche O-Töne aus dem Off verorten die jeweilige Szenerie in Ansätzen. Vielmehr tragen diese Szenen dazu bei, dass man sich als Zuschauer selbst konkret die Frage stellt, ob und wo wir „Normalseher“ eigentlich gedankliche Grenzen zwischen Real- und Fantasie- oder Traumbildern ziehen: Denn im Schlaf haben wir allesamt die Augen geschlossen. Und wie wäre es daher, einfach mal im ganz realen Leben mit eben jenen geschlossen Augen durch die Welt zu wandern, alleine mit diesen wunderbaren Sätzen im Ohr: „Man kann sich ein Archiv aus Erinnerungen bauen.“ Und weiter: „Aus Geräuschen lassen sich Bilder bauen.“

Im Grunde fußt Amanns insgesamt sicherlich fordernder, aber mitunter umso faszinierenderer Beobachtungsfilm auf einem Ausspruch der abstrakt arbeitenden, mit Lichtstäben hantierenden Sonia Soberats, der den Regisseur bei der Dreharbeiten stets begleitete: „Die Vorstellungskraft der Sehenden bleibt hinter ihren Möglichkeiten zurück.“ Sie muss es wissen. Nach dem Tod ihrer beiden Kinder und der anschließenden Erblindung sieht sie inzwischen nur noch eines: Das Wesentliche. Ob mit oder ohne Brille.

Shot in the Dark

„Sehnsucht nach Licht ist des Lebens Gebot“, wusste schon Henrik Ibsen, der als Künstlerfigur des langen 19. Jahrhunderts besonders gerne in die dunkel-verborgenen Seelen seiner Mitmenschen blickte. Der Mensch und das Licht: Das war schon seit Menschengedenken – und erst recht in der Kunst – stets eine ganz besondere Beziehung.
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