Sehnsucht nach Paris

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Kleine Fluchten

Das Leben auf dem Land? Ist nur halb so romantisch, wie man das von der neuen Schwemme der Zeitschriften und Magazine suggeriert bekommt, die gerade den Landhaus-Lebensstil als Gegengift gegen die Hektik der vernetzten und globalen Welt abfeiern.
Davon kann auch Brigitte (Isabelle Huppert) ein Lied singen, die mit ihrem Mann Xavier (Jean-Pierre Darroussin) einem Rinderzüchter, in der Normandie lebt. Als habe sie eine Allergie gegen die Zumutungen des einfachen Lebens, plagt sie ein Ausschlag, der die Brust bedeckt und sich weiter auszubreiten droht. Und dem Drängen ihres Mannes, einen Spezialisten in Paris aufzusuchen, gibt sie nicht nach — bis sie eines Tages Stan (Pio Marmaï) kennenlernt, einen jungen Mann aus der Hauptstadt, der zufällig auf einer Party im Nachbarhaus weilt. Es beginnt ein kleiner harmloser Flirt — und plötzlich ist da in ihr der unbändige Wunsch unübersehbar, einmal kurz auszubrechen aus dem täglichen Einerlei, aus der Ehe, die ein wenig mürbe und fad geworden ist, aus diesem vermaledeiten Landleben, in dem nicht die Zweisamkeit, sondern die Charolais-Rinder im Mittelpunkt stehen. Also macht sie sich unter dem Vorwand, endlich einen der empfohlenen Dermatologen aufzusuchen, für drei Tage auf den Weg nach Paris, wo sie der Weg allerdings nicht in eine Praxis, sondern zu einem Klamottenladen führt, wo Stan arbeitet. Die beiden kommen sich näher, doch Brigitte kneift ein zweites Mal. Und dann steht plötzlich unvermutet der Däne Jesper (Michael Nyqvist) vor ihr, ein Mann von beeindruckender Ausstrahlung…

Schon im Jahre 2010 hatten der Regisseur Marc Fitoussi und Isabelle Huppert gemeinsam einen Film gemacht — und wenn man Copacabana kennt und ihn mit Paris Follies vergleicht, sind die Ähnlichkeiten unübersehbar, was keinesfalls nur an der Hauptdarstellerin liegt, sondern auch an dem beiläufigen Tonfall, in dem die Geschichte erzählt wird. Zudem tragen die beiden Protagonistinnen unverkennbar die gleichen Handschrift, sie könnten Schwestern im Geiste sein: Beide sind Frauen, die vom Leben und den Enttäuschungen schon ein wenig gezeichnet sind, die aber dennoch nicht daran denken zu resignieren. Sie wollen noch etwas vom Leben, fordern ihren Anteil ein, wollen sich ein wenig treiben lassen, wollen sich verlieren, ohne dabei den Menschen in ihrer Umgebung weh zu tun. Was sie tun, entspringt keiner kühlen Überlegung, keiner emanzipatorischen Agenda, sondern geschieht ganz einfach und beiläufig.

Dass Brigitte am Ende zu Xavier zurückkehrt, mag nur auf den ersten Blick wie die Rückkehr in den sicheren Hafen der Ehe erscheinen. In Wirklichkeit aber, so vermitteln es die letzten Bilder, haben sich hier zwei Menschen wieder aneinander angenähert, bei denen die Magie von früher einer kleinen Flucht bedurft hatte. Und so schweben sie am Ende in den Wassern des Toten Meeres, zuerst einander gegenüber, dann nebeneinander, in vollkommener Harmonie, die Augen geschlossen, vertrauensvoll und gelöst. Und der Ausschlag, der den Ausschlag gab für die kleine Krise, von der Paris Follies erzählt, wird sich am Ende auflösen und verschwinden. Hoffentlich für immer…

Sehnsucht nach Paris

Das Leben auf dem Land? Ist nur halb so romantisch, wie man das von der neuen Schwemme der Zeitschriften und Magazine suggeriert bekommt, die gerade den Landhaus-Lebensstil als Gegengift gegen die Hektik der vernetzten und globalen Welt abfeiern.
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