Schloss aus Glas (2017)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Familie und Charakter

Wann ist man im Leben erfolgreich: Wenn man in einer schönen Wohnung lebt, einen guten Job und ausreichend Geld hat – oder wenn man es genau nach seinen Vorstellungen lebt? Mit dieser Frage sieht sich Jeannette Walls (Brie Larson) beständig konfrontiert, ja, sie macht gewissermaßen den Kern ihres Daseins aus. Mittlerweile ist sie Klatsch-Kolumnistin einer Zeitung, verlobt mit einem wohlhabenden Investmentbanker und lebt in der Park Avenue. Aufgewachsen ist sie aber bei zwei Träumern, die ständig ihren Wohnsitz wechseln mussten und für die individuelle Freiheit über alles ging.

Gleich zu Beginn des Films Schloss aus Glas prallen diese Welten aufeinander: Jeanette sitzt in einer Limousine und sieht ihre Eltern im Müll wühlen. Dieser Anblick ist ihr peinlich, sie versinkt im Sitz, aber ihr Vater Rex (Woody Harrelson) hat sie erblickt – und verstärkt ihre Scham. Nun weiß er, dass ihr ihre Eltern peinlich sind. Und das widerspricht allem, was er seinen Kindern beibringen wollte.

Diese Begegnung ist in Destin Daniel Crettons Film Auslöser für Jeanettes Erinnerungen an ihre Kindheit, die unterbrochen werden von Konfrontationen in der Gegenwart. Hierin zeigt sich der Widerspruch, mit dem sie zu kämpfen hat: Lange Zeit fand Jeanette ihre Kindheit schön. Sie reiste mit ihren Eltern und ihren Geschwistern durchs Land, mal schliefen sie im Auto, mal in der Wüste oder in leerstehenden Häusern. An manchen Orten blieben sie länger als ein paar Wochen, aber früher oder später mussten sie immer aufbrechen, weil jemand hinter ihrem Vater her war – in der Regel sagte er, es sei die Regierung, tatsächlich waren es aber wohl Schuldeneintreiber. Ihre Mutter war völlig versunken in ihre Malerei, die Kinder oft sich selbst überlassen. Sie gingen nicht in die Schule, sondern beziehen ihre Bildung aus Büchern und konnten früh lesen, schreiben, rechnen und hinterfragen. Es war ein wildes, grenzenloses Leben, zu dem aber auch gehört, dass ihr Vater immer wieder den Job verliert und das Geld vertrinkt und sie in einem Haus ohne Toilette und Essen im Kühlschrank wohnen. Zu diesem Leben gehört auch das titelgebende „Schloss aus Glas“, dessen Bau insbesondere Jeanette und ihren Vater über Jahre hinweg beschäftigen. Es gibt ausgefeilte Pläne und Berechnungen, immer wieder gibt Rex vor, an Materialien zu forschen. Aber letztlich wird es nie fertig werden. Diese Erkenntnis bewirkt bei Jeanette einen Wandel und sie blickt der Wahrheit ins Auge: Sie haben nie genug zu essen, ihr Vater ist ein Trinker, ihre Mutter zu schwach, ihn zu verlassen, und wenn sie und ihre Geschwister nicht ihr Leben selbst in die Hand nehmen, werden auch sie so enden. Also schmieden sie einen Plan, gehen zur Schule und sparen Geld für ihre Flucht nach New York. Denn eines hat Jeanette von ihrem Vater gelernt: Mut, Zähigkeit und Unabhängigkeit.

Schloss aus Glas basiert auf dem gleichnamigen autobiografischen Buch von der Journalistin Jeanette Walls, in dem sie ihre Kindheit verhandelt. Der Roman ist härter als der Film, es fehlen einige Änderungen im Stile Hollywoods, die zur Emotionalität beitragen sollen, beispielsweise der feierliche Schwur der Geschwister, diesem Leben zu entkommen oder das rabiate Schwimmlernprogramm von Rex. Doch es gelingt dem Regisseur und Co-Drehbuchautor (mit Andrew Lanham) Destin Daniel Cretton, dem Kern dieser Erzählung nahezukommen: Jeanette hatte eine Kindheit voller Armut und Vernachlässigung, aber auch voller Träume und Freiheit. Deshalb spart er die Härten dieses Lebens nicht aus, gibt sie aber auch nicht einem Armutsvoyeurismus preis. Dabei kann er sich auf seine gute Besetzung verlassen: Naomi Watts passt wunderbar in die Rolle der entrückten, individualistischen Malerin, die die harte Realität ausblenden kann. Brie Larson verkörpert den Widerspruch in Jeannette Walls überzeugend. Herausragend ist indes Woody Harrelson als Rex, der hier nicht dem Over-Acting erliegt, sondern die raue, schroffe Wildheit dieses Mannes überzeugend darstellt. Larson und Harrelson ist es auch zu verdanken, dass die überflüssige finale Aussprache glaubhaft bleibt. Daher zeigt dieser Film auch dank seiner guten und passenden Besetzung, wie schmal der Grat zwischen Freiheit und Egoismus ist.

Schloss aus Glas (2017)

Wann ist man im Leben erfolgreich: Wenn man in einer schönen Wohnung lebt, einen guten Job und ausreichend Geld hat – oder wenn man es genau nach seinen Vorstellungen lebt? Mit dieser Frage sieht sich Jeannette Walls (Brie Larson) beständig konfrontiert, ja, sie macht gewissermaßen den Kern ihres Daseins aus.

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