Restless (2010)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Eine Liebe auf Zeit

Offensichtlich ist die Zeit der Experimente vorbei: Gus Van Sant erzählt in seinem neuen Film Restless, der in diesem Jahr die Nebenreihe „Un Certain Regard“ eröffnete, zwar abermals wie in Elephant von Kids im Abseits, doch statt irritierender Distanz und rätselhafter Ellipsen in der Erzählung gibt es nun ein recht straight erzähltes Melodram, das von einer jungen Liebe erzählt, um deren Zukunft es schlecht bestellt ist.
Zuerst begegnen sie sich auf einer Beerdigung: Enoch (Henry Hopper, der Sohn von Denis Hopper) ist wohl das, was man einen Bestattungstouristen nennt — immer wieder taucht er bei Trauerfeiern auf und multipliziert damit vor allem sein eigenes Trauma: Als seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben kamen, gab es eben diesen Abschied nicht, denn Enoch lag zu diesem Zeitpunkt selbst im Koma, war sogar für drei Minuten klinisch tot und im übrigen noch ein Kind. Nun lebt er bei einer Tante und führt ein völlig zurückgezogenes Leben, das sich erst ändert, als ihm Annabel Cotton (Mia Wasikowska) über den Weg läuft. Deren Trauma liegt nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart bis nahen Zukunft, denn Annabel ist unheilbar an Krebs erkrankt — ihr bleiben nur noch drei Monate zu leben. Die beiden verlorenen Seelen — der eine gefangen in einer Erinnerung, die andere mit dem nahen Ende vor Augen — nähern sich behutsam aneinander an, treiben zuerst ihre makaberen Späße miteinander und verlieben sich schließlich; wohl wissend, dass die gemeinsame Zeit beschränkt ist.

Restless dürfte wohl als Gus Van Sants konventionellster Film seit langem in die Biofilmographie des mittlerweile 58 Jahre alte Regisseurs eingehen, der nach wie vor vor allem Jugendliche und junge Erwachsene in den Mittelpunkt seiner Geschichten rückt. Allerdings ist es schon erstaunlich, wie wenig Van Sant die ganz normalen Jugendlichen von heute interessieren. So wie sich Enoch kleidet und gibt, ist er ein Dandy des Todes, der bei den Trauerfeiern gerne mal im Gehrock und stets mit Krawatte auftaucht. Zur Kommunikation dienen den beiden Liebenden statt Handy und E-Mail handgeschriebene Briefe, Bücher mit hineingekritzelten Mitteilungen, innige Blicke und vor allem natürlich viel gemeinsam verbrachte Zeit. Fast scheint es so, als sähe der Regisseur in dieser Liebe auf Zeit ein Ideal, das nüchtern betrachtet eher im 19. statt im 21. Jahrhundert angesiedelt scheint. Das ist hoffnungslos romantisch, oftmals ein wenig kitschig und zum Sterben schön, was vor allem an Mia Wasikowska und Henry Hopper liegt, während sich der überwiegend Folk basierte Score mit der Dauer als eher penetrant und nervig erweist.

Die Konventionalität der Inszenierung und der betuliche Rhythmus, den Gus Van Sant anschlägt, werden erzählerisch kaum je aufgefangen oder konterkariert, obwohl es im Drehbuch durchaus Ansätze dazu gibt, die Geschichte nicht als Teenage-Version von Love Story wirken zu lassen: Eine wunderbare Idee ist beispielsweise das Auftauchen von Enochs Phantomfreund Hiroshi, einem japanischen Kamikaze-Piloten, der im Zweiten Weltkrieg sein Leben ließ und der nun als Geist nahezu der einzige Vertraute ist, den der Außenseiter Enoch überhaupt hat. Subplots wie diese können aber nicht verhindern, dass Restless nur teilweise überzeugen kann und manchen Zuschauer mit gemischten Gefühlen zurücklassen dürfte. Und die liegen in diesem Fall nicht an der Grundkonstellation, sondern an Van Sants schwärmerischen Idealen, die letzten Endes dann doch ein wenig angestaubt und gnadenlos retro sind.

Restless (2010)

Offensichtlich ist die Zeit der Experimente vorbei: Gus Van Sant erzählt in seinem neuen Film „Restless“, der in diesem Jahr die Nebenreihe „Un Certain Regard“ eröffnete, zwar abermals wie in Elephant von Kids im Abseits, doch statt irritierender Distanz und rätselhafter Ellipsen in der Erzählung gibt es nun ein recht straight erzähltes Melodram, das von einer jungen Liebe erzählt, um deren Zukunft es schlecht bestellt ist.
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