Raving Iran (2016)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Tanz den Ayatollah!

Eine Nacht in Iran – mit Polizeikontrolle: „Wo fahren Sie hin?“, möchte der Sittenwächter wissen. Die beiden Fahrer schweigen. „Machen Sie den Kofferraum auf!“, setzt er nach. Pause, warten – und dann er lässt die beiden doch passieren. Puh, heute ist nichts Gravierendes passiert: An diesem Abend ist es noch einmal gutgegangen. Anoosh und Arash, die beiden männlichen Protagonisten in Raving Iran, können durchatmen – und haben trotzdem zum wiederholten Male jede Menge Wut im Bauch: „So ein Arschloch!“.

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„To rave, or not to rave“ lautet im übertragenen Sinn die zentrale Frage in Susanne Regina Meures großartigem Langfilmdebüt Raving Iran. Denn die beiden Mittzwanziger sind Techno-DJs – im Iran. Was zunächst undenkbar klingt, ist auch in der illegalen Praxis mehr als gefährlich. Zusammen mit Freunden, deren Gesichter verpixelt sind, organisieren sie Raves: kurzfristig, mit wenig Equipment – und selbstverständlich an verbotenen Orten. Schließlich sei es lebensgefährlich Deep House in der Öffentlichkeit des Landes zu spielen: „Erst gestern ist ein Freund von mir verhaftet worden“, sagt einer der beiden Techno-Musiker einmal gegenüber der Kamera von Gabriel Lobos, der zusammen mit der Regisseurin ohne Genehmigung in der islamischen Republik drehte.

„Als Touristen mit einer Canon 5D“ und ihren iPhones, die eine wichtige Rolle im fertigen Film spielen, seien sie lediglich ausgestattet gewesen, erläuterte Meures die brisanten Drehbedingungen im Rahmen der Deutschlandpremiere auf dem DOK.fest München. Infolge eines Artikels in einer englischen Tageszeitung war die Fotografie-Studentin auf das Thema „Raven gegen das Regime“ gestoßen. Während der Recherche trat sie dann im Anschluss via Facebook mit gut 40 iranischen Techno-Jüngern näher in Kontakt, doch mitmachen wollten am Ende nur Arash und Anoosh.

In ihrer islamischen Heimat hat sich das mutige DJ-Duo durch legendäre Underground-Raves bereits einem Namen gemacht. Nur öffentliche Partys organisieren, dort auflegen oder gar vor Ort ihre Musik verkaufen dürfen die beiden in keinem Fall. Schließlich gilt Techno gegenüber der strengen Sittenpolizei des Landes als „satanische Musik“ und höchst jugendgefährdend. Allein traditionelle iranische Klänge oder klassische Klaviermusik-Aufnahmen dürfen in Teheran über den Ladentisch wandern und beworben werden. Metal-, Pop-, Rock- oder eben House-Musik ist offiziell verboten, weil „westlich“ – und damit gefährlich – wie es eine der eiskalten Beamtinnen im so genannten „Ministerium für Kultur und Islamische Führung“ zynisch ausdrückt. Diese Szene bildet einen der Fixpunkte in Meures präzise beobachtenden Dokumentarfilm, der ebenso fasziniert wie aufrüttelt.

Quasi in einer Art Undercover-Direct-Cinema-Ästhetik gedreht und spannend wie ein Thriller erzählt, wenngleich auch manche Szene zu arrangiert wirken mag, ist Raving Iran mit Sicherheit einer der formal innovativsten Dokumentarfilme des Jahres. Gleich mehrere Preise (wie der renommierte „First Steps Award“) und eine regelrechte Einladungswelle zu den bedeutendsten Dokumentarfilmfestivals der Welt in Nyon, Toronto oder Krakau sprechen eine deutliche Sprache: Der gebürtigen Mönchengladbacherin Meures, die heute als Bildredakteurin in der Schweiz arbeitet, ist mit ihrem an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) entstandenen Abschlussfilm in der Tat ein großer Wurf gelungen.

Dass es sich lohnt, als Filmemacherin selbst kein Risiko zu scheuen, und man mit einem großen Willen kleine Budgets wettmachen kann, beweist Susanne Regina Meures Film zutiefst: Sie verfügt über ein geschultes Auge für eine lässige Bildsprache, ist auf der Handlungsebene an den entscheidenden Stellen mit der Handykamera dabei, welche sie mitunter sogar in die Hemden ihrer Protagonisten eingenäht hatte. Wie es dabei dem forschen DJ-Duo alias Blade & Beard am Ende gelungen ist, für einen Gig im Rahmen der Züricher Streetparade ins ersehnte Europa zu kommen, ist durchwegs spannend montiert – und empathisch im Zugang. Am Ende entwickelt sich Raving Iran sogar noch zu einer klugen Fluchtgeschichte über die Beweggründe von jungen Menschen, die im Grunde nur eines wollen: freiheitlich leben.
 

Raving Iran (2016)

Eine Nacht in Iran – mit Polizeikontrolle: „Wo fahren Sie hin?“, möchte der Sittenwächter wissen. Die beiden Fahrer schweigen. „Machen Sie den Kofferraum auf!“, setzt er nach. Pause, warten – und dann er lässt die beiden doch passieren.

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Meinungen

Nasim Nadjaffi · 17.05.2016

Dieser Film ist absolut sehenswert!