Prisoners (2013)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Erfrischend originelles Thriller-Kino

Spätestens seit seinem Oscar-nominierten Drama Die Frau, die singt ist der eigenwillige Kanadier Denis Villeneuve Filmkennern ein Begriff. Wie so oft, wenn ausländische Regisseure für nachhaltiges Aufsehen sorgen, ließ auch in seinem Fall der Ruf Hollywoods nicht lange auf sich warten. Geht die Vereinnahmung durch das nach wie vor eher konservativ ausgerichtete amerikanische Kino oftmals mit einer Reduktion der künstlerischen Ausdrucksweisen einher, stellt Villeneuve in seinem US-Debüt Prisoners das Gegenteil unter Beweis: Mit ein wenig Fingerspitzengefühl lassen sich auch dort selbstbewusste filmische Visionen umsetzen, die nicht jeder vermeintlich in Stein gemeißelten Regel nacheifern.

Keller Dover (Hugh Jackman) ist ein zupackender Mann, der einem einfachen Grundsatz folgt: Bete für das Beste, doch sei stets auf das Schlimmste vorbereitet. Trotz dieser lebensbestimmenden Maxime ist auch er nicht vor grausamen Schicksalsschlägen gefeit, wie ein ausgelassener Thanksgiving-Abend bei den befreundeten Nachbarn Nancy (Viola Davis) und Franklin Birch (Terrence Howard) zeigt. Kellers Tochter Anna (Erin Gerasimovich) und ihre Freundin Joy (Kyla Drew Simmons), das kleine Mädchen der Gastgeber, wollen das Haus nur für kurze Zeit verlassen, kehren aber nicht dorthin zurück. Bereits wenige Stunden später kann die alarmierte Polizei den geistig zurückgebliebenen Alex Jones (Paul Dano) festnehmen, dessen Wohnmobil in der Nähe gesehen wurde. Der mit den Ermittlungen betraute Detective Loki (Jake Gyllenhaal) glaubt zunächst, den Verdächtigen schnell überführen zu können. Doch Alex Jones streitet beharrlich ab, etwas mit dem Verschwinden der Mädchen zu tun zu haben, und, was noch schlimmer ist, es lassen sich keine Hinweise für eine Verwicklung in die Entführung finden. So muss der Beamte den vermeintlichen Täter wieder auf freien Fuß setzen. Eine Entscheidung, die der verzweifelte Keller Dover nicht akzeptieren will, zumal ihm Alex bei einem Handgemenge auf dem Parkplatz der Polizeistation eine scheinbar eindeutige Bemerkung zuraunt. Von den Behörden enttäuscht und fest entschlossen, die Mädchen zu retten, bringt der Familienvater den jungen Mann in seine Gewalt.

Wie eine Vielzahl kompromissloser Selbstjustizfilme schreckt auch Prisoners nicht vor expliziten Einstellungen zurück, setzt diese aber äußerst sparsam als Kontrapunkte zu den Bildern ein, die die Eskalation der Gewalt lediglich andeuten. Auch wenn Keller Dover in der Tradition des kontroversen 70er-Jahre-Streifens Ein Mann sieht rot den Glauben an die Staatsmacht verliert und, den Genreregeln entsprechend, in archaisch-ungezügelter Weise auf die Freilassung des mutmaßlichen Entführers antwortet, unterminiert der Film sein selbstherrliches Handeln gleich in mehrfacher Hinsicht. Zeigen ihn die ersten Szenen noch als gottesfürchtigen Menschen, wird diese Charaktereigenschaft im Zuge der immer perfideren Foltermethoden, denen der hilflose Alex Jones ausgesetzt ist, nachhaltig ad absurdum geführt. Der ehemals mit einem vernünftigen Gerechtigkeitsempfinden ausgestattete Familienvater wandelt sich zu einer wütenden Bestie, die das Böse mit niederträchtigen Mitteln zu bekämpfen versucht.

In Frage gestellt wird das rücksichtslose Verhalten des Protagonisten zudem durch das schwankende Auftreten des Ehepaars Birch, das immerhin selbst um das Leben der eigenen Tochter bangt. Während Franklin von Anfang an vehemente Einwände gegen die Entführung des vermeintlichen Täters vorbringt, von Keller aber zum Handlanger degradiert wird und unter dieser Last zusammenbricht, ist seine Frau Nancy zwar entsetzt, als sie dem übel zugerichteten Alex gegenüber tritt, optiert jedoch für eine stille Mitwisserschaft: Sie will dem Gepeinigten selbst keinen Schaden zufügen, dem rasenden Keller aber auch nicht Einhalt gebieten. Eben diese moralisch hochgradig ambivalente Gemengelage fordert den Zuschauer nachdrücklich zur eigenen Meinungsbildung heraus: Wie würde er sich in einer derartigen Extremsituation verhalten? Seltsam randständig präsentiert sich in diesem Zusammenhang einzig Kellers Ehefrau Grace (Maria Bello), die vom Drehbuch auf die klischeebeladene Rolle der in Depressionen verfallenden Mutter reduziert wird.

Eine umfassende Analyse der Familiendynamiken nach der Entführung hat in der Gesamtkonstruktion von Prisoners allerdings auch nur wenig Platz, da in einem parallelen, annähernd gleichberechtigten Erzählstrang Detective Loki und seine zermürbenden Nachforschungen in den Blick genommen werden. Klassische Ermittlungsschritte, falsche Fährten und wirkungsvolle Spannungsmomente steigern die ohnehin beklemmende Atmosphäre angesichts des ungewissen Schicksals der verschwundenen Mädchen. Ganz nebenbei schält sich aus der Geschichte das Psychogramm des einzelgängerischen, von Jake Gyllenhaal eindrucksvoll verkörperten Polizeibeamten heraus, der sich eigentlich nichts sehnlicher wünscht, als dem eintönigen Provinzleben zu entfliehen, den Fall aber doch so ernst nimmt, dass er jede Spur verfolgt und aufgrund zunehmender Frustrationen in Selbstzweifel verfällt. Besonders deutlich treten die Konturen von Lokis Charakter in den Szenen hervor, in denen er auf Keller Dover trifft, dem er im Verlauf der Ermittlungen – wie sich zeigen wird, vollkommen zu Recht – mehr und mehr misstraut. Zwischen den miteinander verwobenen Erzählsträngen hin- und herspringend, bleibt der Film in einem ständigen Fluss: Rätselhafte Krimielemente vermischen sich mit handfestem Psychothrill und unbequemen Drama-Bausteinen. Analog zur recht eigenwilligen Erzählweise lässt Villeneuves erster amerikanischer Spielfilm außerdem ein ausgeprägtes Stilbewusstsein erkennen, das sich nicht zuletzt in der Arbeit des bislang zehnfach Oscar-nominierten Kameramanns Roger Deakins widerspiegelt. Seine wunderbar tristen und weitestgehend farblosen Bilder fangen das pessimistisch-düstere Geschehen mustergültig ein.

Dass Prisoners trotz einer recht umfangreichen Laufzeit von 153 Minuten das Interesse des Zuschauers fast durchweg aufrecht erhalten kann, spricht einmal mehr für dieses absolut sehenswerte US-Debüt, das sich den Gesetzmäßigkeiten des Mainstream-Kinos keineswegs verschließt, durch eine geschickte Kombination und Ausdehnung der Konventionen jedoch zu einem letztlich herausfordernden Filmerlebnis jenseits schematischer Dutzendware avanciert. Für einen Thriller aus Hollywood ist das allemal bemerkenswert!
 

Prisoners (2013)

Spätestens seit seinem Oscar-nominierten Drama „Die Frau, die singt“ ist der eigenwillige Kanadier Denis Villeneuve Filmkennern ein Begriff. Wie so oft, wenn ausländische Regisseure für nachhaltiges Aufsehen sorgen, ließ auch in seinem Fall der Ruf Hollywoods nicht lange auf sich warten. Geht die Vereinnahmung durch das nach wie vor eher konservativ ausgerichtete amerikanische Kino oftmals mit einer Reduktion der künstlerischen Ausdrucksweisen einher, stellt Villeneuve in seinem US-Debüt „Prisoners“ das Gegenteil unter Beweis:

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