Nachtmeerfahrten

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Mit C.G. Jung in die Unterwelt

In zwei Wochen startet David Cronenbergs Film Eine dunkle Begierde, der von der Beziehung des Psychiaters und Mythenforschers C.G. Jung zu Sabrina Spielrein erzählt, in den deutschen Kinos. Passend zu diesem cineastischen Großereignis, mit dem sich einige Hoffnungen verknüpfen, bringt der Kölner W-Film Verleih nun – mit Rüdiger Sünners Nachtmeerfahrten – Eine Reise in die Psychologie von C.G. Jung einen Dokumentarfilm über den vor genau 50 Jahren Verstorbenen in die Kinos. Eine ideale Verknüpfung von „Fiktion“ (Cronenberg) und „Wahrheit“ (Sünner), die engagierte Kinomacher geradezu dazu herausfordern dürfte, ein Double Feature aus beiden Filmen zu schnüren. Ob das Publikum freilich mit der gleichen Begeisterung in Nachtmeerfahrten strömt wie in Cronenbergs mit Starpower gepushten Spielfilm, ist eher fraglich. Dabei könnte Sünners kenntnisreicher Film durchaus so manche zusätzliche Bedeutungsebene von Eine dunkle Begierde erschließen und gibt dem Zuschauer, der sich bislang wenig oder gar nicht mit der Arbeit C.G. Jungs beschäftigt hat, eine gelungene Einführung in dessen Gedankenwelt.
Auf die Verknüpfung von Jungs Arbeit und den Träumen und archaischen Strukturen des Kinos verweist der Filmemacher gleich zu Beginn selbst, wenn er die Nachtmeerfahrten zahlreicher Mythen mit dem Abtauchen der Zuschauer in das Dunkel des Kinosaales gleichsetzt. Von dieser Vorbemerkung ausgehend, entfaltet Sünner ein detailversessenes Bild von Jungs Leben und Denken, das auch die dunklen Seiten und Fehltritte des ehemaligen Freundes und dann erbitterten Konkurrenten von Sigmund Freud (inklusive diverser antisemitischer Äußerungen des Schweizers) nicht ausspart: Seine der Standesethik widersprechende Beziehung zu Sabrina Spielrein kommt ebenso zur Sprache wie Jungs zumindest anfängliche Faszination für die Geisteswelt der Nationalsozialisten, die er für ihren „germanischen Geist“ ausdrücklich lobte. Nachtmeerfahrten ist also keineswegs ein unkritisches Porträt Jungs, sondern spricht durchaus menschliche Fehler und Irrtümer an. Das ist mittlerweile in dokumentarischen Arbeiten über historische Persönlichkeiten leider längst nicht mehr selbstverständlich.

So verdienstvoll, ausgewogen und anregend Rüdiger Sünners Film auch sein mag – Nachtmeerfahrten ist nicht ohne Schwächen. Und die zeigen sich gleich von Beginn an: Die esoterisch-wabernde Musik mit dunklen Flötenklängen und schwebenden Synthi-Sounds ist dann doch genauso erwartbar wie Sünners Bildfindungen, die meist genau das illustrieren, was wir durch den Off-Kommentar vermittelt bekommen. Ist von den Titel gebenden Nachtmeerfahrten die Rede, sehen wir ein Boot durch dunkel schäumende Gewässer fahren, kommt die Sprache auf Indien, sehen wir das Taj Mahal. Die Kombination der filmischen Mittel erinnert häufig in fataler Weise an dramatisierte Fernsehdokumentationen, besonders an die Histotainment-Formate Guido Knopps. Gerade von einem Kinofilm darf und muss man dann doch etwas mehr erwarten – auch künstlerischen Mut.

Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sünners Film viel Richtiges und Bedenkenswertes über die Versöhnung von Ratio und Emotion, von Vernunft und Glauben und nicht zuletzt auch von der Kraft der Mythen beinhaltet. Und das gerade letzteres bis heute nichts von seiner Aktualität verloren hat, das kann man Woche für Woche im Kino besichtigen. Denn heutzutage, so bringt es die Psychologin Verena Kast an einer Stelle des Films auf den Punkt, sind die Märchen und archaischen Erzählungen durch die Fiktionen des Kinos ersetzt worden.

Nachtmeerfahrten

In zwei Wochen startet David Cronenbergs Film „Eine dunkle Begierde“, der von der Beziehung des Psychiaters und Mythenforschers C.G. Jung zu Sabrina Spielrein erzählt, in den deutschen Kinos. Passend zu diesem cineastischen Großereignis, mit dem sich einige Hoffnungen verknüpfen, bringt der Kölner W-Film Verleih nun – mit Rüdiger Sünners „Nachtmeerfahrten – Eine Reise in die Psychologie von C.G. Jung“ einen Dokumentarfilm über den vor genau 50 Jahren Verstorbenen in die Kinos.
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