Nachthelle

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Traum und Trauma

Es rüttelt sich und schüttelt sich die Landschaft, die ganze Welt; und vor allem Anna wird erschüttert an diesem Wochenende im Haus der verstorbenen Tante. Mit ihrem um einige Jahre jüngeren Freund Stefan und dem alten Bekannten Bernd und dessen Partner trifft sie sich zum Entrümpeln des Anwesens. Doch es ist nicht nur der alles wegfressende Kohletagebau, der die Gegend durchrüttelt, auch die Seele wird durch alte Erinnerungen und das Aufbrechen des Verdrängten buchstäblich zerrissen.
Die Traumapsychologie schleicht durch den Film, das Ich und das Doppel-Ich, die unverarbeitete Vergangenheit, längst vergessen, die plötzlich den Menschen angreift. Eine verdrängte Schuld, verdrängtes Verlangen, und dann dieses verlassene Geisterhaus in dieser verlassenen Geisterstadt, die bald fällig ist und für immer verschwinden wird…

Regisseur Florian Gottschick spielt auf der Klaviatur des Psycho-Horrorthrillers, und das mit einigen ganz schön schrägen Klängen: Nächtliche Besucher, verschlammte Stiefel, surreale Momente von Voyeurismus, Sex und Scham, Beklemmung… Und nicht nur die Grenzen der Seele zerfließen, auch die der Sexualität, des Begehrens, das langsam aus dem heterosexuellen Schneckenhaus herauskriecht.

Vier Menschen, ein Wochenende: Das bringt diverse gruppendynamische Prozesse zur Entfaltung, die an sich durchaus spannend anzusehen sind. Nun leidet Nachthelle freilich leider daran, dass es sich sichtlich um einen Debütfilm handelt: Gottschick hat nicht die Erfahrung, alle Themen perfekt zu jonglieren; Anna Grisebach, Benno Fürmann, Kai Baulitz, Vladimir Burlakov sind sicherlich gute Darsteller, allein sie sind zuweilen nicht gut genug geführt; und wenn nicht gerade Sexualität, Psychostress und nächtliche Horrorszenen vorkommen, kann es gut sein, dass die langen Nachmittage, die die vier verbringen, dem Film ein paar Längen hinzufügen.

Vermutlich würde der Film kein logisches Schritt-für-Schritt-Durchdenken aushalten; zumal Gottschick auch ein paar kleinere falsche Fährten eingebaut hat, zumal er im Schnitt einige Szenen wieder entfernt hat, von deren Handlungssträngen nun nur noch ein paar Spurenelemente übrig bleiben. Manches wird zu sehr mystifiziert; manches ist zu offensichtlich; und manche Motive sind metaphorisch zu sehr aufgeladen, um noch als subtil gelten zu können.

Die Hetero- und Schwulenwelten, die hier aufeinandertreffen, sind ein nicht geringer Auslöser für die Psychose, die sich, von Anna ausgehend, auf den Film selbst ausbreitet: Dass Bernd und Kai zusammen sind, stellt den jungen Stefan vor ziemliche Herausforderungen, und sein gequältes Herumdrucksen um das Thema wirkt ein bisschen auch wie ein peinliches Drumherumreden des Films selbst: als müsste der Zuschauer langsam und vorsichtig an dieses Thema herangeführt werden, das eigentlich gar nicht der Rede wert sein sollte. Ein Eindruck, der aber verfliegt, wenn der Film in die Offensive geht und die Vergangenheit enthüllt, in der Anna einige Schuld angehäuft hat, damals, zu DDR-Zeiten.

Dann nämlich findet Gottschick abseits der etwas blassen Alltagsszenen Bilder, die recht stark sind: etwa ein Eintauchen in die Vergangenheit, in der all die Geister von damals wieder aufleben. Das kulminiert in einer nächtlichen Jagd durch die Wälder, eine Jagd auf etwas, das ganz fremd und dabei doch ganz nah ist, an der Stelle, wo sich Traum und Trauma kreuzen.

Nachthelle

Es rüttelt sich und schüttelt sich die Landschaft, die ganze Welt; und vor allem Anna wird erschüttert an diesem Wochenende im Haus der verstorbenen Tante. Mit ihrem um einige Jahre jüngeren Freund Stefan und dem alten Bekannten Bernd und dessen Partner trifft sie sich zum Entrümpeln des Anwesens. Doch es ist nicht nur der alles wegfressende Kohletagebau, der die Gegend durchrüttelt, auch die Seele wird durch alte Erinnerungen und das Aufbrechen des Verdrängten buchstäblich zerrissen.
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