München in Indien

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Wiederentdeckung eines Hofmalers von Maharadschas Gnaden

Nein, die bayrische Landeshauptstadt befindet sich trotz des Filmtitels nicht auf dem Subkontinent, sondern liegt immer noch am Rande der Alpen. Vielmehr geht es bei Walter Steffens neuem Dokumentarfilm nach Gradaus daneben abermals um einen bislang weitgehend unbekannten Querkopf, den es erst zu entdecken gilt: Im Zentrum seines Films steht der deutsche Kunstmaler Hannes Fritz-München, der von 1932 bis 1937 mehrere Male Indien bereiste und es dort zu einer erstaunlichen Karriere brachte. Weil seine Bilder einem Maharadscha gefielen, empfahl dieser ihn anderen Fürsten weiter, so dass der Maler aus Deutschland zu einer Art Hofmaler avancierte, bis der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges die außergewöhnliche Karriere abrupt beendete. Insgesamt entstanden in der Zeit und im Verlauf von insgesamt sechs Reisen die Bildnisse von 37 Fürsten, hinzu kamen weitere Portraits wie etwa jenes des britischen Vizekönigs von Indien Lord Willingdon.
Interessant ist München in Indien nicht allein wegen der Lebensgeschichte des Malers und aufgrund kunsthistorischer Details — wobei die wissenschaftliche Aufarbeitung des Lebens und Werkes von Fritz-München bislang noch nicht erfolgt ist. Der Reiz des Filmes resultiert auch daraus, weil der Künstler auf seinen verschiedenen Reisen eine 16mm-Kamera mit sich führte, die unschätzbare Einblicke gibt in das Alltagsleben auf dem Subkontinent in den 1930er Jahren. Dadurch gerät der Film nicht allein zur kunsthistorischen Recherche und Rekonstruktion einer faszinierenden Persönlichkeit, sondern zum Road Movie, der das koloniale Indien mittels alter Filmaufnahmen wieder zum Leben erweckt.

Erzählt wird die Spurensuche von Konstantin Fritz, dem Enkelsohn des Künstlers, der die märchenhaften Geschichten um die Reisen in ferne Länder und die Bekanntschaft mit mächtigen und grausamen Lokalpotentaten seit Kindesbeinen an kennt. Allerdings, so bekennt er, habe er früh geahnt, dass in diesen Familienlegenden auch eine ganze Menge an Brüchen vorhanden gewesen sein müssen. Dass Konstantin Fritz und Walter Steffen diese Unstimmigkeiten nicht ausklammern, sondern sie immer wieder thematisieren, ist bei einem Film, bei dem die Familie des Portraitierten so eine wichtige Rolle spielt, keine Selbstverständlichkeit. So kommt beispielsweise bei der Spurensuche zum Vorschein, dass Fritz-München, nachdem er durch die Konfiszierung seines in Indien erworbenen Vermögens kurz vor der Pleite stand, in die NSDAP eintrat, um auf diesem Wege an dringend benötigte Aufträge zu gelangen. Der Plan allerdings schlug fehl, später geriet der Maler aufgrund seiner Äußerungen gegen das Regime in Misskredit und wurde gegen Ende des Krieges an die Ostfront geschickt, was er mit viel Glück überlebte. Vielleicht sind es ja Erfahrungen und Enttäuschungen wie diese, die ihn später dazu bringen, die Zeit in Indien zu einem verlorenen Künstlerparadies zu stilisieren.

Ebenso hoch anzurechnen ist es dem Film, dass dieser gar nicht erst den Versuch unternimmt, Fritz-München als bislang übersehenes Genie der Malerei zu etablieren – im Gegenteil: Es war vielmehr genau die bewährte Stilistik des Malers, seine gefällige, aber kaum innovativ zu nennende Mixtur aus klassischer Porträtkunst und dezenten Impressionismus-Anleihen, die seine indische Laufbahn überhaupt erst ermöglichten. Solchermaßen befreit vom Zwang zur Konstruktion kunsthistorischer Relevanzen wird der Film zu einem Panoptikum, bei dem es nicht (bzw. nur während der Zeit in Indien) um den ganz großen Ruhm geht, sondern darum, welche Wechselfälle ein Mensch erleben muss, der sich dem ungewissen Dasein als Künstler verschreibt und der dafür eine gesicherte bürgerliche Existenz aufgibt. Denn was man allzu oft vergisst bei der Betrachtung all der erfolgreichen und arrivierten Künstler, ist das große Heer jener, die – sei es durch Zufall, mangelndes Talent oder fehlende Innovationskraft – den Sprung ganz nach oben nie geschafft haben.

Ähnliches wie für den Kunstmaler Fritz-München gilt im Übrigen auch für den Film selbst, der solide erzählt, aber gestalterisch nicht sonderlich aufregend geraten ist und der durchaus die eine oder andere Länge aufweist. Aufgewogen wird dies aber durch die überaus sehenswerten alten Filmaufnahmen, den engen Kontakt des Filmemachers zur Familie des Malers und durch die verzwickten Wendungen eines wechselvollen Lebens.

München in Indien

Nein, die bayrische Landeshauptstadt befindet sich trotz des Filmtitels nicht auf dem Subkontinent, sondern liegt immer noch am Rande der Alpen. Vielmehr geht es bei Walter Steffens neuem Dokumentarfilm nach „Gradaus daneben“ abermals um einen bislang weitgehend unbekannten Querkopf, den es erst zu entdecken gilt: Im Zentrum seines Films steht der deutsche Kunstmaler Hannes Fritz-München, der von 1932 bis 1937 mehrere Male Indien bereiste und es dort zu einer erstaunlichen Karriere brachte.
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Meinungen

Petra Epp · 04.01.2013

...ein wunderbarer Film.
Danke!

Julia Richter · 03.01.2013

Wer auch immer diesen Film gesehen hat:
Ich muss eine Facharbeit über Mahatma Gandhi, seinen Kampf für Indiens Unabhängigkeit und Indien, als britische Kolonie schreiben.
Könnte sich der Film für mich lohnen?
LG Julia

PS: Mir gefallen diese "oberflächlichen Mainstreamwerke".

MariaTiefenstaett · 03.01.2013

Ein wunderbarer Film über ein gelungenes Leben. Ein Juwel inmitten der oberflälichen Mainstreamwerken.