Maudie (2016)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Auf der Suche nach der Kunst

Der Film Maudie erzählt eine wahre Geschichte: Die durch rheumatische Arthritis beeinträchtigte Maud (Sally Hawkins) nimmt eine Stelle als Hausmädchen bei dem barschen Fischer Everett Lewis (Ethan Hawke) an, der in einem Waisenhaus groß geworden ist, und wird letztlich mit ihren Bildern zu einer der bekanntesten Volkskünstlerinnen Kanadas.

Aus dieser Geschichte hätte eine aufschlussreiche Charakterstudie oder ein Biopic über eine Frau werden können, die viele Widerstände überwindet. Stattdessen aber hat Aisling Walsh nach einem Drehbuch von Sherry White einen Film gedreht, der von einer Liebe erzählen und Gefühle insbesondere durch Musik evozieren will – und dessen Besetzung gleichermaßen die größte Stärke und größte Schwäche ist. Da ist Sally Hawkins, die die eingeschränkten Bewegungen und den Mut von Maud gut auf die Leinwand bringt. Sie widersetzt sich ihrem Bruder und ihrer Tante, nimmt die Stelle bei dem grantigen Everett an und setzt damit alles auf eine Karte für ein selbstbestimmtes Leben. Ihre Tante will nicht, dass sie malt, aber alles, was Maud will, ist malen. Bei Everett erträgt sie dessen Beschimpfungen und Demütigungen, weil sie einen Ort braucht, an dem sie bleiben kann. Nun will der Film suggerieren, dass diese Schroffheit und Griesgrämigkeit Ausdruck von Everetts Überforderung ist, vielleicht auch Folge einer Kindheit im Waisenhaus. Doch Ethan Hawke vermag es nicht, diese Mehrdeutigkeit in die Rolle zu legen. Stattdessen grunzt, grummelt und stapft er durch die Gegend, wird gewalttätig und demütigend – und ist gänzlich fehlbesetzt.

Dadurch kann es letztlich allein an den fehlenden Alternativen liegen, dass Maud dennoch dort bleibt, der Film aber suggeriert, dass Gefühle, ja dass zunächst eine Ehe, später dann Liebe entsteht. Es wird mit einem Tanz überspielt, dass er sie geschlagen hat, dass er sie immer wieder anschreit und demütigt. Maud beschreibt sich und ihn als ein „odd pair of socks“, was in diesem Fall nicht romantisch, sondern ein Euphemismus für eine gewalttätige Abhängigkeitsbeziehung ist. Diese endet auch nicht, als Maud das Leben für beide verbessert. Sie hilft Everett, schließlich werden ihre Bilder von einer New Yorker Touristin entdeckt, durch die sie immer berühmter und bekannter wird. Aber Everett ist der Mann im Haus, er hat das Sagen, das betont er immer wieder. Deshalb wird er wütend, wenn er im Hintergrund steht, wenn er seiner Meinung nach „komisch“ angesehen wird. Hier hätte Maudie sich zu einem Film über die Einschränkungen einer Frau entwickeln können, einer Malerin, die trotz aller Berühmtheit ihr Potenzial niemals entfalten konnte, weil sie von ihrem Umfeld als „invalid“ wahrgenommen wurde – und als Frau kaum andere Möglichkeiten hatte als einen Mann zu finden, damit sie der Tante entkommt. Stattdessen aber erzählt der Film abermals die Geschichte einer Frau, die mit Sanftheit und Duldsamkeit die „raue“ Schale eines Mannes durchbricht.

Dass der Film so viel Zeit auf diese „Liebesgeschichte“ verwendet, geht zudem eindeutig auf Kosten seines eigentlichen Themas: der Künstlerin Maud Lewis. Ihren Bildern, ihrer Faszination und Leidenschaft für die Malerei nähert sich der Film lediglich über Sätze: Sie schaue gerne aus dem Fenster, sagt Maud einmal. Oder: Entweder man male oder man male eben nicht, man könne es nicht unterrichten. Sicherlich könnten diese Einsichten mit der Einfachheit von Maud Lewis‘ Leben korrespondieren. Sie lebte in Nova Scotia in einem kleinen Holzhaus, umgeben von freiem Feld, ohne Elektrizität oder Heizung. Aber hierfür findet der Film allenfalls redundante Bilder, in denen sie den Feldweg zu ihrem Haus entlang geht und wiederholt ihre Starrköpfigkeit beweist, indem sie sich von ihrer rheumatischen Arthritis nicht davon abhalten lässt, lange Wege bei jedem Wetter zurückzulegen.

Letztlich überzeugt daher allein Sally Hawkins in diesem Film: sie drückt die fortschreitende Arthritis, das Alter von Maud (die auch völlig anders und schneller altert als Everett) mitunter eindrucksvoll aus. Aber leider bekommt sie von der Inszenierung und dem Drehbuch keinerlei Unterstützung.

Maudie (2016)

Der Film „Maudie“ erzählt eine wahre Geschichte: Die durch rheumatische Arthritis beeinträchtigte Maud (Sally Hawkins) nimmt eine Stelle als Hausmädchen bei dem barschen Fischer Everett Lewis (Ethan Hawke) an, der in einem Waisenhaus groß geworden ist, und wird letztlich mit ihren Bildern zu einer der bekanntesten Volkskünstlerinnen Kanadas.

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Meinungen

Heide Limpert · 24.08.2020

Eine leise, unaufdringliche Kraft, die diesen wunderbaren Film umhüllt. Was für eine filmische Kunst. Was für Darsteller. Eine Geschichte, die einem Liebesdrama gleicht, aber keinen Liebeskitsch präsentiert. Das Zusammentreffen zweier Charaktere, die ihr Leid auf unterschiedliche Weise ‚leben‘. Und sich letztlich unterstützen und lernen zu lieben. Unbedingt anschauen. Es wird eine bereichernde ‚ich schaue einen Film‘ -Zeit werden.

Alexander · 06.08.2020

Wer von der unglaublich tief reichenden Darstellung schicksalhafter Abgründe und ihrer Überwindung, von diesem feinen, willensstarken Strahlen, dass unsere Herzen noch in der kältesten Nacht zu erwärmen vermag, nicht berührt ist, hat entweder noch nie wirklich gelitten oder nie geliebt.
Die Quintessenz all unserer Hoffnungen und Sehnsüchte, ja der vielleicht einzige Sinn unseres kurzen Daseins lässt sich kaum ergreifender zusammenfassen, wie Maud es tat: "Ich wurde geliebt". Ein fantastischer Film - er ist jede Träne wert.
Alexander, Jahrgang 63

Chris · 01.01.2018

Ein beachtlicher Film, in dem gerade Sally Hawkins voll überzeugt und auch Ethan Hawke dem kaum nachsteht (in seiner eigenen Gefangenheit und des Männerbildes der damaligen Zeit). Gelungen, wenngleich nicht immer einfach (auszuhalten).

wignanek-hp · 16.11.2017

Zugegeben, der Film ist ein normales Biopic ohne besondere Raffinesse, was die Erzählweise angeht, jedoch mit wunderschönen eindrucksvollen Bilder. Sally Hawkins ist – wie gewohnt – einfach nur gut, aber am meisten überrascht hat mich doch Ethan Hawke, den ich nicht für eine Fehlbesetzung halte. Er spielt diesen verschlossenen Mann in einer Weise, dass er als Schauspieler völlig hinter der Rolle verschwindet. Auch die Wandlung vom grummelnden Einzelgänger zum Ehemann vollzieht er so unmerklich leise, wie es nur ein guter Darsteller kann. Selbst wenn nicht alle Details der Beziehung der beiden auserzählt werden, erfährt der Zuschauer doch, wie ambivalent ihr Verhältnis war. Maud war keine emanzipierte Frau! Der Mann hatte das Sagen. Das muss nicht noch im Film durch irgendwelche zusätzlichen Szenen kritisiert werden. Das hieße den Zuschauer in seiner Urteilsfähigkeit zu unterschätzen.

Eva Hintze · 06.11.2017

Ich sah diesen Film während meines Rückfluges aus Kanada auf Englisch und war froh, als es im Flugzeug langsam dunkel wurde und keiner meine Tränen gesehen hat . So hat dieser Film mich aufgewühlt! Ich kann diesen Film nur weiter empfehlen. Der Film lebt durch seine absolute Stille und durch die wundervolle, enge Beziehung der Hauptdarsteller, die zunächst keine ist ,sich aber dennoch auf wundervolle Weise entwickelt. Die Meinung von Frau Sonja Hartl ( Kritik ) teile ich nicht, denn Ethan Hawk hat den schroffen, griesgrämigen und mit seinem Leben völlig überforderten Everett nicht besser spielen können.

Natascha · 06.11.2017

Dieser Film hat mein Herz berührt und ist einfach nur wundervoll!

Selbst seit Kleinkindalter an an rheumatoider Arthritis erkrankt bin ich froh und dankbar, "meine" Krankheit auf der Leinwand zu sehen. In Sally Hawkins Schauspiel finde ich mich selbst wieder, vor allem in ihrer Sturheit, sich weder von ihren Behinderungen noch anderen Menschen ihre Selbstbestimmtheit nehmen zu lassen.

Dass Everett trotz aller Schroffheit sein Herz für Maude öffnet, rühert zu Tränen. Beide haben ihre Sache großartig gemacht!

Marion · 27.10.2017

Der Film ist wunderschön und sehr berührend . Beide Hauptdarsteller (auch Ethan Hawke) waren grossartig und sehr überzeugend!

Daggi · 18.09.2017

Einfach richtig gut! Überzeugen gespielt. Wunderschöner Film