Marnie (1964)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Obessionen

Auch wenn dieser späte Film des berühmt-berüchtigten Regiemeisters Alfred Hitchcock aus dem Jahre 1964 seinerzeit kommerziell wenig erfolgreich war, stellt das Psycho-Drama Marnie mit der ausdrucksstarken Tippi Hedren in der Hauptrolle einen der markantesten Filme des „Master of Suspense“ dar. Hier wird innerhalb einer gewagten Psychologisierung die Geschichte einer faszinierenden, zutiefst verstörten, kriminellen Frau als spannende Suche nach ihren Motiven gestaltet, wobei der Fokus dabei auf der filigranen Darstellung der extremen Emotionen der Figur liegt, die im tückischen Kreislauf einer Manie gefangen ist.

Die äußerst aparte Sekretärin Marnie Edgar (Tippi Hedren) verfügt über eine enorme Wandlungsfähigkeit, wenn es darum geht, wieder mal einen neuen Job anzutreten, um ihren Arbeitgeber rasch um eine erhebliche Summe zu erleichtern und sich dann spurlos aus dem Staub zu machen. Nachdem sie als dunkelhaarige Schönheit dem Steuerberater Sidney Strutt in Philadelphia 10 000 Dollar entwendet hat und ihre ihr gegenüber unterkühlt wirkende Mutter (Louise Latham), die in Baltimore lebt, mit einer Nerzstola beschenkt hat, begibt sich Marnie nach dem enttäuschenden Familienbesuch nun als natürliche Blondine erneut auf Jobsuche. Dieses Mal spricht sie im Büro des einflussreichen Verlegers Mark Rutland (Sean Connery) vor, der sie als vormalige Sekretärin seines Steuerberaters erkennt und sich dennoch spontan dazu entschließt, sie einstellen zu lassen. Denn Rutland fühlt sich unwiderstehlich von der notorischen Betrügerin angezogen und setzt nunmehr alles daran, die dunklen Geheimnisse ihrer Vergangenheit aufzudecken, in denen er den Schlüssel für ihr pathologisches Verhalten vermutet. Als er Marnie bei einem versuchten Betrug in seinem Unternehmen erwischt, zwingt er sie, in eine Ehe mit ihm einzuwiligen, was seiner Schwägerin Lil (Diane Baker), die nach dem Tod seiner Ehefrau mehr als ein Auge auf den attraktiven Mann geworfen hat, ganz und gar nicht gefällt …

Es ist das reibungsreiche Spiel zwischen der kriminellen Schönen und des vom Bemühen um ihre „Heilung“ besessenen, mächtigen Mannes, das im Vordergrund dieses betont dramatischen Thrillers steht. Beide Charaktere erscheinen auf ihre ganz eigene Art ungesund zwanghaft, auch wenn Rutland seine Rolle als Retter, die er deutlich nicht uneigennützig einnimmt, mit reichlich Deutungsmacht ausstattet. Während die Motivationen Marnies letztlich Schritt für Schritt aus einem diffusen Hintergrund heraus aufgedeckt werden und schließlich ein augenscheinlich schlüssiges Bild von den Ursachen ihrer Qualen ergeben, verbleibt die Betrachtung des Innenlebens von Rutland in vagen Andeutungen. Doch diese Konstellation sowie einige andere offen bleibende Aspekte dieser Beziehung verleihen Marnie durchaus seine leicht verworrene, atmosphärisch dichte Qualität, die punktuelle Zusammenhänge und Wirkmechanismen plastisch herausstellt, um andere Abhängigkeiten wiederum den Spekulationen des Zuschauers zu überlassen. Und am Ende sind es eher die Unergründlichkeiten als die packend inszenierte Auflösung, die diesen Film zu einem nachhaltig beeindruckenden werden lassen.
 

Marnie (1964)

Auch wenn dieser späte Film des berühmt-berüchtigten Regiemeisters Alfred Hitchcock aus dem Jahre 1964 seinerzeit kommerziell wenig erfolgreich war, stellt das Psycho-Drama „Marnie“ mit der ausdrucksstarken Tippi Hedren in der Hauptrolle einen der markantesten Filme des „Master of Suspense“ dar.

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Meinungen

Martin Zopick · 30.10.2022

Unter allen Hitchcock Klassikern kommt der hier daher wie ein Hauptseminar in Psychologie im Lichte praktischer Anwendungen. (Skeptiker reden von ‘Taschenpsychologie‘). Die Titelfigur (Tippi Hedren) ist eine notorische Lügnerin und Kleptomanin. Als sie ihren Diebeszug in Marks (Sean Connery) Firma versucht, zeigt der sie nicht an, weil er sich in die kühle Blondine verliebt hat, sondern er begibt sich mit ihr auf einen Heilungstrip, der natürlich am Ende von Erfolg gekrönt sein wird.
Scheibchenweise kommen die Details von Marnies Kindheit ans Tageslicht. Aber erst am Ende bei der Gegenüberstellung mit ihrer Mutter, Mrs. Edgar, (Louise Latham), kommt raus, was Marnie als kleines Mädchen wirklich erlebt hatte.
Hitchcock hat Farben (rot), Worte (Flehen der kleinen Tochter) oder Geräusche (Klopfzeichen) und die Atmosphäre von damals (ein Gewitter) geschickt auf die Handlung verteilt und je nach Lage der Dinge in Marnies Albträume oder sonstige Ausraster eingeschoben.
Mark spielt nicht ‘Freud‘, wie Marnie ihm vorwirft. Er geht an ihre Psychose mit verschiedenen Mitteln: z.B. mit Ironie, mit handfester Gewalt, oder sogar mit Zärtlichkeit. Manchmal ist es auch bloß ein ganz normaler Ehekrach – nachdem er sie geheiratet hatte. Marnies Suizidversuch auf dem Ozeanriesen ist ein erster Hilfeschrei. (-‘Warum bist du nicht über Bord gesprungen?‘ – ‘Ich wollte mich umbringen, nicht die Fische füttern!‘) Die schrittweise Annäherung gipfelt in seinem gewaltsamen Zwang vor dem geöffneten Safe Marnie zu drängen das dort eingelagerte Geld zu berühren. Das könnte so eine Art Katharsis gewesen sein.
Die Spannung wird außerdem weiterhin erhöht durch das Auftauchen eines Schnüfflers und durch die verwitwete Schwägerin Lil (Diane Baker), die sehr wachsam ist, weil sie ein Auge auf den stattlichen Verwandten geworfen hat.
Psychologie her oder hin, der Unterhaltungswert der Old School ist allemal sehr hoch, was am Drehbuch und an den beiden tollen Hauptdarstellern liegt.