Magical Mystery oder: Die Rückkehr der Karl Schmidt (2017)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

The Last Days of Techno

Hamburg-Altona, Mitte der 1990er Jahre. Karl Schmidt (Charly Hübner) lebt in einer Suchtkranken-WG, ist seit einiger Zeit trocken und arbeitet als Hausmeister in einer Einrichtung für Pflegekinder. Alles geht seinen geregelten Gang, Karls größtes Abenteuer sind Besuche in einer nahegelegenen Eisdiele, die sein WG-Betreuer nicht so gerne sieht.

Dann aber durchbrechen zwei Ereignisse diese gepflegte Routine: Zum einen soll er Urlaub nehmen und in die Lüneburger Heide fahren, zum anderen trifft er zufällig in eben jener Eisdiele seinen alten Kumpel Raimund Schulte (Marc Hosemann) wieder, mit dem er damals in Berlin zur Wendezeit Musik gemacht hat. Techno, um genau zu sein. Irgendwie kommt dieses Wiedersehen gar nicht so ungelegen, deshalb fährt Karl nicht nach Uelzen, sondern nach Berlin und trifft dort auf die Weggefährten aus der Zeit vor seinem Zusammenbruch und Psychiatrieaufenthalt. Seither ist nämlich aus Techno eine große Nummer geworden und das Label BummBumm von Ferdi (Detlev Buck) läuft hervorragend. Nun wollen Ferdi und Raimund mit einigen der DJs und DJanes auf eine große Tour gehen – die Magical Mystery Tour wie einst die Beatles. Dafür braucht er jemanden, der nüchtern bleibt, damit er fahren, die Musiker einsammeln und sich um Abläufe kümmern kann. Hierfür ist Karl der ideale Kandidat – und dieser lässt sich allzu gerne darauf ein, ein wenig Ablenkung kann er nämlich gut gebrauchen. Aber mit dem Wiedereintauchen kommen auch alte Versuchungen – und die Frage, was ihn damals eigentlich in die Klapse gebracht hat.

Mit wenigen Bildern und hinreißenden Dialogen gelingt es Arne Feldhusen nach einem Drehbuch von Sven Regener, den Zuschauer sofort in diese Zeit und Situation hineinzuziehen. Ein Gespräch mit dem Sozialarbeiter in der Drogen-WG, ein Dialog mit einem Pflegekind in der Einrichtung, die Begegnung mit seiner Hausmeister-Urlaubsvertretung und das Wiedersehen mit Raimund reichen schon, um Karl als Charakter zu etablieren, der sich oberflächlich nicht aus der Ruhe bringen lässt und alles recht genau nimmt, um Absurditäten aufzuzeigen und anzumerken. Aber es brodelt unter dieser Oberfläche, da ist die Depression mit paranoiden Schüben, die ihn einst in die Klinik brachte. Vermutlich ausgelöst von Drogen und Alkohol, das sieht zumindest seine Mutter so, damit nicht sie schuld sein muss. Und da ist immer noch die Erinnerung an die damalige Zeit, als er Musik machte, als er Kunstwerke schuf.

Nach seiner Ankunft in Berlin entfaltet sich dann dieses alte-neue Leben in einer Sequenz, in der Karl und Ferdi immer wieder mit anderen Menschen essen gehen, in die selbe Bude, nur mit Rosa (Annika Meier), mit der geht er Hähnchen essen. Es ist eine Sequenz, die in der Bewegung Routinen schafft, einen Running Gag nicht totreitet – und noch dazu diese Szene und die Menschen einführt. Hier ist alles lebendig, werden aus Figuren mit wenigen Sätzen Charaktere. Deshalb ist Magical Mystery oder die Rückkehr des Karl Schmidt ein über weite Strecken unterhaltsamer Film, der sich leider gelegentlich in den Auftritten und der Musik allzu sehr treiben lässt. Aber irgendwie passt das dann auch wieder in diese Zeit der Raves und Partys, die tagelang gingen – und in denen man sich schwitzend von den Beats durch die Nacht treiben ließ.

Insbesondere wirken Regeners Sätze, diese Lakonie und Milieugeprägheit seiner Sprache sehr natürlich auf der Leinwand. Und zwar auch für Zuschauer, die Karl Schmidt erst mit diesem Film kennenlernen. Denn Karl Schmidt ist der beste Freund von Frank Lehmann, dem Protagonisten aus Sven Regeners Trilogie Herr Lehmann, Neue Vahr Süd und Der kleine Bruder, dessen erster Band 2003 von Leander Haußmann verfilmt wurde. Damals spielte noch Detlev Buck jenen Karl Schmidt, der dann 2013 sein eigenes Buch Magical Mystery und nun vier Jahre später seinen eigenen Film Magical Mystery oder die Rückkehr des Karl Schmidt bekommen hat. Nun aber wird er nicht mehr von Detlev Buck gespielt, sondern von Charly Hübner, während Buck wiederum einen Freund spielt – und zwar Ferdi, einen der früheren Weggefährten vom Karl Schmidt. Dabei überzeugen beide gleichermaßen in ihre Rollen, gerade bei Charly Hübner ahnt man die Kraft, die in Karl Schmidt steckt, der einst aus Altmetall Skulpturen machte und Tag und Nacht trank.

Was von diesem Karl Schmidt übrig ist, der am Ende von Herr Lehmann im Urban-Krankenhaus abgeliefert wurde, ist eine Frage in diesem Film, die sich vor allem für Regener-Leser stellt. Darüber hinaus aber durchzieht ihn jene Melancholie, die das Wissen um das Ende dieser Zeit mit sich bringt. Die Hochzeit von Techno scheint vorbei zu sein, bei Ferdi und Raimund zeichnet sich langsam eine gewisse Altersmüdigkeit ab – und Karl hat sehr hart gespürt, was dieser Lebensstil mit sich bringt. Aber er bleibt ein Held, der dieses Leben genießen will – und weiß, dass Nüchternheit der Preis ist, den er dafür zu zahlen hat.
 

Magical Mystery oder: Die Rückkehr der Karl Schmidt (2017)

Hamburg-Altona, Mitte der 1990er Jahre. Karl Schmidt (Charly Hübner) lebt in einer Suchtkranken-WG, ist seit einiger Zeit trocken und arbeitet als Hausmeister in einer Einrichtung für Pflegekinder. Alles geht seinen geregelten Gang, Karls größtes Abenteuer sind Besuche in einer nahegelegenen Eisdiele, die sein WG-Betreuer nicht so gerne sieht.

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