Lucky (2017)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Das Leben und Harry Dean Stanton

„A perfect Manhattan for Harry Dean Stanton“ erklingt als Zeile in dem Lied, das während des Abspanns von Lucky läuft. Es stammt aus Foster Timms Man in the Moonshine – und es könnte es wohl kein besseres Lied geben, um diesen Film zu beschließen, der so sehr von und mit Harry Dean Stanton lebt. Wie Man in the Moonshine so wurde auch Lucky mit den Gedanken an Harry Dean Stanton geschrieben. Die Drehbuchautoren Drago Sumonja und Logan Sparks sind Freunde von Stanton, sie haben seine Sprüche gesammelt und ihr Drehbuch eingearbeitet und ihm die Rolle des eigensinnigen Kriegsveteranen auf den Leib geschrieben.

Einer der letzten Spielfilme des am 15. September 2017 im Alter von 91 Jahren verstorbenen Stanton erzählt nun von einem alten Mann namens Lucky, der in einer Kleinstadt im Westen der USA lebt. Das erste Bild zeigt eine Landschildkröte (eine „tortoise“, keine „turtle“), die sich langsam von rechts nach links durch das Bild bewegt. Sie entflieht, wie später von Luckys Freund Howard (David Lynch) zu erfahren ist, ihrem bisherigen Zuhause, seinem Vorgarten. Damit durchbricht sie die Routine, die sowohl in Howards als auch Luckys Leben vorzuherrschen scheint. Eine Kleinigkeit, die aber wie jede andere Kleinigkeit in diesem Film zu mitunter tiefen Einsichten führt.

Doch zunächst wird einmal Luckys Alltagsroutine gezeigt. Jeder Morgen besteht aus wiederkehrenden Handlungen: Lucky wacht auf, zündet sich eine Zigarette an, schaltet das Radio an, wäscht sich, macht fünf Yoga-Übungen, trinkt Milch, setzt Kaffee auf und begibt sich in einen Diner, um dessen Betreiber Joe zu begrüßen und ein Kreuzworträtsel zu lösen. Dann geht er zu einem Laden, um neue Milch zu kaufen, geht wieder nach Hause, guckt Spielshows und ruft jemanden an. Doch dann fällt er eines Morgens um. Ihm passiert nicht, der Arzt (Ed Begley Jr.) attestiert ihm nach einer folgenden Untersuchung sogar beste Werte, zumal er mittlerweile schon so alt ist, dass seine durchschnittliche Lebenserwartung wieder gestiegen ist. Aber Lucky verunsichert dieser Vorfall, es scheint, als würde ihm letztlich bewusst, dass auch sein Leben enden wird.

Das Leben und der Tod sind die Themen in diesem ruhigen Film, der fast schon kontemplativ wirkt. Denn Lucky denkt ausführlich und fundiert über die Dinge nach. Beim Lösen des Kreuzworträtsels schlägt er Begriffe immer wieder in einem Wörterbuch nach, das auf einem Lesepult permanent aufgeschlagen in seinem Haus liegt. Eines Tages sucht er die Definition von „Realismus“ und kommt zu dem Schluss, „Realism is a thing!“. Diese Erkenntnis verkündet er abends in der Bar, in die er immer geht, bei einer Bloody Mary – und sie spielt auch im weiteren Verlauf des Films eine wichtige Rolle. Denn Realismus bedeutet die Akzeptanz des Unausweichlichen – und Lucky muss die Unausweichlichkeit des Todes anerkennen.

Lucky ist offenkundig als Hommage an Harry Dean Stanton angelegt, als Erinnerung an all die Nebenrollen, die er gespielt hat, an all die Filme, in denen er mitgewirkt hat. Leider sind die Rollen recht klischeehaft angelegt und auch die guten Schauspieler_innen dieses Films können dagegen nicht immer anspielen. Deshalb lässt dieser lakonische, sentimentale Film bisweilen die Schroffheit vermissen, die zartbittere Süße und auch die Rollen sowie die Persona, die Harry Dean Stanton auch ausmacht. Insgesamt jedoch ist Lucky ein Film, der einen der unbesungenen Großen des amerikanischen Kinos noch einmal eine Gelegenheit zu glänzen gibt.
 

Lucky (2017)

„A perfect Manhattan for Harry Dean Stanton“ erklingt als Zeile in dem Lied, das während des Abspanns von Lucky läuft. Es stammt aus Foster Timms „Man in the Moonshine“ – und es könnte es wohl kein besseres Lied geben, um diesen Film zu beschließen, der so sehr von und mit Harry Dean Stanton lebt.

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