Lücke im System

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Raffiniertes Spiel mit der Realität

Bislang war die Schweiz nicht gerade als Heimstatt großer internationaler Filmkunst in Erscheinung getreten, wenn man von im Ausland weitgehend unbekannt gebliebenen Heroen wie Clemens Klopfenstein oder nach Frankreich abgewanderten Regisseuren wie Eric Rohmer einmal absieht. Das wird sich vermutlich auch in absehbarer Zeit nicht ändern, wenngleich der Film Lücke im System des jungen Schweizer Regisseurs Romed Wyder die Tür zur längst überfälligen Anerkennung einer kleinen Filmnation weit aufgestoßen hat. Dieser Film ist ein raffinierter Low-Budget-Thriller, der es mit einfachen Mitteln und einer auf wahren Begebenheiten beruhenden Geschichte schafft, von der ersten mit zur letzten Minute zu fesseln. Und die Gedankenspiele, die Wyder anstößt, wirken noch lange im Kopf des Zuschauers nach.

Alex (Vincent Bonillo) ist ebenso wie sein Freund Fred (François Nadin) ein erbitterter Globalisierungsgegner. Die beiden Idealisten um die 30 sind fest davon überzeugt, dass verdammenswerte kapitalistische System mit seinen eigenen Mitteln schlagen zu können. Alex putzt seit Jahren in der Zentrale einer internationalen Großbank und hat sich auf raffinierte Weise Zugang zu deren Computernetzwerk verschafft. Sein Plan ist simpel, aber effektiv: Durch eine Lücke im System will er einen Computervirus einschleusen, der sämtliche internationalen Transaktionen der Bank annulliert und nebenbei für eine Absage des bevorstehenden Weltwirtschaftsgipfels sorgt. Doch ein Unfall am Vorabend des Coups, durch den Alex das Gedächtnis verliert, macht alle Pläne zunichte. Oder etwa doch nicht? Alex kann sich nicht mehr erinnern, ob er das Virus tatsächlich eingeschleust hat oder nicht, und macht sich auf die Suche nach der Wahrheit. Doch an der ist nicht nur er interessiert, sondern auf die von der Bank auf ihn angesetzten Detektive, die von dem Plan Wind bekommen haben. Und Alex ist ihre einzige Chance, die sich möglicherweise anbahnende Katastrophe zu verhindern. Und zu allem Überfluss ist auch noch Fred wie vom Erdboden verschluckt. Bald stellt sich heraus, dass Alex nicht mehr weiß, wem er noch trauen kann und wie die Fronten in diesem unsichtbaren Krieg verlaufen…

Souverän lässt der Regisseur Romed Wyder in seinem Film Lücke im System verschiedene Formen des Bewusstseins und des Wahns ineinander fließen und gegeneinander laufen. Puzzleartig miteinander verwoben ergeben sich so Erzählschichten und Wirklichkeitsentwürfe, die Alex zutiefst verunsicherte Gedankenwelt sicht- und spürbar machen und so ein hohes Maß an Desorientierung im Zuschauer erzeugen. Und die Verunsicherung wird bis zum Ende durchgehalten und setzt sich noch ins reale Leben fort, wenn eine alte reale Bekannte Romed Wyders interviewt wird, die er vor Jahren zufällig traf und die im Film unkenntlich gemacht wurde. Und das mit guten Grund: Denn fast alles, was der Film schildert, so erzählt sie, ist wahr; Lucie, so der Name der Frau, musste als Mitwisserin untertauchen und lebt seitdem mit einer fremden Identität ausgestattet im Untergrund. Und noch fassbarer und bedrohlicher wird der Film durch die Hinweise auf die realen Hintergründe, die im Jahr 2000 zur Verhaftung eines Berner Informatikstudenten und zur öffentlichen Anprangerung des Luxemburger Unternehmens Clearstream führten, gegen das auch heute noch Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Geldwäsche und der Verdunklung internationaler Transaktionen laufen. Ob die ganze Wahrheit allerdings jemals ans Licht kommen wird, erscheint mehr als fraglich.
 

Lücke im System

Bislang war die Schweiz nicht gerade als Heimstatt großer internationaler Filmkunst in Erscheinung getreten, wenn man von Heroen wie Clemens Klopfenstein oder nach Frankreich abgewanderten Regisseuren wie Eric Rohmer absieht.

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