Love Alien

Eine Filmkritik von Festivalkritik Hof 2012 von Lena Kettner

Küssen kann man nicht allein

Nach der sexuellen Revolution und in einer Zeit des allgemeinen Valentinstag-Terrors gibt es eigentlich nur eine Kardinalsünde: Noch nie eine Beziehung gehabt zu haben. Kein erstes Mal, nicht einmal einen ersten Kuss. Der HFF-München-Absolvent Wolfram Huke zählt sich selbst zu dieser gar nicht so seltenen Spezies, die mit 30 immer noch Jungfrau ist und hat einen wunderbar unverkrampften und sehr sympathischen Dokumentarfilm über das Suchen und Nicht-Finden der Liebe gedreht.
Mit einer kleinen, mobilen Kamera begleitet der ewige Single minutiös den eigenen Alltag und reflektiert das Problem der Partnerlosigkeit, beginnend mit seinem 29.Geburtstag, an dem er beschließt, dass es so nicht weiter gehen kann. Wolfram sitzt wie immer alleine vor seinem Rechner, in seiner kleinen, ziemlich zugemüllten Einzimmerwohnung und blickt deprimiert in die Kamera. Das Handy klingelt, doch die lustlosen Gratulanten sind nur Oma und Opa, mit denen man das Gespräch besser schnell beendet.

Fortan dokumentiert Huke sein Scheitern beim Small Talk auf Parties, beim Ansprechen von Frauen und beim Aufrechterhalten von Kontakten, die vielversprechend aussehen. Doch Love Alien ist nicht nur ein Film über ein privates Problem, das Gelungene ist die Verbindung aus persönlichem Zugang und gesellschaftlicher Relevanz.

In Zeiten von Internet-Angeboten zur Partnervermittlung gibt es offensichtlich eine Vielzahl von Menschen, die sich schwer damit tun, den „richtigen“ Partner zu finden oder überhaupt jemanden kennenzulernen. Wolfram Huke dokumentiert den Dschungel diverser Online-Dating-Plattformen, deren Absurdität er humorvoll herausarbeitet. Auch eine Anmeldung im Fitness-Studio (aufgrund des leichten Übergewichts) und die Beratung durch zwei gruselige Stylistinnen, deren energisch vertretene Botschaft „Du musst dich so teuer wie möglich verkaufen“ für sich spricht, werden ausprobiert. Wenn die Kleidung schon ausdrückt, dass man ein Loser ist, kann es ja auch nichts werden, so die These.

Vielversprechender ist da der Termin bei einer Psychologin. Auch hier muss man unwillkürlich lachen, wenn diese auf etwas esoterische Weise anfängt über das „Innere Kind“ zu sprechen, aber sie äußert auch den wohl zutreffendsten Satz des ganzen Films: „Vielleicht wollen Sie gar keine Beziehung.“ Wolfram protestiert empört, schließlich ist die Suche nach Nähe doch die Quintessenz der ganzen Unternehmung und der verzweifelt geäußerte Wunsch aller gleichgesinnter Bekannter, die er zu dem Thema interviewt hat.

Aber an der These der Therapeutin ist eine Menge dran. Sie konstatiert, dass Wolfram eigentlich nur seine eigene Selbstablehnung immer wieder reinszeniert und deswegen Situationen aufsucht, die von vornherein zum Scheitern verurteilt sind, aus Angst vor wirklicher Nähe. Auch die überallhin mitgetragene Kamera gaukelt Intimität vor, eigentlich schafft sie aber vor allem eine innere Distanz. Als Wolfram schließlich in ihrem Auftrag seine Eltern besucht und vor die Kamera holt, wirken deren Statements, vor allem das seiner Mutter, wie ein Faustschlag. Irgendwie kein großes Wunder, dass so kein Selbstwertgefühl entstehen kann, geschweige denn Vertrauen in andere Menschen. Diese Momente lässt er für sich stehen und macht daraus kein kathartisches Finale, was auch besser so ist, denn trotz gewisser Erkenntnisse brauchen Menschen wohl Jahre, um in einer Therapie grundlegende Verhaltensmuster zu verändern.

Natürlich ist das ganze filmische Unterfangen hochgradig narzisstisch, aber das reflektiert Wolfram auch immer angenehm selbstironisch – als er eine alte Bekannte in Kroatien besucht, gibt diese zu bedenken, dass sein Anliegen schon auch ein Produkt der Wohlstandsgesellschaft sei, die ja sonst auch keine Probleme habe, als der romantischen Liebe hinterher zu weinen. Ganz wunderbar ist aber auch ihr gemeinsamer Besuch im Zagreber „Museum of Broken Relationships“, das wiederum auf die Universalität des Problems verweist.

Es ist die Stärke seines sehr mutigen Films, solche Momente nicht auszusparen und sich völlig uneitel und ehrlich mit den innersten Sorgen und Nöten einem anonymen Publikum zur Verfügung zu stellen. Love Alien liefert keine einfachen Antworten, wirft aber jede Menge interessanter Fragen auf und dokumentiert unterschiedliche Lösungsansätze sowie vor allem den gesellschaftlichen Erfolgs- und Beziehungs-Imperativ, der das Scheitern natürlich erst produziert. So ist Wolfram Huke mit sehr einfachen Mitteln ein vielschichtiger und sehr unterhaltsamer Film über Liebe in Zeiten der permanenten Selbstbespiegelung gelungen.

(Silvia Bahl)
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Was macht man, wenn der 30. Geburtstag naht und man immer noch keine Freundin hatte? Wenn die Nachbarskatze das einzige weibliche Wesen ist, das sich ab und an in die eigene Wohnung verirrt? Wenn die Psychologin einen wöchentlich mir ihrem durchbohrenden Blick auf die eigenen Verfehlungen hinweist? Und wenn selbst die eigene Mutter, mit der man vorher nie über Gefühle geredet hat, plötzlich das Liebesleben ihres Sohnes kommentiert?

Am besten ist man Spielfilmregisseur und verarbeitet all seine Wünsche, Sehnsüchte und Träume, deren Erfüllung man selbst nie zu hoffen wagt, in einer kitschigen Liebesschnulze. Oder man ist Dokumentarfilmer und stellt sich auf radikale Art und Weise der harten Realität. Wie Wolfram Huke in Love Alien, seinem Abschlussfilm an der Hochschule für Fernsehen und Film München.

Während sich andere Leute an ihrem 30. Geburtstag mit Häppchen und teurem Sekt feiern lassen, zieht sich Wolfram in das Haus der Einkehr in Südösterreich zurück. Dort bläst er nicht Trübsal, sondern klickt sich geduldig durch den endlosen Fragenkatalog einer Internet-Singlebörse.

Nein, nun folgen nicht hunderte von Dates mit seltsamen, sexuell frustrierten oder psychisch labilen Frauen. Stattdessen präsentiert Huke dem Zuschauer einen mutigen und einzigartigen Selbstversuch über seine eigene, manchmal verzweifelte, manchmal komische Suche nach der wahren Liebe. Eine kleine Kamera wird zum ständigen Begleiter des Anfangsdreißigers, der auf seiner Liebessuche manch kuriose Begegnung hat. Da wäre beispielsweise das Aufeinandertreffen mit einer beziehungsgestressten Mittzwanzigerin, die mit Wolfram auf dem Jakobsweg das Kinderlied „Hejo, spann den Wagen an“ singt, bevor sie ihm ihr Liebesleid klagt. Oder sein Gespräch mit beiden farblosen Möchtegern-Typberaterinnen, die ihm klarmachen wollen, wer hier die Models sind und wer der Freak. Während diese beiden Frauen Wolframs unglückseligen Zustand noch belächeln, ist seiner Psychologin das Lachen angesichts der mangelnden Fortschritte in punkto Verabredungen bereits vergangen.

Wolfram Huke will den Zuschauer mit Love Alien weder belehren noch sein Mitleid erregen. Ohne jede Koketterie und persönliche Eitelkeit gelingt dem Regisseur mit seiner kompromisslosen, ironischen Selbstentblößung ein spannender Zugriff auf ein scheinbar abgegriffenes Thema. Dass dieser „Außerirdische“ in Sachen Liebe, wie er sich selbst bezeichnet, angesichts der langwierigen Suche nach der richtigen Frau fürs Leben nicht verbittert und zynisch geworden ist, dass er in seiner sympathisch-verschrobenen Art die ständigen Rückschläge immer noch mit viel Humor nehmen kann, macht den besonderen Charme dieses Films aus. Ganz hat der Dokumentarfilmer die Hoffnung, dass ihm eines Tages die große Liebe begegnet, noch nicht aufgegeben. Doch sein Lebensglück hängt nicht mehr von einer Frau ab.

Eigentlich hätte Wolfram die Suche nach seiner Traumpartnerin längst einstellen können – aber er und seine beste Freundin Johanna finden einfach nicht zueinander. Vielleicht, weil auch sie schon zu lange beziehungslos ist und auf den einen magischen Moment wartet anstatt über die vielen magischen Momente nachzudenken, die sie bereits mit Wolfram hatte.

(Festivalkritik Hof 2012 von Lena Kettner)

Love Alien

Nach der sexuellen Revolution und in einer Zeit des allgemeinen Valentinstag-Terrors gibt es eigentlich nur eine Kardinalsünde: Noch nie eine Beziehung gehabt zu haben. Kein erstes Mal, nicht einmal einen ersten Kuss. Der HFF-München-Absolvent Wolfram Huke zählt sich selbst zu dieser gar nicht so seltenen Spezies, die mit 30 immer noch Jungfrau ist und hat einen wunderbar unverkrampften und sehr sympathischen Dokumentarfilm über das Suchen und Nicht-Finden der Liebe gedreht.
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Meinungen

kim · 27.05.2013

Ehrlicher, stillertrotzdem und unterhaltsamer Dokumentarfilm. The star was Ellie! Hilfreich, um sich eigner, angenommer Erwartungen bzgl. Zweisamkeit klar zu werden: "Liebe wird oft überbewertet." Christiane Rösinger

topfit · 18.05.2013

Die Mutter erscheint grauselig. Die Psychotherapeutin und die Stilberaterinnen auch. Todlangweilig. Wolfram wirkt dagegen regelrecht farbenfroh und erfrischend.

Julia · 18.05.2013

Wolfram ist toll. Der Film auch. In der Tat geht es mehr Menschen so, als man denkt - die meisten davon recht passabel...