Lou Andreas-Salomé

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Die zu werden, die man ist

„Die Welt, sie wird Dich schlecht begraben, glaube mir’s. Du willst ein Leben haben? Raube Dir’s!“. Mit diesen Sätzen endet der sehenswerte Film Lou Andreas-Salomé von Cordula Kablitz-Post, die auch mit Susanne Hertel das Drehbuch geschrieben hat. Er erzählt die bemerkenswerte Geschichte einer Frau, die ihr Leben lang darum gekämpft hat, die zu sein, die sie sein will – und die heutzutage viel weniger bekannt ist als es ihr zustünde.
Am Anfang des Films stehen Bilder der Bücherverbrennung 1933 in Göttingen, der auch die Werke Sigmund Freuds zum Opfer fallen. In der nächsten Einstellung ist eine von Freuds berühmtesten Schülerinnen zu sehen: Lou Andreas-Salomé war eine der ersten Psychoanalytikerinnen, sie war Feministin, Philosophin und Schriftstellerin. Im Jahr 1933 lebt die 72-Jährige (Nicole Heesters) zurückgezogen in ihrem Haus, Besucher werden von der resoluten Mariechen (Katharina Schüttler) abgewimmelt. Doch dem Germanist Ernst Pfeiffer (Matthias Lier) gelingt es, zu ihr vorgelassen zu werden. Sie beginnt, ihm von ihrem Leben zu erzählen – womöglich, weil er sie an den Mann erinnert, den sie sehr geliebt hat, und weil sie wenigstens eine Version ihres Lebens der Nachwelt hinterlassen will. Zunächst geht der Film – einem Biopic gemäß – in ihre Kindheit in Russland. Sie ist das sechste Kind, die einzige Tochter und wird von ihrem Vater verwöhnt und bestärkt. Er stirbt, als sie 16 Jahre alt ist – und dieser Verlust schmerzt sehr. Aber sie beschließt, dem letzten Rat des Vaters zu folgen und die zu werden, die sie bereits ist. Mit Starrsinn und Mut betreibt sie ihre eigene Ausbildung weiter, liest, studiert und diskutierter. Mit ihrer Mutter (Petra Morzé) hat Lou zeitlebens ein schwieriges Verhältnis: Sie ist zu freiheitsliebend, zu sehr auf Unabhängigkeit beharrend für die damalige Vorstellung von einer Frau. Aber Lou geht ihren Weg weiter.

Cordula Kablitz-Post folgt diesem Lebensweg, indem sie Lous Beziehungen zu Männern in den Mittelpunkt ihres Films stellt. Sie schildert die Begegnungen mit den Philosophen Paul Rée (Philipp Hauß) und Friedrich Nietzsche (Alexander Scheer), die ihrem Intellekt und ihrer Persönlichkeit erlagen, um sie dann letztlich doch in das Korsett der Ehe zwängen zu wollen, ihre Heirat mit Friedrich Carl Andreas (Merab Ninidze), ihre Liebe zu Rainer Maria Rilke (Julius Feldmeier) und erzählt von der Tiefenanalyse bei Sigmund Freud (Harald Schrott), bei der Lou einige wichtige Entdeckungen über sich selbst macht. Dabei wird jedoch dennoch sehr deutlich, dass Lou keine Frau ist, die über diese Beziehungen oder gar über die Männer, die sie kannte, definiert wird. Vielmehr war Lou es, die diese Männer beeinflusste – so begann Rilke erst wieder nach der Trennung, Gedichte zu schreiben. Leider kommt ihr eigenes Werk dadurch insgesamt etwas zu kurz, gerade ihre schriftstellerischen Arbeiten klingen zwar immer wieder an, aber ihr Wirken an den Positionen der literarischen Moderne bleibt zugunsten der Beziehungen am Rand. Das ist sicherlich der Prominenz der Männer, die sie beeinflusste geschuldet, daher wird mit diesem Film immerhin ein Anfang gemacht, die Lou Andreas-Salomés Rolle zu verdeutlichen.

Der Film thematisiert beständig, dass eine (Auto-)Biographie niemals die ganze oder historische Wahrheit über eine Person enthüllen kann. Vielmehr wird in den Gesprächen und Bildern deutlich gemacht, dass Lou manche Verwicklungen verschweigt, Briefe vernichtet und letztlich mit ihren Gesprächen mit Pfeiffer, der schließlich auch zu ihrem Nachlassverwalter wurde, versucht, ihr Bild für die Nachwelt zu beeinflussen. Außerdem wartet er mit hübschen kleinen Kniffen wie die historischen Postkartenmotive auf, in und aus denen sich die Figuren bewegen. Insgesamt ist Lou Andreas-Salomé aber durch die weitgehend chronologische Erzählweise, die immer wieder von Sequenzen in der Erzählgegenwart unterbrochen werden, durchaus konventionell inszeniert. Dennoch gelingt es Kablitz-Post in dieser Form, ein eindringliches Porträt dieser starken Frau zu entwickeln, die durch ihre Unbeirrtheit, ihr Streben nach Unabhängigkeit und ihre Selbsterkenntnis besticht, die auch umfasst, dass sie erkennt, dass sie eine Narzisstin ist.

Lou Andreas-Salomé

„Die Welt, sie wird Dich schlecht begraben, glaube mir’s. Du willst ein Leben haben? Raube Dir’s!“. Mit diesen Sätzen endet der sehenswerte Film „Lou Andreas-Salomé“ von Cordula Kablitz-Post, die auch mit Susanne Hertel das Drehbuch geschrieben hat. Er erzählt die bemerkenswerte Geschichte einer Frau, die ihr Leben lang darum gekämpft hat, die zu sein, die sie sein will – und die heutzutage viel weniger bekannt ist als es ihr zustünde.
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Meinungen

Sandra · 05.08.2016

Gäääähn! Ein unkonventionelles Leben konventionell nacherzählt. Ein bißchen wie Schulfernsehen