Lotte (2016)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

...und das Lotterleben

Lotte ist eigentlich ganz freundlich. Nachts geht sie raus auf die Straße, in die Kneipe an der Ecke. Riskiert Streit mit ihrem Freund. Um zu helfen. Schließlich ist sie Krankenschwester, sie weiß, wie man eine Platzwunde näht. Drei Stiche, der Patient liegt auf dem Billardtisch. Keine 20 Minuten. Von ihrem Freund wird sie trotzdem auf die Straße gesetzt, es reicht ihm mit ihr. Denn sie ist nicht nur irgendwo im Inneren hilfsbereit. Sie ist impulsiv, flippig, freigeistig, schnippisch, sorglos, ein Slacker, ein Faulpelz, eine Unabhängige. Lotte ist der Debütfilm von Julius Schultheiß, und er ist wahrhaft unabhängig produziert, privat und per Crowdfunding.

Karin Hanczewski bietet in der Titelrolle eine wunderbare Performance. Auf den Punkt lässt sie ihre Lotte ein Lotterleben führen; wenn der eine sie rausschmeißt, wird ein anderer einspringen, wenn sie zu spät zur Arbeit kommt – umso besser für die Patienten: Wennde Hilfe brauchst: Ruf nen anderen, ein kleiner Witz von ihr. Witze macht sie sowieso gerne, vornehmlich welche, die beim anderen nicht ankommen. Sie erzählt kaum etwas von sich, lässt lieber ihre Gesichtszüge zucken in einem neckischen Spiel, das zum Mitspielen einladen soll – mitspielen nach ihren Regeln. Nämlich nach der konsequenten Regellosigkeit.

Beispielsweise das junge Mädchen im Krankenhaus, Unfall, Kopfverletzung. Ein paar Sprüche, aufmunternd gemeint. Zigarette? Man ist nie zu jung für eine Zigarette! Oder ihre Freundin, bei der sie pennen darf: Lockere Sprüche immer, gerne auch mal ein Glas Wein mehr. Bindung und Zusammengehörigkeit, sowas wie Erzählen oder Zuhören eher weniger. Schließlich kennt man sich noch aus Schulzeiten, was soll man da reden.

Irgendwann sieht sie im Krankenzimmer das junge Mädchen, Greta, mit einem Mann. Das ist Marcel. Den hatte sie in der Kneipe verbunden. Und nicht kennen wollen. Seit 15 Jahren haben sie sich nicht gesehen. Und in einem wunderbaren, ganz unerwarteten Twist eröffnet Schultheiß eine ganz neue Perspektive auf gewisse Familienverhältnisse. Kurz gesagt: Greta zieht bei der viel älteren Lotte ein. Die ihr erstmal das Rauchen aufzwingt: Dafür nämlich darf sie bei ihr pennen – inzwischen nächtigt sie in einer Fahrradwerkstatt. Nächstes Projekt Kokain, und einen Jungen aufreißen. Und bloß nichts mit Marcel zu tun haben!

Die starke Charakterisierung von Lotte, das Geheimnisvolle, das sie umgibt, die Performance der Darstellerin: Das sind die großen Stärken des Films. Ein Film über eine Frau, die innerlich so jugendlich geblieben ist, dass der Begriff „pubertär“ eine Beleidigung für jeden Heranwachsenden wäre. Lotte meint Freiheit, aber die ist eben ganz nahe an der Verantwortungslosigkeit gebaut. Greta ist bisher einigermaßen geordnet aufgewachsen. Und lernt nun den süßen Duft der absoluten Unabhängigkeit kennen: Erziehung auf den Kopf gestellt. Das Schöne daran: Lotte wird nicht zurückerzogen. Sie lässt sich nicht stutzen.

In der zweiten Hälfte des mit 75 Minuten sehr flotten Lotte vermisst man ein wenig etwas, das man „Handlung“ nennen könnte, als Weiterentwicklung von „Schilderung“ und „Geschehen“. Und ja, wir werden Zeuge von so etwas wie einem kleinen Schritt zum Erwachsenwerden, wenn Lotte beginnt, sich ihrer Provinzvergangenheit zu stellen. Davor aber gibt es eine zünftige Wette: Sie und die minderjährige Greta saufen bis zum Umfallen.
 

Lotte (2016)

Lotte ist eigentlich ganz freundlich. Nachts geht sie raus auf die Straße, in die Kneipe an der Ecke. Riskiert Streit mit ihrem Freund. Um zu helfen. Schließlich ist sie Krankenschwester, sie weiß, wie man eine Platzwunde näht. Drei Stiche, der Patient liegt auf dem Billardtisch. Keine 20 Minuten. Von ihrem Freund wird sie trotzdem auf die Straße gesetzt, es reicht ihm mit ihr.

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Meinungen

wignanek-hp · 16.08.2016

Es ist schön, dass sich ein Verleih traut.
Absolut sehenswert!!!!