Los Ángeles

Eine Filmkritik von Monika Sandmann

Eine dunkle Welt aus Armut und Gewalt

Eine schwarze Leinwand, Kampfgeräusche einer Schlägerei, Fäuste, die auf Körper treffen, Stöhnen, schweres Atmen. Man braucht keine Bilder, um zu wissen, was los ist. Da prügeln sich junge Männer. Und es geht um vor allem um die Ehre und um ein Aufnahmeritual. Die Dunkelheit löst sich auf, die Dämmerung bricht an und einer der Männer trollt sich geschlagen davon.
Direkt und ohne Fisimatenten zieht Regisseur Damian John Harper sein Publikum in eine Welt, in der Gewalt und Brutalität zum Leben dazu gehören. Je heller es auf der Leinwand wird, desto klarer wird, was noch zu diesem Leben gehört: Eine Armut, die aus allen und in alle Ritzen dringt. Wir befinden uns im Süden Mexikos, im Bundesstaat Oaxaca. Mehrheitlich lebt hier die Urbevölkerung, die Zapoteken. Zapotekisch wird auch im Film gesprochen. Darsteller sind Zapoteken und Schauspiel-Laien aus dem Dorf Ana del Valle.

Hier irgendwo hat auch Regisseur Harper über ein Jahr lang gelebt. Im Jahr 2000 kam der gebürtige US-Amerikaner als Ethnologe in das Dorf und erforschte das Leben der Urbewohner. Er lernte die Menschen kennen, ihre Kultur und ihren Alltag — und der ist eng mit dem Sehnsuchtsort Los Angeles verknüpft. Ja, mit der Stadt der Engel, die für Geld und Glück steht, aber für die Leute hier mehrheitlich mit Verzweiflung und Verlust endet. Dennoch machen sich immer wieder, Jahr für Jahr, Tausende von Menschen auf den Weg in das vermeintliche Paradies. Sie wollen ihr Leben verbessern, ihre Familien daheim unterstützen und diese stolz machen. Das fast vorhersehbare Scheitern nehmen sie dabei billigend in Kauf. Die Hoffnung, es, wie einige wenige, auch zu schaffen, genügt als Antrieb. Schaffen könnten sie es auch, rein theoretisch. Ein Plot also, der bekannt ist und der schon einige Male verfilmt wurde.

Doch Harper variiert die Geschichte, nicht in ihrer Aussichtslosigkeit und Gewalt, sondern belässt den Fokus ganz auf das in den USA gesetzlich verankerte „Streben nach Glück“. Erzählt wird hier das Streben, also das „Vorher“ dieser Reise, einer Reise die von der Familie unterstützt und gefördert wird und das muss sie auch, denn woher sollten die jungen Leute sonst das Geld für die Schlepper nehmen.

Harper begleitet quasi ethnologisch den 17-jährigen Mateo (Mateo Bautista Matías) bei seinem alltäglichen Leben, nicht zuletzt im Hinblick auf seine Abreise in ein vermeintlich besseres Leben. Es ist eine dokumentarische Kamera, meisterhaft geführt von Friede Clausz, die Mateo beim Tun und Nicht-Tun über die Schulter guckt. Er weiß, was er alles für Los Angeles braucht: Erstmal das, was er eigentlich dort verdienen will. Geld. Geld für die Reise und nicht minder wichtig: Unterstützung vor Ort. Hier wie dort sind die Gangs allmächtig und -gegenwärtig. Auch das nichts Neues aus Mexiko. Wer hat nicht vom Sinaloa Kartell gehört oder von den Zetas, den berühmt-berüchtigten Drogenkartellen? Bis in die entlegenen Dörfer reichen ihre Arme oder die ähnlich gearteter Gangs. Vor Ort sind es Halbstarke, die sich das Recht und den Respekt nehmen. Was anderes bleibt ihnen in der kargen Landschaft Südmexikos ja nicht. Außer der Rausch von Drogen und Gewalt.

Mateo schließt sich also einer Gang an, bis die ihm nahelegt, ein Mitglied einer verfeindeten Gang zu töten. Der nach außen coole Mateo, die Frisur up-to-date, der noch jugendliche Körper kräftig und gestählt, das Gesicht ernst und erhaben, ist im Innern eine zarte Pflanze. Er liebkost das kleine Hündchen zuhause und wenn der Bruder deftig-fiese Spiele mit dem Tier treibt, ist Mateo zornig zur Stelle. Seine erste Verliebtheit ist noch scheu und vorsichtig. Ein kleiner Plausch am Gartenzaun. Ein Pfiff als Erkennungszeichen, das sie auf ihn oder er auf sie wartet. Die Worte wollen noch nicht fließen, die Gesten sind noch unbeholfen. Und dieser Junge soll jetzt einen Menschen töten? Er muss es, denn sonst geht es ihm selbst an den Kragen. Das macht die Gang mehr als deutlich. Mateo zögert. Eine toughe Drohkulisse baut sich vor ihm auf. Doch gleichzeitig geht sein Leben einfach weiter. Er feiert ein Dorffest mit. Er geht mit seinem Bruder zum Rodeo. Bullenreiten. Die beiden machen ihre Sache gut. Sie haben Spaß. Ein jugendliches Austoben.

Beiläufig zeigt uns der Regisseur exemplarisch weitere Fäden, die zwischen Ana del Valle und Los Angeles baumeln. Es sind die vielen Schicksale, die die sogenannte Armutswanderung mit sich bringt. Da ist Mateos Vater, der vor Jahren über die Grenze ging, doch statt die Daheimgebliebenen zu unterstützen, wie es seine Pflicht wäre, kommt von ihm schon lange kein Dollar mehr. Da ist die ältere Dorfbewohnerin, die Angst um ihren Sohn hat. Auch er im fernen Amerika. Für ein besseres Leben. Aber lebt er überhaupt noch? Wie geht es ihm? Sie weiß es nicht. Der Mann, ein Heimkehrer, der fremd im eigenen Haus geworden ist.

Los Ángeles ist Damian John Harpers Debütfilm. Ein ehrlicher Film, der realistisch, fast neo-realistisch, das Leben am Rande Mexikos einfängt. Er selbst ist ein eher schmächtiger, höflicher Mann. Als er die Bühne der Cologne Conference betritt, stellt man ihn sich unweigerlich unter den Gang-Mitgliedern vor. Doch kaum hat er angefangen zu reden, hängt man gebannt an seinen Lippen und erkennt: Der Mann weiß, was er tut. Und das haben sicher auch die zapotekischen Draufgänger gespürt.

Los Ángeles

Eine schwarze Leinwand, Kampfgeräusche einer Schlägerei, Fäuste, die auf Körper treffen, Stöhnen, schweres Atmen. Man braucht keine Bilder, um zu wissen, was los ist. Da prügeln sich junge Männer. Und es geht um vor allem um die Ehre und um ein Aufnahmeritual. Die Dunkelheit löst sich auf, die Dämmerung bricht an und einer der Männer trollt sich geschlagen davon.
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