Lady Macbeth (2016)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Wahn und Liebe

Neugierig schaut Katherine (Florence Pugh) am Anfang von Lady Macbeth durch ihren weißen Schleier hindurch, der ihr Gesicht bedeckt. Sie beäugt den Mann neben ihr, den sie gerade heiratet, und die anderen Anwesenden dieser Zeremonie. Sie wirkt gefasst, gespannt auf das Kommende. In der nächsten Einstellung ist sie in ihrem Schlafzimmer zu sehen, das Hausmädchen Anna (Naomi Ackie) kleidet sie in ihr Nachthemd. Immer wieder fragt sie sie, ob ihr nicht kalt sei, aber Katherine verneint. Ob sie Angst habe. Auch das verneint Katherine.

Es folgt die erste Nacht mit ihrem Mann Alexander (Paul Hilton). Es ist offensichtlich, dass er von dieser Ehe nicht begeistert ist. Und auch er fragt sie, ob ihr kalt sei. Dann warnt er sie, ja, verbietet ihr, das Haus zu verlassen, weil es draußen zu kalt sei. Spätestens hier ist klar, dass es wohl in diesem Haus im England des 19. Jahrhunderts weitaus kälter ist als es draußen jemals sein könnte. Schließlich sagt er ihr noch, sie solle sich ausziehen. Aber er kann die eheliche Pflicht nicht erfüllen, die von ihm erwartet wird.

Fortan liegt Katherine immer wieder neben diesem Mann, der sie nicht mag, der das Haus seines Vaters, die Arbeit in der Mine nicht mag – und sie ist an dieses Haus, an diese Ehe gebunden. Immer wieder fasst die großartige Kamera von Ari Wegner dieses starre Leben in sehr symmetrischen Einstellungen ein, Tableaus, in denen Katherine auf einem Sofa sitzt oder im Bett liegt. Dieses eintönige Leben langweilt sie, sie schläft mehrmals auf dem Sofa oder beim Essen fast ein, aber das gehört sich natürlich nicht für eine Lady. Sie darf nicht müde und muss ihrem Ehemann stets zu Willen sein. Darauf wird sie von ihrem Schwiegervater Boris (Christopher Fairbank) beständig hingewiesen. Der reiche Minenbesitzer hat Katherine gekauft, damit sie seinen Sohn heiratet und einen Erben produziert, er hat das Sagen in diesem Haus, er kontrolliert alle – und an Anna ist zu merken, was dieses Leben mit einer Frau machen kann. Anfangs versucht sich Katherine in diese Rolle zu fügen, es ist eine Zeit, in der Männer über Frauen bestimmten und in jedem Alter einer Frau übergeordnet waren. Doch dann verlassen Ehemann und Schwiegervater das Anwesen – und Katherine hat erstmals wieder Luft zum Atmen. Mit langen offenen Haaren durchstreift sie die Natur, sie fühlt Unabhängigkeit und Freiheit. Sie kann wieder atmen. Dann passiert, was in angelsächsischen Historiendramen des 19. Jahrhunderts passieren muss: Sie begegnet einem anderen Mann – Sebastian (Cosmo Jarvis) ist ein neuen Arbeiter, bei ihrem ersten Zusammentreffen hat er die nackte Anna in das Tuch einer Schweinewaage gesteckt und an die Decke gezogen, um sie unter dem Gegröle und Gepfeife der anderen Arbeiter zu wiegen. Katherine greift ein, sie unterbindet das Treiben, zugleich aber ist sie fasziniert von der Rohheit und Direktheit Sebastians. Sie beginnen eine Affäre, die natürlich nicht verborgen bleibt. Dabei steht die Bewegung, der leidenschaftliche Sex im klaren Kontrast zu dem starren Leben zuvor. Sie benutzen das gesamte Bett und liegen nicht brav jeder auf der Seite, das Quietschen der Bettfedern und ihr Stöhnen erscheint in diesem ansonsten totenstillen Haus geradezu obszön. Aber natürlich werden Schwiegervater und Ehemann irgendwann zurückkehren.

Basierend auf einem Roman von Nikolai Leskov ist William Oldroyd nach einem Drehbuch von Alice Birch mit Lady Macbeth ein faszinierender Film gelungen, der tiefe Einblicke in das Leben und die Psyche einer jungen Frau im ländlichen England des 19. Jahrhunderts liefert. Ohne musikalische Untermalung entsteht die Dramatik und Tragik dieses Films über die Bilder, den Schnitt und die Schauspieler, die allesamt hervorragend besetzt sind. Cosmo Jarvis ist ungehobelt und dreckig, Christopher Fairbank ist gemein und schmierig. Aber es sind die Frauen, die beeindrucken. Florence Pugh vereint Unbekümmertheit und Gefasstheit, anfangs liegen alle Sympathien bei ihr. Aber dieser Film heißt nicht grundlos Lady Macbeth und Katherine ist bereit, um jeden Preis um ihr Glück zu kämpfen. Je grenzenloser ihr Handeln wird, desto mehr tritt der Wahnsinn hervor – und desto mehr entfernt sie sich von dem Zuschauer. Dabei ist die ausdrucksstarke Mimik und die perfekt nuancierte Intonation von Florence Pugh bemerkenswert. Herausragend ist zudem Naomi Ackie als Anna, von deren Vorgeschichte man kaum etwas erfährt. Aber man ahnt, dass ihr Leben in diesem Haus alles andere als einfach ist, dass sie als junges Mädchen nach dem Willen des Hausherren geformt wurde und angesichts von Katherines Widerstand nicht weiß, wie sie reagieren soll.

Lady Macbeth ist das Filmdebüt von William Oldroyd, der zuvor am Theater gearbeitet hat. Und wenngleich der Stoff und die Zeit natürlich eine Nähe zum Theater suggerieren, haftet seinem Film nichts Theatralisches an. Vielmehr arbeitet er sehr geschickt mit filmischen Mitteln bzw. dem Verzicht auf sie. Allein die fast vollständige Abwesenheit des Tons verleiht der Eintönigkeit dieses Lebens kraftvoll Ausdruck, die Kamera gibt den Charakteren ausreichend Möglichkeit, die Positionierung im Raum zu nutzen. Dabei beweist er eindrucksvoll, was in diesem scheinbar konventionellen Genre des angelsächsischen Historiendramas noch möglich ist. Hier wird alles thematisiert – Klasse, Gewalt, Herkunft und Missbrauch –, ohne dass es im Dialog angesprochen werden muss. Vielmehr steckt die Kraft in den Bildern und den Gesichtern.
 

Lady Macbeth (2016)

Neugierig schaut Katherine (Florence Pugh) am Anfang von Lady Macbeth durch ihren weißen Schleier hindurch, der ihr Gesicht bedeckt. Sie beäugt den Mann neben ihr, den sie gerade heiratet, und die anderen Anwesenden dieser Zeremonie. Sie wirkt gefasst, gespannt auf das Kommende.

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Meinungen

Martin Zopick · 15.09.2022

Das Lob, das die Kritiker über den Film ausgeschüttet haben, rührt wohl größtenteils von der stringenten optischen Gestaltung. Der Vergleich mit Hitchcock und den Brontës ist dabei vielleicht etwas hoch gegriffen. Der Meister hätte es spannender gemacht und der Brontë-Touch kommt nur von den weiten Ebenen (Yorkshire Moors bzw. die Highlands) oder der unglücklichen Ehe. Die Bilder sind oftmals symmetrisch durchkomponiert, wobei ein Minimalismus eine nicht ganz unwichtige Rolle spielt. Lange Pausen mit absoluter Stille und ohne Musik lassen viele Bilder als düstere Stillleben ihre Wirkung tun. Karge Dialoge verbreiten ein Klima der tiefen Ernsthaftigkeit, in dem es kein Lachen gibt und bereiten den Nährboden für Sex und Gewalt vor. Hier wird der Mensch dem Menschen ein Wolf. Hier bricht sich das unterdrückte Gefühl der alleingelassenen Katherine (Florence Pugh) ganz vehement Bahn. Dabei geht sie über Leichen und wird am Ende doch ihren Kopf aus der Schlinge ziehen und ihren Lover Sebastian (Cosmo Jarvis) und ihre Zofe Anna (Naomi Ackie) an den Galgen bringen.
Was das mit Shakespeares Frau von Macbeth zu tun hat, weiß der Himmel. Wahrscheinlich hat sich das so nach der Vorlage eines russischen Romans/Kurzgeschichte so ergeben. Hier sehen wir nur eine unglückliche Frau, die je nach Zählweise an mehreren Morden beteiligt ist. Sie wird aus Liebe zur Serienmörderin, indem sie aus der gesellschaftlichen Enge des 19. Jahrhunderts ausbricht. Voll Arthouse!