La pirogue

Der Zuschauer mit im Boot

In letzter Zeit erzählt das Kino immer mehr Geschichten über die Bootsflüchtlinge von Afrika nach Europa. Die Farbe des Ozeans war ein solcher Film, und auch Implosion macht eine junge Afrikanerin zum Katalysator der Geschichte. In La pirogue nun erhält der Zuschauer einen ganz anderen Blick auf das Motiv: Der Film von Moussa Touré macht die Überfahrt, das Bangen und das Hoffen im Innern des Schiffes zu seinem Zentrum und zeigt einmal mehr, was politisch inspirierte Spielfilme bringen: Sie holen das Publikum – hier buchstäblich – mit ins Boot, machen Identifikation einfach und machen häufig so vieles deutlicher als die objektive Nachrichtensicht.
Hauptfigur in La pirogue ist Baye Laye, ein junger Vater und Sohn eines Fischers. Wie so oft im Senegal und anderen afrikanischen Ländern, ist es schwierig, vor Ort Arbeit zu finden und genügend Geld zu verdienen, um eine Familie – und sei sie auch noch so klein – durchzubringen. Mit im Haus wohnt Baye Layes Bruder, Abou, der die Hoffnung auf ein würdiges Leben im Land schon längst aufgegeben hat und es deshalb auch nicht so ernst nimmt mit dem Arbeiten. Er widmet sich stattdessen lieber seiner großen Leidenschaft, der Musik, und ist überzeugt davon, damit einmal in Europa groß rauszukommen.

Während eines Volksfestes wird Baye Laye angesprochen, ob er nicht ein Schiff nach Europa steuern, sich damit Geld verdienen und es dann selbst in einem der Länder Europas versuchen wolle. Baye Laye lehnt ab; die Überfahrt über den Atlantik ist ihm zu riskant, die Verantwortung für so viele Menschen zu groß. Abou und andere Mitmenschen reden auf ihn ein, doch Baye Laye bleibt beharrlich. Bis er dann doch spontan seine Meinung ändert und Kapitän der Piroge wird. Noch in derselben Nacht brechen 30 Männer und eine Frau in dem bemalten Einbaum und voller Hoffnung auf.

La pirogue setzt eben nicht – wie viele andere europäische Filme, die zuletzt im Kino zu sehen waren, erst dann ein, wenn ein Boot an den Strand Gran Canarias gespült wird, sondern konzentriert sich auf die Vorbereitung der Reise, auf die Unsicherheit der Menschen darüber, ob sie die Auswanderung tatsächlich wagen sollen, und auf die tagelange Bootsfahrt. Die Kamera nimmt die angstvollen Gesichter der Flüchtlinge in den Fokus und verlässt nur selten die Enge der Piroge für einige Aufnahmen, welche das Holzschiff auf dem offenen Meer zeigen. Damit wird die Überfahrt zum Kammerspiel, das vor allem durch authentische Darsteller überzeugt und den Zuschauer das brisante Nachrichtenthema quasi nach- und miterleben lässt. Das ist die Stärke des Films: Dass er das Erlebnis, das so viele Menschen zwischen Afrika und Europa teilen, für den Zuschauer erlebbar macht.

Darüber hinaus vermittelt die Koproduktion aus dem Senegal, Frankreich und Deutschland eine Vielzahl an afrikanischen Traditionen, zeigt Rivalitäten zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen auf und macht deutlich, wie sehr Glaube und Rituale eine Rolle im Leben der Menschen spielen. Da ist das Fest, das einen großen Teil des Filmanfangs einnimmt, da sind die Glaubensgrundsätze der Männer im Boot, und da sind die vielen Gesänge, die den Soundtrack und die einzigartige Grundstimmung des Films mit prägen.

La pirogue ist Moussa Tourés dritter Spielfilm und wurde 2012 in der Sektion Un certain regard der Internationalen Filmfestspiele von Cannes gezeigt.

(Verena Schmöller, Festivalkritik Französische Filmtage Tübingen 2012)

La pirogue

In letzter Zeit erzählt das Kino immer mehr Geschichten über die Bootsflüchtlinge von Afrika nach Europa. „Die Farbe des Ozeans“ war ein solcher Film, und auch „Implosion“ macht eine junge Afrikanerin zum Katalysator der Geschichte. In „La pirogue“ nun erhält der Zuschauer einen ganz anderen Blick auf das Motiv: Der Film von Moussa Touré macht die Überfahrt, das Bangen und das Hoffen im Innern des Schiffes zu seinem Zentrum und zeigt einmal mehr, was politisch inspirierte Spielfilme bringen: Sie holen das Publikum – hier buchstäblich – mit ins Boot.
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