Kaddisch für einen Freund

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Der letzte Held aus Kreuzberg

Von einem Flüchtlingslager im Libanon über ein Asylantenheim in Deutschland ist der 14-jährige Palästinenser Ali Messalam (Neil Kelakhdar) mit seiner Familie in einer Wohnung in Berlin-Kreuzberg gelandet. Bisher gab es in Alis Leben nur wenige Konstanten: seine Familie, seine Zeichnungen, die sein Vater nicht gerne sieht, und den Hass auf „die Juden“.
Nach vier Jahren im Asylantenheim hofft Ali, dass nun ein neues Leben beginnt. Dann stellt er beim Einzug in die Wohnung am Mehringplatz fest, dass ausgerechnet der 84-jährige russisch-jüdische Immigrant Alexander Zamskoy (Ryszard Ronczewski) über ihnen wohnt. Seine Familie ist schockiert. Aber Alis Onkel beruhigt sie: Die Araber haben ohnehin bald die Mehrheit und das Sagen in diesem Viertel. Ali sucht Anschluss bei einer Clique aus arabischen Jugendlichen aus seinem Viertel. Sein Cousin wird von ihnen akzeptiert, von ihm verlangen sie eine Mutprobe: Er soll in die Wohnung des Juden einbrechen! Die Situation eskaliert und Alis Kumpels verwüsten die Wohnung des alten Mannes, der die Jugendlichen überrascht. Sie können fliehen, aber Alexander kann Ali einen von seinen neuen Turnschuhen entreißen. Wütend erstattet Alexander Anzeige bei der Polizei, und durch den Schuh gibt es einen objektiven Beweis, dass Ali in der Wohnung war. Für Alis Familie steht viel auf dem Spiel: Der Krieg im Libanon ist vorbei, sie sind in Deutschland nur geduldet. Sollte Ali verurteilt werden, droht ihnen die Abschiebung. Also will Alis Mutter ein Gerichtsverfahren abwenden und zwingt Ali hinter dem Rücken ihres Mannes, sich bei dem Erbfeind zu entschuldigen. Auch für Alexander bringt die Verwüstung der Wohnung Schwierigkeiten mit sich: Das Sozialamt glaubt nicht, dass er alleine leben kann, und will ihn in ein Altenheim abschieben. Nun stellen sie ihm ein Ultimatum: Sollte er seine Wohnung bis zum Besuch des Verantwortlichen nicht renoviert haben, muss er sie verlassen. Aber Alexander will dort wohnen bleiben, deshalb greift er widerwillig auf Alis Hilfe bei der Renovierung zurück.

Drehbuchautor und Regisseur Leo Kashin entwirft in Kaddisch für einen Freund einen Berliner Mikrokosmos, in dem sich der Konflikt zwischen Arabern und Juden spiegelt. Vor allem an Alis Beispiel werden die Folgen eines vererbten Hasses deutlich. Selbst hat er die Auseinandersetzungen nicht erlebt, er kennt sie nur aus Erzählungen von seinem Großvater. Zu Beginn des Films sind Bilder zu sehen, die Ali zu diesen Geschichten gezeichnet hat. Sie lassen erkennen, dass Ali durch die Erinnerungen seiner Familie die Feindschaft verinnerlicht hat. Auch Alexander hängt an seinen Erinnerungen, es sind eigene, schmerzliche Erlebnisse, die sein Misstrauen gegen Araber geschürt haben – wenngleich er in Ali auch den Jungen sieht und nicht nur den Araber.

Doch in Kaddisch für einen Freund treffen nicht nur Vorurteile und Hass aufeinander, sondern zudem ein starrsinniger alter Mann und ein trotziger pubertierender Junge. Dadurch wird die Symbolik nicht überladen, sondern fügt sich in die bekannte Geschichte von einem künstlerisch-begabten, intelligenten Jungen, der einen Fehler begeht, das Herz eines sturen alten Mannes erobert und sich bessert. Diese Geschichte erzählt Leo Kashin in seinem Spielfilmdebüt unverstellt – und sie wird von Neil Belakhdar und Ryszard Ronczweski überzeugend gespielt. Gerade bei Neil Belakhdar ist zu verfolgen, wie sich seine gesamte Körpersprache im Verlauf des Films ändert. Sein Gang wird aufrechter, selbstbewusster, und er lernt, das Richtige zu tun. Dadurch lässt sich auch verschmerzen, dass Alis Freunde eindimensional angelegt sind und Stereotype in den Nebenfiguren nicht ausgespart werden.

Kaddisch für einen Freund ist ein authentischer Film, der berührt und unterhält. Sicherlich gerät das Ende ein wenig pathetisch, aber es zeugt von dem Respekt vor den Religionen. Denn ausgerechnet Ali wird bei Alexanders Beerdigung das Kaddisch sprechen, das in Erinnerung an fortgegangene Seelen von dem nächsten männlichen Angehörigen gesprochen wird. Vor allem aber bleibt von diesem Film die Hoffnung, dass Freundschaft über Feindschaft obsiegen kann.

Kaddisch für einen Freund

Von einem Flüchtlingslager im Libanon über ein Asylantenheim in Deutschland ist der 14-jährige Palästinenser Ali Messalam (Neil Kelakhdar) mit seiner Familie in einer Wohnung in Berlin-Kreuzberg gelandet. Bisher gab es in Alis Leben nur wenige Konstanten: seine Familie, seine Zeichnungen, die sein Vater nicht gerne sieht, und den Hass auf „die Juden“.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Katinka N. · 16.03.2012

War gestern drin: bin nachhaltig berührt und begeistert: ein liebevoller Blick auf schwierige Situationen -ohne moralischen Zeigefinger und ohne vorschnelle weltumfassende Scheinlösungen aufzudrängen. Der Film ist einerseits unterhaltend und andererseits sehr tiefsinnig.Die Rollen sind sehr glaubhaft und ungekünstelt gespielt. Meine Empfehlung: sollte "man" einfach gesehen habe.

olga joselowitsch · 03.02.2012

finde die idee toll, bin ganz gespannt auf den film im kino