Interstellar (2014)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Einsen und Nullen

Eins und Null. Ein binärer Code. Einen ebensolchen entdeckt Murph (Mackenzie Foy), die Tochter Coopers (Matthew McConaughey), und er führt die beiden zu einem geheimen Ort mit einer geheimen Mission. Einsen und Nullen bringen Vater und Tochter zur NASA, die die letzte bemannte Raumfahrtmission der Menschheit vorbereitet. Die Erde liegt im Sterben und mit ihr die gesamte Erdbevölkerung. Doch es gibt Hoffnung. Ein Wurmloch hat sich aufgetan in der Nähe des Saturns und durch selbiges könnte die Menschheit in eine andere Galaxie gelangen und einen neuen Planeten zum Leben finden. Die Mission „Lazarus“ ist der letzte Versuch, diese neue Heimat zu entdecken. Cooper, ein ehemaliger Kampfpilot wird dafür angeheuert. Er lässt Murph verbittert zurück, um sie und alle anderen zu retten.

Eins und Null. Diese Dualität zeichnet auch Christopher Nolans neues Werk Interstellar aus. Es ist ein Film voller Grandiosität, eine Science-Fiction-Weltraum-Oper, die sich zumindest stellenweise mit den Werken Stanley Kubricks und Andrei Tarkowskis messen kann, gleichzeitig aber auch stark im Blockbusterkino verankert ist. Interstellar ist voller bombastischer Momente, die sich in einer seltsam einmütigen Koexistenz mit ihren Gegenstücken befinden — gruselig schlechten, manchmal geradezu schmerzlich stümperhaften Szenen. Interstellar ist gleichsam genial wie schrecklich. Er ist ein grandioses Schlamassel.

Erde und Weltraum — diese zwei Räume okkupieren die Figuren in Nolans Stück. Mit der Exposition auf der Erde lässt der Film sich unendlich viel Zeit. Das hat einen guten Grund: Coopers Familie ist der einzige moralische und zwischenmenschliche Dreh- und Angelpunkt. Coopers Liebe zu seiner Tochter und seinem Sohn (Timothée Chalamet) — auf dieser Basis ruht der gesamte Film. So sehr sich Nolan darum bemüht, diesen Beziehungen Tiefe zu geben, so sehr vernachlässigt er alle weiteren emotionalen Verbindungen. Die vielfältigen Beziehungen zwischen Cooper und seinem Team (u.a. Anne Hathaway, Matt Damon) — sie werden nie über ein paar merkwürdig kühle und oftmals phrasenhafte Gespräche hinausgehen. Die Menschen, die die Menschheit retten sollen, sind in gewisser Weise viel eher Roboter als die beiden in den Weltraum mitgenommenen Androiden TARS und CASE. Nur in sich selbst erleben sie Gefühle, fast so, als wäre ihr Menschsein tief in ihrem Geist eingeschlossen und nur für sie selbst erfahrbar – ohne Hoffnung oder gar die Möglichkeit, diese Grundbedingungen menschlichen Zusammenlebens nach außen transportieren zu können. Der Geist, seine Beschränkungen und seine unendlichen Möglichkeiten sind Themen, die Nolan mit Filmen wie Memento, Prestige — Duell der Magier und Inception schon lange bearbeitet, so düster und apokalyptisch wie in Interstellar hat der Regisseur die mentalen Räume aber noch nie beschrieben. Und so koexistieren in den Figuren Unantastbarkeit und Kantigkeit mit einem Kern aus nur manchmal durchdringender Emotionalität.

Von Widersprüchen und Gegensätzen sind auch die Dialoge von Interstellar gekennzeichnet. Sie wechseln von Erklärungen der Quantenphysik und existentialistischer Philosophie zu Kommentaren, die so hölzern und dümmlich sind, als hätte man den Kanal gewechselt und würde sich Transfomers 3 ansehen. Das Drehbuch verfasste Nolan mit seinem Bruder Jonathan. Das Skript hinkt oft intellektuell weit hinter den wissenschaftlichen Komponenten, die in Zusammenarbeit mit dem Physiker Kip Thorne erarbeitet wurden, hinterher und lässt die philosophischen Implikationen des Stoffes meist zu banalen Floskeln verkommen.

Visuell bewegt sich Interstellar dank des niederländischen Kameramanns Hoyte Van Hoytema (Her) freilich auf allerhöchstem Niveau. Die Erde, in gedämpften sandigen Farben gehalten, ist ein Wüstenplanet geworden. Der Weltraum ist, ganz wie das Wurmloch, das die Besatzung ansteuert, ein tiefschwarzer Hintergrund, der die Farben und Formen erst recht brillieren lässt. Während die Erde unkonturiert wirkt, beinahe wie eine verblassende Erinnerung, erstrahlt das Weltall förmlich in herrlich knackigen Farben und beeindruckt mit visuell atemberaubenden Aufnahmen. Allein hierin spürt man schon die enge Verbundenheit Nolans mit Stanley Kubricks „Opus magnum“ 2001: Odyssee im Weltraum.

Nolans All ist lautlos und wunderschön; ein Farbspiel der ganz und gar außergewöhnlichen Sorte, das er zum Teil mit IMAX-Kameras drehte, aber vor allem für 70mm konzipierte. Dieses analoge Filmformat zeichnet sich durch seine enorme Leuchtkraft und seinen Reichtum an Details aus und perfektioniert die Kinematographie. Leider wird Interstellar, von dem für Deutschland eine einzige analoge 70mm-Kopie vorliegt, nur im Zoo-Palast in Berlin in diesem mittlerweile selten gewordenen Format zu sehen sein. Auch die IMAX-Version von Interstellar kann nur in Karlsruhe (Filmpalast am ZKM) und Berlin (CineStar IMAX im Sony Center am Potsdamer Platz) besucht werden. Die Konzeption der Bilder für die ganz große Leinwand spiegelt sich auch auf der Tonebene wider, auch der Soundtrack mit seiner Grandiosität und seinem unüberhörbaren Pathos erinnert deutlich an das alles überstrahlende Vorbild Stanley Kubrick, wenngleich Nolan es bisweilen ein wenig übertreibt mit der Lautmalerei. An vielen Stellen ist die Musik so voluminös und raumgreifend, dass es bisweilen schwierig ist, die Dialoge zu verstehen.

Christopher Nolan verbindet mit Interstellar auf ganz eigene Weise das Autorenkino mit dem Blockbuster. Die Mischung aus audiovisuellen Samples und Hommagen an die großen Science-Fiction Filme, gepaart mit hohem Produktionswert und der Affektpoetik eines Michael Bay überrascht, verwirrt und macht viel Spaß. Diese ganz eigene Mixtur ist es auch, die den Film letztendlich trägt. Während Nolan vor allem auf der inhaltlichen Ebene spätestens im zweiten Akt so viele Bälle jongliert, dass sie ihm (und dem Zuschauer) letztendlich fast alle entgleiten, rettet die Visualisierung den Film und führt ihn zu einem in der Summe guten Ende.

Eins und Null. Schrecklich und gut zugleich. Der Binärcode als beherrschende Grundfigur und zentrales Gestaltungsmotiv von Interstellar setzt sich auch beim Zuschauer fort. Vor allem aber ist der Film endlich mal wieder ein kinematographisches Wagnis, das versucht, alles aus diesem so oft schon totgesagten Medium zu quetschen.
 

Interstellar (2014)

Eins und Null. Ein binärer Code. Einen ebensolchen entdeckt Murph (Mackenzie Foy), die Tochter Coopers (Matthew McConaughey), und er führt die beiden zu einem geheimen Ort mit einer geheimen Mission. Einsen und Nullen bringen Vater und Tochter zur NASA, die die letzte bemannte Raumfahrtmission der Menschheit vorbereitet. Die Erde liegt im Sterben und mit ihr die gesamte Erdbevölkerung.

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Meinungen

Martin Zopick · 25.07.2020

Ein dystopisches Weltraumabenteuer, in dem der Pilot/Astronaut Cooper (Matthew McConaughey) neue bewohnbare Planeten suchen soll, um die Weltbevölkerung dort anzusiedeln, denn die Erde wird zusehends unbewohnbar. Er verlässt mit Dr. Brand (Anne Hathaway, Tochter von Professor Brand: Michael Caine, der das Programm rechnerisch erdacht hat) und zwei Kollegen die Erde und seine zwei Kinder sowie Großvater Donald (John Lithgow), fliegt durch Schwarze Löcher und Wurmlöcher und gelangt in fremde Galaxien, wo eine Stunde wie sieben Jahre auf der Erde sind.
Es wird auffallend viel über Gravitation und Quantenmechanik geredet und dass die Liebe die Dimension von Zeit und Raum überwindet. Auch das ein dreidimensionaler Kreis eine Kugel ist, leuchtet ein. So weit, so gut. Erst als von Zeitdilatation die Rede ist wird’s kryptisch. Auch das bekannte Zitat von Dylan Thomas kommt mehrmals vor ‘Do not go gentle into that good night…‘ Als Cooper auf einem Planeten den Astronauten Dr. Mann (Matt Damon) trifft, beginnt der Strudel der Unwägbarkeiten und nur wer die Logikbrille abgesetzt hat, kann noch unterhalten werden. Da rührt einen der sterbende Michael Caine, sowie die erwachsenen Kinder von Cooper: Tochter Murphy (jung Mackenzie Foy, erwachsen Jessica Chastain) und Tom (Timothée Chalamet und Casey Affleck).
Mit der Rückkehr des124 Jahre alten Cooper erst in sein Wohnzimmer, dann in ein Krankenhaus hat Regisseur Nolan eine hollywoodreife Varieté-Lösung gefunden. Der Dystopie sei Dank. Unterwegs gab es immer wieder nachvollziehbare Passagen neben total abgespaceten Stellen. Nach fast drei Stunden sind die Zuschauer ganz schön geschlaucht.

Paul · 02.01.2015

Yep, stimme Simon zu: Ist schon was für's Auge (und für den Verzicht auf's 3D gibt es sowieso einen Extra-Punkt). Aber inhaltlich ist das doch eher öde. Dass in einer mit Kreide auf die Wand gemalte Formel die Rettung der Menschheit stecken soll .... gäääääähnn. Muss es am Ende gleich ein 5-dimensionaler Raum sein? Hätte es nicht gereicht, die Zeit als 4. Dimension zu nehmen, um so was absurdes wie "Zeitreisen" zu ermöglichen? Einen Punkt Abzug gibt's auch für die nervige Filmmusik. Irgendwie soll ja wohl Kubricks "2001" Vorbild sein, aber davon ist "Interstellar" *extrem* weit weg.

Luca · 24.05.2023

Es ging aber nicht nur um die Zeit als 4. Dimension die Menschen erleben können, sondern etwas unvorstellbares für den Menschlichen Kopf, wie die 5. Dimension die ein Mensch nicht wahrnehmen und mit dieser auch nicht interagieren kann. Allein der Gedanke das Die menschliche Rasse in der nahen Zukunft zu einer 5 Dimensionalen Rasse wird ist unvorstellbar und zieht somit den ganzen Plot des Films auf. Die Musik ist ebenfalls ein absolutes Meisterwerk, allerdings hat hier auch jeder seinen eigenen Geschmack. Allerdings die Kritik mit der Kreide und der Tafel ist unnötig, den im echten leben ist es auch nicht all zu anders und Physiker benutzen immer noch Tafeln um einen besseren Blick auf ihr Problem zu bekommen.

Simon · 14.11.2014

Zu Beginn war ich amüsiert, da die Tatsache eingehalten wurde, dass es im Weltraum keinen Schall gibt und somit der Zuschauer in den Weltraumszenen nichts hört. Ich freute mich über die Kombination von Scifi und den Versuch Scifi möglichst an die Physik anzulehnen.

... aber dann...

Nichts für ungut, aber wenn man schon keine Ahnung von Physik hat, dann kann man auch unsinnige Dialoge über Physik weglassen!
(- Reise durch ein Wurmloch hat zeitlich keine Auswirkungen, hingegen das Landen auf fremden Planeten fällt umso mehr ins Gewicht, oder eben in die Zeit. Wegen starker Gravitation entspricht 1h auf fremden Planeten 7 J. auf Erde
Die Schwerkraft auf dem Planeten ist 30% stärker i.V., zur Erde und trotzdem gibt es 200m hohe Monsterwellen).
... einfach nur schwachmatisch!
Technisch ist der Film sehr gut umgesetzt. Der Film sieht richtig realistisch aus und die Szenen im Weltraum / an Bord des Raumschaffs lassen ein Scifi-Herz höher schlagen, da sie echt gut umgesetzt wurden.

Wenn du den Film "Instellar" schaust, bekommst du eine dümmliche Handlung und sinnlose Gespräche, dafür aber ein Augenschmaus in bildlicher Umsetzung.

Kowapapa · 11.11.2014

Kann die Meinung hier von Ay971 nur bestätigen. Absolut sehenswert für jeden, der sich für diese Art Themen interessiert!
Hervorragend gespielt und so realitätsnah wie möglich dargestellt. Beeindruckende Bilder, dichte Atmosphäre und überraschende Wendungen. Mich hat er total mitgerissen! Volle Punktzahl!

Ay971 · 06.11.2014

Dieser Film ist absolut sehenswert! Weil es darin nicht nur um Science-Fiction geht, sondern um noch viel mehr.Die Thematik von Reisen im Weltraum und in Wurmlöchern wurde nie bisher so gut dargestellt wie hier.Aber insbesondere auch die Dramatik und Gefühle kommen in diesem ausgezeichneten Film nicht zu kurz. Überraschende Wendungen und Darsteller inbegriffen! 9 von 10 Punkten hat er auf jeden Fall verdient.Auch wenn der Film fast 3 Stunden dauert, wurde er zu keiner Sekunde langweilig!Alle negativen Meinungen hin oder her! Auch ich als älterer Jahrgang, bin sehr beeindruckt!

dkastens · 06.11.2014

wollte eigentlich ausführlicher drauf eingehen, aber nun nur dies: das laufende Bemühen von 2001 in Bezug auf Nolan ist unangebracht. Dazwischen liegen geradezu Lichtjahre. So ein Verheben ist auch nicht neu. Soderbergh hat mit Solaris auch versagt und sogar kläglich. Er hätte wissen sollen, dass er kein Tarkovski ist und Nolan sollte begreifen, dass er nie ein Kubrick sein wird und nie auf dessen Niveau.
Und nebenbei: ein Vergleich zwischen Richard Strauß, Ligeti u. a. mit Herrn Hans Zimmer ist leider von so viel Naivität durchtränkt wie Mr. Nolans Gedanken"spiele".
Ein bisschen schade, denn die Rezension gibt ja durchaus was her.
Danke dafür.

Zimbi · 05.11.2014

Ich kann es kaum erwarten. Ein absolutes Must-See!