In jeder Sekunde

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Zwei Mal im Dreieck

Wenn sich eine ganze Reihe von Handlungssträngen zum Erzählteppich verwebt, dann entsteht daraus manchmal ein besonders fein schimmerndes Stück Kino. Etwa bei Robert Altman oder Alejandro González Inárritu. Aber zu viele unterschiedliche Schicksale und Handlungen sind auch ein Wagnis. Jan Fehse ist es in seinem Debüt eingegangen. Der Mut hat sich nur zum Teil gelohnt.
In jeder Sekunde handelt von drei Frauen und drei Männern, die alle in München leben und an deren Leben wir ein paar kalte und dunkle Winterwochen lang teilhaben dürfen. Alle sechs Protagonisten sind höchst unterschiedliche und klar abgegrenzte Charaktere. Und doch haben sie etwas gemeinsam: Sie stecken in einer Krise, zum Teil selbst verschuldet, zum Teil durch den Selbstmord oder die Krankheit von nahen Angehörigen herbeigeführt. Grob kann man sie in zwei Dreieckskonstellationen einteilen. Denn es gibt zwei Paare, die sich auseinandergelebt haben und zu denen jeweils ein Dritter stößt.

Die eine Dreierbeziehung besteht aus etwas älteren und gesellschaftlich etablierten Mittvierzigern: aus dem Psychiater Dr. Frick (Sebastian Koch) und seiner Frau Anna (Barbara Auer) sowie aus Fricks Geliebter Luisa (Jenny Schily). Das andere Trio ist jünger, so um die Dreißig, und sowohl beruflich wie privat noch auf der Suche nach dem richtigen Platz im Leben. Sarah (Mina Tander) hat einem Plattenladen und arbeitet als DJane. Sie ist gerade dabei, sich von dem ewig zugekoksten Christoph (Wotan Wilke Möhring) zu trennen. In der Party- und Musikszene, in der sich die Drei bewegen, lernt sie Ben (Ronald Zehrfeld) kennen. Der hängt zwar beruflich momentan etwas in der Luft, kommt aber mit seinen Gefühlen viel besser klar als Christoph.

In der ersten Filmhälfte laufen die beiden Dreiecksgeschichten getrennt nebeneinander her. Trotzdem montiert Regisseur Jan Fehse die Parallelhandlungen auf atmosphärisch dichte Weise zu einem Gesamtbild: zur Beschreibung eines leicht melancholischen Zustandes von Menschen, die auf der Suche sind, die wissen, dass sich etwas verändern müsste, und die sich auf einen Weg ins Ungewisse machen. Zaghafte Aufbrüche deuten sich an, vorsichtige Verschiebungen der Lebenskoordinaten, die die vereisten Verhältnisse und erstarrten Beziehungen in Fluss bringen. Erzählt wird davon weniger in den Dialogen, sondern mehr in Farben, Licht und Kamerabewegungen. Schließlich arbeitet Jan Fehse, der hier seinen ersten eigenen Film vorgelegt hat, seit zwölf Jahren als Kameramann.

Bei dem Nebeneinander der beiden Dreiecke hätten es Drehbuch (Christian Lyra und Jan Fehse) und Regie eigentlich belassen können. Herausgekommen wäre dann eine alltagsnahe Betrachtung eines Stück Lebens, in dem wenig Spektakuläres passiert, das den Zuschauer aber über die Art und Weise zu packen vermag, in der es geschildert wird. Doch in Fehses Film spürt man von Anfang an den Anspruch, die beiden Dreiecke irgendwann aufeinandertreffen zu lassen. Das bringt ein Mehr an Spannung, aber leider auch ein Mehr an künstlicher Dramatisierung und an unwahrscheinlichen und reichlich konstruierten Verwicklungen. Irgendwie scheinen die Drehbuchautoren etwas zusammenzwingen zu wollen, was nicht zusammengehört. Das ist schade und legt die Tücken offen, die mit einem Teppich von Handlungssträngen verbunden sind.

Immerhin: Der präzisen Charakterzeichnung und den überzeugenden schauspielerischen Leistungen tun die Schwächen des Drehbuchs keinen Abbruch. So kann man sich mit denjenigen Elementen dieses Films trösten, die gelungen sind. Und den Mut würdigen, sich gleich bei einem Debüt auf eine solch risikoreiche Erzählstruktur einzulassen.

In jeder Sekunde

Wenn sich eine ganze Reihe von Handlungssträngen zum Erzählteppich verwebt, dann entsteht daraus manchmal ein besonders fein schimmerndes Stück Kino.
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