Il Divo – Cannes 2008

Eine Filmkritik von Red.

Eine bitterböse Abrechnung mit dem System Andreotti

Nach einigen Jahren, in denen der italienische Film in Cannes ungefähr die gleiche Rolle spielte wie die Faröer Inseln bei Fußballweltmeisterschaften, deutete sich bereits bei der Bekanntgabe des Wettbewerbs an, dass sich dies nun ändern würde: Gleich zwei Filme fanden sich auf der Liste der Filme, die ins Rennen um die Goldene Palme gehen. Nach Matteo Garrones Gomorra wurde nun gestern Paolo Sorrentinos Il Divo vorgestellt und sorgte – mit einigen kleinen Abstrichen hinsichtlich der internationalen Kinoauswertung — für ein überwiegend positives, manchmal beinahe frenetisches Echo.
Il Divo (auf Deutsch bedeutet der Titel „der Star“, ist aber auch eine Anspielung auf Julius Cäsar) ist eine Auseinandersetzung mit dem Politiker Giulio Andreotti, der die Geschicke Italiens lange Zeit auf verhängnisvolle Weise lenkte. Seit 1947 war Andreotti auf zahlreichen Ministerposten in beinahe jeder Regierung vertreten, der Senator auf Lebenszeit war sieben Mal italienischer Ministerpräsident und sah sich im Laufe seiner Karriere 29 Versuchen ausgesetzt, ihm die Immunität zu entziehen, erst der letzte war von Erfolg gekrönt. Die Vorwürfe gegen ihn reichen von Bestechlichkeit über Ausbeutung des Staates bis hin zu Kontakten zur Mafia. Und selbst Mordaufträge sollen in Andreottis Amtsstuben ihren Urspriung gehabt haben. Sorrentinos witzige und subtile Farce nimmt vor allem Andreottis siebte Amtszeit unter die Lupe und wirft ein erhellendes Bild auf die Strukturen der Macht in Italien, auf ein Land, dessen Politikerkaste zutiefst korrupt und kriminell ist – dabei sind Bezüge zur gerade beginnenden dritten Amtszeit Silivo Berlusconis zwar nicht explizit dargestellt, liegen aber wahrscheinlich durchaus in der Absicht des Regisseurs.

Michael Althen stellt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung fest: „Sorrentino hat begriffen, dass Farce nicht heißen muss, dass sich alles in grellen Farben überschlägt, sondern dass man sie auch als Politthriller in Superzeitlupe inszenieren kann. So wird das Salbungsvolle der Politik offengelegt, die Eitelkeit aufs Gnadenloseste bedient – und doch eine Spannung erzeugt wie in den Filmen von Rosi oder Damiani. Und am Ende wird der Monotonie und der Wiederkehr des Ewiggleichen in der italienischen Politik mit dem Song „Da da da“ der deutschen Band Trio die passende Melodie vorgespielt. Man wünscht sich geradezu, irgendjemand würde die deutsche Politik mal ähnlich genüsslich auseinandernehmen.“ Lars-Olav Beier vom Spiegel nennt den Film eine „amüsante Groteske“ und schreibt weiter: „Sorrentinos Polit-Epos wirkte im Wettbewerb auch deshalb wie eine Befreiungsschlag, weil er als erster Film seit Ari Folmans Waltz with Bashir den Mut zur Stilisierung hatte, statt das Publikum mit schmucklosem Realismus zu konfrontieren.“ Hans Jürg Zinsli von espace in der Schweiz sieht in Il Divo einen der zweiten heißen Anwärter auf die Goldene Palme, die am Sonntag verliehen wird: „Il Divo von Paolo Sorrentino ist ein derart schmissiges, ironisches und bildgewaltiges Porträt über das italienische Polit-Urgestein Giulio Andreotti (…), dass sich die Jury sowohl ein Schmunzeln wie einen Preis nicht verkneifen sollte.“ Jan Schulz-Ojala schreibt im Tagesspiegel: „Wie packend man eine Legende ins monumentale Bild setzen und zugleich fundamental dekonstruieren kann, zeigt der italienische Regisseur Paolo Sorrentino in Il Divo.“ Schulz-Ojala lobt die „Arrangements von geradezu fellinesker Wucht“ und nennt den Film „pünktlich zu Beginn der dritten Ära Berlusconi, eine bestechend finstere Vision.“ Auch Bernd Teichmann vom Magazin Stern zeigt sich angetan: „Il Divo verursacht keinen Fluchtreflex. Er ist witzig, clever, böse und originell.“

Auch international sorgt der Film für eine positive Resonanz. Lee Marshall von Screen International lobt wie die meisten Rezensenten vor allem die bravouröse Leistung von Toni Servillo, der damit als heißer Anwärter auf den Darstellerpreis gilt, und bezeichnet den Film als „sardonische Polit-Oper“. Jay Weissberg von Variety bezeichnet Il Divoals „so einfallsreich und witzig, dass er auf Jahre hinaus ein Prüfstein“ sein wird, schränkt allerdings ein, dass die Chancen auf einen großen internationalen Erfolg an den Kinokassen relativ klein sein dürften. Und Peter Brunette vom Hollywood Reporter fühlt sich stellenweise durch die comichaften Elemente des Films gar an Die wunderbare Welt der Amèlie und an Moulin Rouge erinnert, hebt aber hervor, dass Il Divo „endlich ein Film des diesjährigen Wettbewerbs sei“, der zugleich „ein ernstes Thema habe und trotzdem unterhalte.“

Il Divo – Cannes 2008

Nach einigen Jahren, in denen der italienische Film in Cannes ungefähr die gleiche Rolle spielte wie die Faröer Inseln bei Fußballweltmeisterschaften, deutete sich bereits bei der Bekanntgabe des Wettbewerbs an, dass sich dies nun ändern würde:
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