Ich fühl mich Disco

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Bitter wie das Leben

Axel Ranisch ist ein junger Filmemacher, der nun offenbar so richtig im Geschäft angekommen ist. Mit gleich zwei Filmen, Reuber und Ich fühl mich Disco, war er 2013 auf dem Münchner Filmfest vertreten, zuvor hatte er mit Dicke Mädchen einen ersten Erfolg errungen und zusammen mit Julia von Heinz, Chris Kraus, Robert Thalheim und Tom Tykwer dem gemeinsamen Mentor Rosa von Praunheim in Rosakinder gehuldigt.
Handelte Dicke Mädchen von der Liebe zwischen zwei gestandenen Männern, so geht es in Ich fühl mich Disco um die Gefühle eines Teenagers, der von Körperstatur und Brillengestell durchaus als jugendliches Alter Ego des Regisseurs durchgehen kann — inszeniert mit der dem Regisseur eigenen Energie in der Kamera und dem spontanen bzw. zumindest spontan erscheinenden Spiel der Darsteller.

Florian ist glücklich, wenn er mit seiner Mutter zusammen ist, mit ihr liegt er auf dem Boden, schaut auf die Discokugel an der Zimmerdecke und meditiert mit entspannenden Geschichten vom Meeresboden. Mit ihr tanzt er ausgelassen durch den Raum und singt Schlagersongs von Christian Steiffen nach. Bei ihr fühlt er sich geborgen und verstanden — ganz anders beim Papa. Der ist dick und laut und unzufrieden, will das Männliche aus dem Sohn herausholen, der gerade der Kindheit zu entwachsen beginnt, will ihn zu dem formen, was er selbst war — oder sein wollte.

Diese Sohn-Vater-Geschichte erzählt der Film — denn nach einem Schlaganfall fällt die Mutter ins Koma, nahe dem Hirntod. Das Zusammenraufen ist nicht einfach — und Ranisch findet die passenden Bilder, die stimmigen Szenen. Wie der Vater nicht ein noch aus weiß, der Sohn aber frohgemut ist: Weil er seine Mutter lebendig sehen kann, weil sie ihm nach wie vor mit Rat und Trost zur Seite steht. Er richtet das Krankenzimmer wohnlich ein, mit Discokugel und Stereoanlage, singt Steiffen-Songs: „Ich fühl mich Disco“; plant einen Urlaub in der Toscana für den Herbst. Während der Vater weiß, dass sie nie mehr erwachen wird.

Immerhin geht er, so gut es geht, auf Florian ein. Schenkt ihm ein Klavier. Will aber eine Gegenleistung: Den Sprung vom Zehnmeterbrett. Florian hat Angst, der Vater sieht in ihm die Memme. Florian hat nur Augen für Radu, den Turmspring-Schüler des Vaters, Bademeister und Trainer im örtlichen Schwimmbad. Radu und Florian: Das könnte so etwas wie eine Liebe werden, würde Radu nicht zu sehr an seiner Heterosexualität klammern. Und würde der Vater nicht wieder alles kaputt machen…

Es ist kein Sozialdrama, nicht ein bloßer Film über schwules Erwachen. Es geht auch und vor allem um den Umgang des Vaters mit dem Sohn; der nicht weiß, was er tun, denken, fühlen soll. Und der ebenfalls seine Fantasien hat: Denn Ranisch gelingt es, die Entwicklungsgeschichte des Sohnes und die des Vaters dynamisch miteinander zu verquicken, dazu den unentschlossenen Radu zu stellen, und das ganze sehr witzig in die Überrealität hinübergleiten zu lassen. Ein verzweifelt-versoffener Kneipenbesuch des Vaters führt zur Begegnung mit Christian Steiffen, seines Zeichens Schlagersänger aus Osnabrück mit halbparodistischen Texten. „Bist du Christian Steiffen? Darf ich dir eine reinhaun?“ — „Wenn es dir hilft…“ Und der Vater braucht zwei Schläge auf Steiffens Nase, bis es wieder einigermaßen geht, und noch viele Bier und einen Steiffen-Song, um mit Leben und Sohn zurechtzukommen: „Das Leben ist nicht nur Pommes und Disco, manchmal ist das Leben auch nur eine Flasche Bier.“

Steiffen schenkt ihm eine DVD: Ein Lehrfilm mit Rosa von Praunheim. Auf dem Sofa sitzend sieht der verwunderte Vater, wie er selbst im Fernsehen durch von Praunheim über die Sexualität seines Sohnes aufgeklärt wird — eine herrlich komische Doppelung, eine schöne Externalisierung des inneren Konfliktes in ein Fantasie-Außen. Und Anlass für den Vater, ab jetzt voller Verständnis und mit größtmöglichem Entgegenkommen dem Sohn auf die Nerven zu fallen…

Am Schluss gehen beide angeln, Vater und Sohn, fangen einen Fisch, der bitter schmeckt, „bitter wie das Leben. Komm: Gehen wir einen Döner holen.“

Ich fühl mich Disco

Axel Ranisch ist ein junger Filmemacher, der nun offenbar so richtig im Geschäft angekommen ist. Mit gleich zwei Filmen, „Reuber“ und „Ich fühl mich Disco“, war er 2013 auf dem Münchner Filmfest vertreten, zuvor hatte er mit „Dicke Mädchen“ einen ersten Erfolg errungen und zusammen mit Julia von Heinz, Chris Kraus, Robert Thalheim und Tom Tykwer dem gemeinsamen Mentor Rosa von Praunheim in „Rosakinder“ gehuldigt.
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